Der umstrittene Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer wird vorzeitig seinen Posten räumen. Das verkündete der 69-Jährige am Freitagvormittag in einer E-Mail an seine Mitarbeiter. Zuvor waren erneut Vorwürfe gegen ihn laut geworden. Zum 30. September 2023 wolle er nun seine Tätigkeit beenden. Er habe den Senat der Fraunhofer-Gesellschaft darüber informiert, heißt es in dem Schreiben. Ein neuer Präsident für die mächtigste Forschungsorganisation Europas soll am 25. Mai 2023 bestimmt werden.
Neugebauer begründet den Rücktritt, der ein Jahr vor Auslaufen seines Vertrages geschehen soll, nicht mit den Vorwürfen gegen ihn. Stattdessen schreibt er, dass die Einführung einer neuen Vorstandsstruktur, ein Umbau im Senat und die Einführung von SAP bei Fraunhofer dann weit fortgeschritten oder abgeschlossen seien – und er sich deshalb früher zurückziehen könne.
Die WirtschaftsWoche hatte in den vergangenen Jahren wiederholt über Kritik an dem Wissenschaftsmanager berichtet. Recherchen hatten gezeigt, dass die Grenze zwischen privaten und Fraunhofer-Angelegenheiten bei Neugebauer hin und wieder durchlässig erschienen. Bei einer Ausstellung, für die die Fraunhofer-Gesellschaft mehrere Zehntausend Euro an eine Galerie in Berlin gezahlt hatte, wurden unter anderem Fotografien von Neugebauers Ehefrau gezeigt.
Prüfberichte erwartet
Einen Skatbruder aus Dresden machte der Präsident zu einem der mächtigsten Köpfte innerhalb der Fraunhofer-Organisation. Und Insider sprachen von einem „Klima der Angst“, das Neugebauer und seine Verbündeten verbreiteten.
Zudem war Neugebauer Recherchen der WirtschaftsWoche zufolge über Jahre in die Vergabe umstrittener Doktor-, Ehrendoktor und Professorentitel an hochrangige Volkswagen-Manager verwickelt. Zuletzt hatte der „Tagesspiegel“ darüber berichtet, dass Neugebauer in einem Imagefilm eines Unternehmens aufgetreten ist, bei dem er zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Anteilseigner war. In dem Film wurde das nicht erwähnt, stattdessen nur darauf verwiesen, dass Neugebauer Fraunhofer-Präsident ist.
In nächster Zeit werden darüber hinaus Sonderberichte des Bundesforschungsministeriums und des Bundesrechnungshofs erwartet, die nach Informationen der WirtschaftsWoche unter anderem die Ausgabenkultur der Fraunhofer-Führungsspitze untersucht haben.
„Der Rücktritt ist überfällig, kommt aber im nächsten Jahr viel zu spät“, kommentiert FDP-Politiker Thomas Sattelberger, parlamentarischer Staatssekretär im Forschungsministerium a.D. und einer, der sich seit Jahren für eine Neuaufstellung der Fraunhofer-Gesellschaft stark macht. Doch die bald zu erwartenden Prüfberichte „werden dem unwürdigen Schauspiel sicher ein früheres Ende bescheren“, fügt er hinzu.
Der Rücktrittsankündigung von Neugebauer vorangegangen ist eine Überraschung im Senat der Fraunhofer-Gesellschaft. Eigentlich sollte BMW-Chef Oliver Zipse den Vorsitz des Gremiums übernehmen. Doch der sagte kurzfristig ab. Stattdessen übernimmt Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der deutschen Automobilindustrie VDA. Sie wird vor der schwierigen Aufgabe stehen, einen neuen Präsidenten für die Fraunhofer-Gesellschaft zu finden. Sattelberger sorgt sich, dass Neugebauer versuchen wird, „subtil Einfluss“ auf die Wahl seines Nachfolgers zu nehmen. Und hofft, dass stattdessen ein Externer das Rennen machen wird.