Warn-App „Europas neue Warnplattform könnte auch in Afrika oder Asien gegen Corona helfen“

Khalil Rouhana Quelle: EU-Kommission

Ab dieser Woche funktioniert der Austausch von Infektionswarnungen auch zwischen Corona-Apps verschiedener EU-Staaten. Der neue Dienst soll zum Vorbild werden für andere EU-IT-Projekte.

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Khalil Rouhana ist stellvertretender Direktor der für Kommunikationsnetze und Technologien verantwortlichen EU-Generaldirektion „Connect“, die auch die Entwicklung der europäischen Coronawarnplattform begleitet hat. 

WirtschaftsWoche: Herr Rouhana, europaweit steigen die Infektionszahlen mit dem Coronavirus deutlich. Hätte die grenzüberschreitende Warnplattform da nicht viel früher starten müssen?
Khalil Rouhana: Natürlich wäre es mir auch lieber gewesen, wenn der Austausch von Infektionswarnungen zwischen den verschiedenen nationalen Apps der EU-Länder schon früher geklappt hätte. Aber Fakt ist eben auch: Die Entwicklung der dafür notwendigen Plattform hat in Rekordzeit geklappt und die Zusammenarbeit lief über Ländergrenzen hinweg hervorragend.

Woher kommt diese Euphorie?
Wir haben den Auftrag, die Plattform zu entwickeln, ja erst Anfang August an SAP und die Deutsche Telekom vergeben. Gut zweieinhalb Monate später steht die Technik. Das Zusammenspiel mit den ersten Ländern, die sich ans System angeschlossen haben, klappt. Und in den kommenden Wochen werden sich auch fast alle übrigen EU-Staaten anschließen können, die bereits nationale Warn-Apps haben. Die Einigung auf das technische Konzept, die nötigen Abstimmungen zwischen den Entwicklern, unserem Rechenzentrum in Luxemburg und den beteiligten Behörden und IT-Dienstleistern in den einzelnen Ländern, all das ging so schnell, dass es beispielhaft ist für gemeinsame EU-weite IT-Projekte.

Ist das nicht etwas hoch gegriffen, eine einzige App als Blaupause für Prestigeprojekte wie die europäische Cloud-Plattform Gaia-X zu bezeichnen?
Natürlich reden wir über Projekte ganz unterschiedlicher Größe und Zielrichtung. Aber worum es mir geht, ist zu unterstreichen, wie zügig und zielorientiert IT-Projekte in der EU laufen können, wenn allen Beteiligten klar ist, wie drängend und wichtig sie sind. Und genau das hat die neue Warnplattform bewiesen. Es gibt ja – von Gesundheitsdiensten bis zu behördlichem Datenaustausch – längst eine große Vielfalt grenzüberschreitender IT-Projekte in der EU. Und bei manchem würde ich mir wünschen, dass es genauso rasch vorangekommen wäre.

Ausgerechnet mit dem europäischen Schwergewicht Frankreich aber funktioniert der Austausch der Warnungen gar nicht. Das kann Sie doch nicht zufriedenstellen, oder?
Glauben Sie mir, ich bin selbst Franzose, ich hätte auch die französische StopCovid-App sehr gern mit im Verbund. Aber es ist halt so: Frankreich hat für seine App einen eigenen Ansatz gewählt: ein zentrales Management der Warnungen, eine eigenständige Technologie für den Austausch der Bluetooth-Signale, die nicht auf Software von Apple oder Google angewiesen ist. Das ist technisch nicht so einfach mit dem Konzept zu koppeln, auf das sich inzwischen der größte Teil der übrigen EU-Länder geeinigt hat. Wir mussten abwägen – und haben uns entschieden, zügig eine Lösung für möglichst viele Partner zu finden. Deshalb ist Frankreich nun zunächst nicht dabei, aber wir bleiben dran.

Die Schweizer hingegen sind technisch kompatibel und haben – unter anderem zusammen mit den Entwicklern der deutschen Corona-Warn-App – wichtige Grundlagenforschung betrieben, um die nun europaweit etablierte Kontakterkennung überhaupt einsatzreif zu bekommen. Trotzdem ist auch die Schweiz nun bei der länderübergreifenden Plattform nicht dabei.
Da stehen derzeit noch juristische Fragen im Weg. Bei den Warnungen geht es um die länderübergreifende Weitergabe von Gesundheitsdaten …


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… obwohl die Bluetooth-Codes doch angeblich völlig anonym sind?
Ja, sie sind zuverlässig anonymisiert, aber sie sind immer noch Informationen zum Gesundheitszustand von Menschen. Und um die über Ländergrenzen hinweg zu tauschen, braucht es Rechtsabkommen. Wir haben uns innerhalb der EU und mit den meisten Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums EWR auf eine eigene Richtlinie verständigt, die diesen Datenaustausch erlaubt.
Diese Vereinbarung haben wir mit der Schweiz bisher nicht – und mit den Briten nach dem EU-Austritt leider auch nicht mehr. Wir sind mit der Schweizer Regierung aber in Verhandlungen, wie wir das Problem lösen können.

Das heißt aber, wer als Deutscher in diesen Nachbarländer arbeitet oder Urlaub macht, muss weiter zwei Apps benutzen?
Ja, leider ist das so. 

Wie viele nationale Corona-Apps ist auch die Software der EU-Warnplattform als Open-Source-Projekt entwickelt worden. Könnten also theoretisch auch andere Länder irgendwo auf der Welt die europäische Plattform einsetzen, um grenzüberschreitende Warnungen zwischen ihren Einwohnern zu ermöglichen?
Richtig. Das ist auch ein Gedanke, den wir ausdrücklich verfolgen wollen. Wir haben uns nur zunächst darauf konzentriert, die Plattform erst einmal für uns selbst betriebsbereit zu bekommen. Dennoch sind wir natürlich zur Frage, ob das System beispielsweise auch in Afrika, Asien oder sonst wo hilfreich sein könnte, um die Coronapandemie einzudämmen, bereits mit Institutionen wie etwa der WHO im Gespräch. Aber erst einmal müssen wir die Plattform jetzt bei zum Laufen bringen. 

Mehr zum Thema: Warum die EU den Auftrag zur Entwicklung der Warnplattform an SAP und die Deutsche Telekom gegeben hat.

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