Vorurteile Die größten Irrtümer über Depressionen
Jährlich erkranken bis zu 10 Prozent der Deutschen an Depressionen. Über die Krankheit kursieren viele Gerüchte: Verändern Antidepressiva die Persönlichkeit? Hilft Aufmunterung? Was an den Vorurteilen dran ist.

"Depression äußert sich nur psychisch"
Psychische Anzeichen wie zum Beispiel Antriebslosigkeit, Konzentrationsschwäche, Trauer und Niedergeschlagenheit gehören klar zum Krankheitsbild der Depression. Sie gehen jedoch gelegentlich mit körperlichen Symptomen einher. „Manchmal verbergen sich hinter Magen- oder Darmbeschwerden, Schwindel sowie Kopf- und Rückenschmerzen starke Depressionen“, weiß Doktor Friedrich Straub, Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie und Chefarzt der Schlossparkklinik Dirmstein. Um sicher zu gehen, dass diese körperlichen Symptome mit der depressiven Verstimmung zusammenhängen, ist eine intensive ärztliche Untersuchung erforderlich. Diese kann Klarheit darüber verschaffen, ob neben der Depression auch andere Krankheiten wie Diabetes oder Schilddrüsenprobleme als Auslöser der Symptomatik in Frage kommen.
Bild: Fotolia

"Ein frohes Gemüt schützt vor Depressionen"
„Einen sicheren Schutz gibt es nicht“, betont der Experte. Die Krankheit kann jeden treffen - und zwar ganz unabhängig von der Persönlichkeit. Die gute Nachricht: Gewisse Risikofaktoren für die Begünstigung einer Depression lassen sich mindern. Laut Straub können vor allem Sport und ausreichend Bewegung an der frischen Luft sowie Entspannung eine heilende Wirkung für die Seele haben. Auch ein erfülltes Sozialleben mit vielen engen Freunden und abwechslungsreiche Freizeitaktivitäten senken das Risiko für depressive Verstimmungen.
Bild: Fotolia

"Depressionen verschwinden von selbst wieder"
Ganz im Gegenteil. Die Depression ist eine ernstzunehmende Krankheit. Je länger die Behandlung aufgeschoben wird, desto mehr kann sich der Heilungsprozess in die Länge ziehen. Bei anhaltender Symptomatik von circa zwei Wochen sollte spätestens nach diesem Zeitraum professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Straub rät zunächst zu einem Besuch beim Hausarzt. Dieser kann den Zustand des Patienten genauer untersuchen und anschließend eine Beurteilung abgeben, ob eine therapeutische Behandlung notwendig ist. Auch wenn eine Psychotherapie in der Regel Monate dauert, sind die Erfolgschancen hoch. „Je früher die Behandlung beginnt, desto schneller und effektiver können die Beschwerden in der Regel behoben werden“, so Straub. Zwar lassen sich erneute depressive Phasen nicht ausschließen - eine erfolgreich abgeschlossene Therapie stabilisiert die Psyche jedoch dauerhaft und hilft dem Erkrankten, die Lebensfreude schrittweise zurückzugewinnen. Bei stärkeren Beschwerden ist oft eine unterstützende Behandlung mit Psychopharmaka sinnvoll.
Bild: dpa

"Nur Frauen sind von Depressionen betroffen"
Experten gegen davon aus, dass deutschlandweit etwa drei Millionen Menschen unter Depressionen leiden. Frauen sind offiziellen Zahlen der Deutschen Depressionshilfe zufolge doppelt so häufig von der Krankheit betroffen wie Männer - der Anteil liegt bei etwa 22 Prozent im Vergleich zu zwölf Prozent bei den Männern. Laut Straub ist das unter anderem auf hormonelle Schwankungen zurückzuführen.
Dennoch macht die stärkere Verbreitung beim weiblichen Geschlecht die Depression längst nicht zu einer reinen Frauenangelegenheit. Der unterschiedliche Umgang mit der Krankheit legt nahe, dass die Dunkelziffer unter den Männern deutlich höher ist. „Ein Grund dafür liegt sicherlich im traditionellen Männerbild. Der starke Mann benötigt keine medizinische Hilfe, vor allem keine psychologische“, erklärt Straub. Deshalb bleibt die Krankheit bei Männern oft unbemerkt - so lange, bis der Erschöpfungszustand so ausgeprägt ist, dass eine Behandlung unabdingbar wird. Männer neigen dazu, ihre Probleme zu verdrängen und entwickeln eher gefährliche Kompensationsstrategien wie Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch. Die Selbstmordrate ist dreimal so hoch wie beim 'schwachen Geschlecht'.
Bild: Fotolia

"Angehörige sollten den Depressiven aufmuntern"
Depressionen sind nicht nur für den Betroffenen schwer erträglich, auch die Angehörigen brauchen viel Kraft. Auch bei lang anhaltenden depressiven Phasen nicht die Geduld zu verlieren ist eine der wichtigsten Verhaltensregeln für Freunde und Familie.
Sprüche à la: "Jetzt reiß dich mal zusammen", "Nimm das Leben nicht so schwer" oder Witze und Aufmunterungsversuche sind eine schlechte Idee. „Grundsätzlich sollte man gut gemeinte Ratschläge besser für sich behalten“, so Straub. Tabu sind vor allem Anweisungen, die den Betroffenen noch mehr unter Druck setzen oder dessen Schuldgefühle verstärken könnten. Ersparen sollte man sich auch Kommentare, die das Leiden herunterspielen.
Bild: Fotolia
"Ein Urlaub bringt dich in bessere Stimmung"
Ein Tapetenwechsel, um den depressiv Erkrankten auf andere Gedanken zu bringen, erscheint oberflächlich betrachtet wie eine gute Idee. Jedoch kann ein Urlaub fernab der Heimat sogar entgegengesetzt wirken: „Für viele Erkrankte ist eine andere, fremde Umgebung zusätzlich beängstigend und beunruhigend“, warnt Straub. Ein geregelter Tagesablauf ist für depressive Menschen wichtig. Angehörige sollten sie deshalb darin unterstützen, Terminen oder Verpflichtungen nachzukommen, insbesondere Therapiesitzungen.
Bild: dpa
"Immer mehr Menschen erkranken an Depressionen"
Die Zahl der Menschen, die in Deutschland an Depressionen erkranken, ist seit Jahren konstant, weiß Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. "Innerhalb eines Jahres erkranken acht bis zehn Prozent der Erwachsenen. In verschiedenen europäischen Ländern ist das ähnlich." Europaweite Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Zahl der Betroffenen seit Jahren gleich bleibe. Nur: Der Umgang mit der Krankheit hat sich verändert. Medien berichten stärker über Depressionen, Betroffene fühlen sich weniger stigmatisiert, sprechen öfter über ihre Krankheit und suchen sich Hilfe. Hinzu kommt, dass Ärzte Depressionen besser diagnostizieren sowie behandeln und dadurch weniger Ausweichdiagnosen – wie Migräne, Tinnitus oder chronische Rückenschmerzen – stellen. "Diese Faktoren erwecken den falschen Eindruck, dass Depressionen deutlich häufiger werden", sagt Hegerl.
Bild: dpa
"Arbeit macht depressiv"
Bislang ist unklar, ob Arbeit ein häufiger Grund für Depressionen ist. Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe sind Berufstätige nicht häufiger depressiv als andere Personengruppen. "Viele Menschen erleben, dass Abläufe im Berufsleben immer straffer und schneller werden", sagt Hegerl. Durch Smartphone und Co. sind viele Arbeitnehmer bis in den Feierabend oder im Urlaub erreichbar – und fühlen sich daher gestresst. "Grundsätzlich ist Arbeit ein sinnstiftender Faktor im Leben, der dieser Krankheit sogar vorbeugen kann", sagt Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychiater (BVDP). Die Ursachen für die Erkrankungen können vielfältig sein.
Bei der Entstehung einer Depression spielt laut Hegerl die Veranlagung eine wichtige Rolle. Diese kann genetisch oder zum Beispiel durch Traumatisierungen in der Kindheit bedingt sein. Hinzu kommen oft als Auslöser negative Lebensereignisse wie Überforderungssituationen oder Verlusterlebnisse, aber auch scheinbar Positives wie Urlaubsantritt oder bestandene Prüfung.
Bild: Fotolia
"Schlafen und Urlaub helfen gegen Depressionen"
Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe rät jedem Depressiven von einem Urlaubsantritt ab. "Die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung über den eigenen Zustand wird in einer fremden Umgebung noch intensiver", sagt Hegerl. Übermäßig viel Schlaf verschlimmert den Zustand der Betroffenen ebenfalls. Das Gegenteil, also Schlafentzug, ist laut Experte eine wirksame antidepressive Maßnahme, die viele Kliniken ihren Patienten mittlerweile anbieten. Etwa 60 Prozent der Betroffen zeigen laut der Stiftung nach einer durchwachten Nacht eine abrupte Besserung in den frühen Morgenstunden. Denn: Depressive sind nicht einfach nur müde. Sie sind erschöpft, weil sie sich in einem Zustand der permanenten Anspannung befinden – sie fühlen sich, als stünden sie ständig vor einer wichtigen Prüfung. "Wenn Depressive lange wach bleiben, bauen sie ein Schlafdruck auf, der dieser Anspannung entgegenwirkt", sagt der Experte. Die Besserung hält allerdings nur bis zum nächsten Schlaf.
Bild: Fotolia
"Depression ist keine richtige Krankheit"
Depressionen sind eine schwere, oft sogar lebensbedrohliche Krankheit. "In Deutschland nehmen sich jedes Jahr etwa 10.000 Menschen das Leben – und man kann davon ausgehen, dass die Mehrheit der Suizide eine Folge von Depressionen ist", sagt Hegerl. Schwer depressiv Erkrankte sind in ihrer Stimmung gefangen, neigen zu Schuldgefühlen und können weder Trauer noch Freude empfinden. "Wenn schwer depressiv Erkrankte wieder weinen können, kann das ein Anzeichen für eine Verbesserung des Gesundheitszustandes sein", sagt Hegerl.
Bild: dpa
"Depressionen sind eine nachvollziehbare Reaktion auf die Lebensumstände"
Negative Ereignisse wie chronische Überforderung, der Tod einer nahestehenden Person oder Stress mit dem Partner können der Auslöser für Depressionen sein – müssen sie aber nicht. Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe kann es sogar vorkommen, dass kein Auslöser für die Erkrankung diagnostiziert werden kann. In manchen Fällen rufen laut Experte sogar positive Erlebnisse – eine bestandene Prüfung, eine Beförderung oder der Urlaubsantritt – eine Depression hervor.
Bild: dpa
"Depressionen treffen nur sensible Menschen"
"Depressionen können jeden treffen", sagt Hegerl. Egal ob Top-Manager im Dax-Unternehmen, eine Hausfrau mit zwei Kindern oder Rentner.
Bild: Fotolia
"Antidepressiva machen süchtig"
Eine Umfrage der Stiftung hat ergeben, dass 80 Prozent der Befragten glauben, dass Antidepressiva süchtig machen. Hegerl stellt klar: "Antidepressiva machen nicht abhängig". Suchtgefahr bestehe bei Schlaf- und Beruhigungsmitteln, zum Beispiel bei valium-artigen Medikamenten. "Bei sehr schwer depressiv Erkrankten werden in manchen Kliniken anfangs für wenige Tage zur Linderung des Leidens und der Suizidgefährdung Beruhigungsmittel eingesetzt", sagt Hegerl. "Derartige valium-artige Beruhigungsmittel sind aber auf keinen Fall Teil der Standardbehandlung von Depressionen und bergen ein Suchtrisiko."
Bild: dpa
"Ein Antidepressivum verändert die Persönlichkeit"
Depressive haben oft Angst, dass sie sich verändern oder an Autonomie verlieren, sobald sie Antidepressiva nehmen. Ein Antidepressivum verändert nicht die Persönlichkeit. Stattdessen gilt: "Die Depression verändert das Wesen", sagt Hegerl. "Viele Erkrankte berichten, dass Angehörige, aber auch sie selbst, sich während der Erkrankung nicht wiedererkennen."
Bild: obs
- Artikel teilen per:
- Artikel teilen per: