Vorsorge wird wichtiger Männer sind seltener krank, dafür schlimmer

Männer sterben früher, leben ungesünder und gehen seltener zum Arzt als Frauen. Wieso das so ist, erklärt ein Experte für Männergesundheit im Interview.

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Viele typische Männerkrankheiten lassen sich bei regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen frühzeitig erkennen und gut behandeln. Quelle: dapd

Auch wenn es ein altes Klischee ist: Immer noch bringen Männer lieber ihr Auto zum TÜV, als ihre eigene Gesundheit kontrollieren zu lassen. Experten schätzen, dass lediglich jeder fünfte Mann zu Vorsorgeuntersuchungen geht - bei Frauen geht jede Zweite regelmäßig zum Arzt.

Dabei hätte es gerade das vermeintlich starke Geschlecht nötig. Denn Männer ernähren sich meist ungesünder, rauchen mehr und trinken mehr Alkohol. Auch liegt die Anzahl der Krebsneuerkrankungen bei Männer deutlich über der von Frauen: Nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) erkranken jährlich rund eine viertel Millionen Männer in Deutschland neu an Krebs, bei Frauen liegt diese Zahl rund 30.000 Neuerkrankungen niedriger.

Doch woran liegt es, dass Männer nicht allzu regelmäßig zum Arzt gehen? Und welche sind die schlimmsten Männerkrankheiten? Die Antworten kennt Frank Sommer vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, der weltweit erste Universitätsprofessor für Männergesundheit.

Informationen zum Interviewpartner Frank Sommer

Wirtschaftswoche Online: Herr Sommer, heute gehen Männer in den Erziehungsurlaub oder sind Hausmann, die althergebrachten Rollenbilder vermischen sich zunehmend. Lässt sich da noch behaupten, Männer seien Vorsorgemuffel und polieren lieber ihren Wagen anstatt zum Arzt zu gehen?

Frank Sommer: In der Tat bemerken wir besonders unter jungen Männern, dass Vorsorge wichtiger wird. Mann geht zum Arzt und fühlt sich dabei nicht als Schlappschwanz. Das war früher anders, da sind Sie als Mann schnell als weich abgestempelt worden, wenn Sie auf ihre Gesundheit geachtet haben. Heute ist es hingegen schon fast eine Mode, auf sich selbst und seine Gesundheit zu achten und damit auch zum Arzt zu gehen. Langsam erkennt Mann also, dass Vorsorge wichtig ist. Trotzdem: Immer noch gehen viele Männer erst zum Arzt, wenn etwas weh tut - also meist zu spät. Auch gehen im Vergleich zu den Frauen nur sehr wenige Männer zur Vorsorgeuntersuchung.

Früherkennungsangebote der gesetzlichen Krankenkasse

Wirtschaftswoche Online: Warum?

Frank Sommer: Das liegt vor allem daran, dass Frauen den regelmäßigen Arztbesuch schon von jungen Jahren an gewöhnt sind. Sie gehen zum Arzt, um sich beispielsweise die Anti-Babypille verschreiben zu lassen. So sind Frauen automatisch häufiger in Kontakt mit ihrem Arzt. Sie gehen öfter aus Gründen, die nicht direkt mit einer Erkrankung oder Schmerzen zu tun haben. Männer dagegen müssen mit rund 16 Jahren das letzte Mal zu einer Jugendvorsorgeuntersuchung, von da an gibt es im Prinzip keine direkte Pflicht oder einen Grund zum Arzt zu gehen. Dennoch gibt es viele Vorsorgeuntersuchungen, die sinnvoll sind und auch von der Krankenkasse getragen werden (siehe Infokasten).

Vorsorgeuntersuchungen für Männer

Wirtschaftswoche Online: Wie wird Mann dann aber zum Arztbesuch gebracht?

Frank Sommer: Ich habe in meiner Sprechstunde vor allem die Erfahrung gemacht, dass Wettbewerb Männer motiviert. So geben wir Patienten häufig Schrittzähler mit und bitten Sie, die Distanz, die sie täglich laufen, zu dokumentieren. Das motiviert enorm. Im Büro stachelt man sich gegenseitig an, wer mehr Schritte tut, man entwickelt eine Affinität für seine Gesundheit und beginnt auf diese auch zu achten.

Sexuell leistungsfähiger

Wirtschaftwoche Online: Schrittzähler an Männer ausgeben, plötzlich achten sie auf ihre Gesundheit und gehen zur Vorsorge – das klingt etwas einfach.

Frank Sommer: Natürlich ist es nicht so leicht. Aber es ist ein erster Schritt, um Männern wirklich begreiflich zu machen, dass ein gesunder Lebensstil, zu dem auch Vorsorgeuntersuchungen gehören, gut für sie ist und sie schlussendlich leistungsfähiger macht. Apropos Leistungsfähigkeit: Ein weiterer Anreiz ist, dass gesunde Männer sexuell leistungsfähiger sind. So kann ein gesünderer Lebensstil dazu führen, dass Sie als Mann auf die kleinen blauen Pillen in Zukunft verzichten können, die Sie vorher häufig gebracht haben. Immerhin zwanzig Prozent der Männer zwischen 35 und 65 Jahren benutzt entsprechende Präparate. Würden diese zwanzig Prozent mehr auf ihre Gesundheit achten, bräuchten sie keine Potenzpillen.

Wirtschaftswoche Online: Aber die sexuelle Leistungsfähigkeit ist doch nicht der einzige Grund, weswegen Männer häufiger zum Arzt gehen sollten.

Frank Sommer: Nein, sicherlich nicht. Es gibt viele Krankheiten, die bei früher Erkennung in der Vorsorge gut behandelt, wenn nicht geheilt werden können. Das sind bei Männern besonders Krebserkrankungen an der Prostata und Hoden. Außerdem liegt auf Platz Eins der Männerkrankheiten der Herzinfarkt. Die Gefahr eines Herzinfarktes erhöht sich, je ungesünder der Lebensstil ist. Hier gibt der Arzt in der Vorsorge wesentliche Hinweise, wie Männer gesünder leben und damit das Risiko eines Herzinfarkts senken können. Da ist der schon erwähnte Schrittzähler ein gutes Beispiel. Männer müssen verstehen, dass sie ihren Körper nicht als Mittel zum Erreichen eines bestimmten Ziels missbrauchen dürfen und dass regelmäßige Check-Ups nötig sind, wenn sie dauerhaft gesund bleiben wollen. Da hilft das Argument: "Ich fühle mich gut, also hab ich nichts" übrigens nichts. Viele Erkrankungen sind zunächst nicht mit Schmerzen verbunden. Außerdem haben unterschiedliche Studien gezeigt, dass Männer, die sich selbst als kerngesund einschätzen, doch nicht ganz so fit waren.

Das sind typische Männerkrankheiten

Wirtschaftswoche Online: Gibt es denn einen Typ Mann, der besonders gefährdet ist?

Frank Sommer: Zum einen Männer, in deren Familie Erkrankungen, wie Krebs schon vorgekommen sind. Dann sind Männer, die chronisch unter Stress stehen und übergewichtig sind einem höheren Risiko ausgesetzt, später ernsthaft zu erkranken. Auch jene, die unter Erektionsproblemen leiden, sollten sich dringend vom Facharzt untersuchen lassen. Denn der Penis ein guter Indikator für ein erhöhtes Herzinfarkt- oder Schlaganfallrisiko. Hier befinden sich die kleinsten und leistungsfähigsten Blutgefäße des Mannes. Diese sind bei einer Arterienverkalkung als erstes betroffen, was sich in Erektionsstörungen äußert. Ein Symptom, dass die betroffenen Männer ernst nehmen sollten, denn es ist gleichzeitig auch ein Warnzeichen für einen späteren Herzinfarkt. In Studien haben wir nachgewiesen, dass Männer mit durchblutungsbedingten Erektionsstörungen vier bis acht Jahre nach dem Auftreten dieser Störungen wesentlich häufiger einen Herzinfarkt erleiden als Männer, bei denen diese Symptomatik nicht beobachtet wurde.

Wirtschaftswoche Online: Aber wenn Männer sowieso früher als Frauen sterben, wozu dann zum Arzt quälen?

Frank Sommer: Zum einen gibt es zahlreiche Theorien, wieso die Lebenserwartung bei Männern niedriger ist als bei Frauen. Ob Vorsorge also das Leben verlängert, ist schwer nachzuweisen. Aber sicher ist, dass sie die Lebensqualität verbessern. Wir sprechen da von der sogenannten Morbiditätskompression. Einfach gesprochen: Vorsorge kann helfen, die Zeit, in der Mann richtig krank ist und damit die Lebensqualität beeinflusst wird, auf das Lebensende und einen kurzen Zeitraum zu verdichten. Kaum einer will die letzten 20 Jahre seines Lebens krank in einem Rollstuhl sitzen. Da kann regelmäßige Vorsorge helfen, die Lebensqualität möglichst lange hoch zu halten, auch wenn Sie am Ende nicht unbedingt älter als ohne Arztbesuche geworden wären.

Wirtschaftswoche Online: Sollte dieses Interview manchen Leser zum Umdenken angeregt haben: Was raten Sie, wenn Mann mehr auf seine Gesundheit achten will?

Frank Sommer: Zunächst sollten Sie auf ausreichend Bewegung achten. So häufig wie möglich zu Fuß gehen und das Auto stehen lassen ist schon ein guter erster Schritt. Achten Sie außerdem auf mögliche Anzeichen einer Erkrankung, wie die angesprochenen Erektionsstörungen. Außerdem kann ein Besuch beim Arzt des Vertrauens nie schaden. Und ganz wichtig: Überfordern Sie sich nicht! Fangen Sie langsam mit ein wenig Sport oder Dehnübungen an. Ein paar Minuten alle zwei bis drei Tage genügen. Dann können Sie langsam anfangen, mehr auf ihre Ernährung zu achten. Aber auch hier: Gehen Sie den Weg der kleinen Schritte und übertreiben Sie es nicht.

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