Ganz so übel steht die Bundesrepublik aber auch nicht da. „Bei den aktuellen Schulanfängern erreicht Deutschland heute fast das Ziel der WHO“, sagte Terhardt. Mehr als 90 Prozent der Kinder verfügen nach RKI-Angaben in diesem Alter über einen Impfschutz. Nach dem Schulalter stehe das Impfen aber nicht mehr Fokus. „Jugendliche und junge Erwachsene fühlen sich wenig für ihren Impfpass verantwortlich.“ Daher müsse auch das Bewusstsein für Impfungen bei Haus- und Frauenärzten steigen.
Terhardt sprach sich für eine Impfpflicht aus, die kürzlich auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) erwogen hatte. Man müsse allerdings differenzieren: „Die Pflicht sollte für Kinder sowie Mitarbeiter im Gesundheitswesen, in der Kinderbetreuung und Lehrer gelten“, sagt er. Das müsse auch die Konsequenz aus einem Fall an der Berliner Charité sein. Dort soll ein an Masern erkrankter Arzt einen Säugling angesteckt haben. „Dabei sind gerade Säuglinge besonders anfällig für die Spätfolgen von Masern“, sagte Terhardt. Da sie erst ab einem Alter von elf Monaten geimpft werden und auch immer weniger Mütter immun seien, gelte besondere Vorsicht - gerade wenn schon die Kleinsten in Kitas betreut würden.
Als Impfskeptiker gelten zum Beispiel gut gebildete Eltern, die auf Bio und Öko setzen. Der Masern-Ausbruch an einer Waldorfschule bei Köln zeige, dass Skeptiker sich aber auch ihrer Verantwortung für Dritte bewusst sein müssten, sagte Terhardt. Zwar sind schwere Komplikationen bei Masern selten, aber es gibt sie.
Im Juni starb ein 14-Jähriger an den Spätfolgen einer Infektion. Er hatte sich als Säugling in einem Wartezimmer mit Masern angesteckt, weil ein nicht geimpftes Kleinkind die Krankheit weitertrug. Auch ein Mädchen starb Jahre später durch diese Wartezimmer-Infektion. Auch beim RKI sagt Anette Siedler: „Die Impfung dient nicht nur dem Selbstschutz.“
Die Behauptung eines britischen Wissenschaftlers von 1998, der Impfstoff könne Autismus auslösen, gilt heute als widerlegt. Doch in sozialen Netzwerken spiegelt sich immer noch wieder, dass manche Nutzer Impfungen für krankmachend halten: In Anspielung auf die jüngste Impf-Initiative der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung „Deutschland sucht den Impfpass“ haben sich mehr als 2500 Menschen der Gruppe „Deutschland verbrennt den Impfpass“ angeschlossen.