
Jeder Fünfte in Deutschland macht sich Sorgen wegen der Warnung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor Fleisch- und Wurstkonsum. 24 Prozent der Frauen und 16 Prozent der Männer in Deutschland sind aufgrund der jüngsten WHO-Einschätzung beunruhigt (insgesamt: 20 Prozent) - das geht aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur hervor. Keine Sorgen vor einer erhöhten Krebsgefahr durch Fleischkonsum machen sich nach eigenen Angaben jedoch 73 Prozent.
Mehr als jeder siebte Befragte will wegen der Krebs-Warnung der WHO künftig weniger Fleisch essen (15 Prozent). 68 Prozent wollen trotzdem genau so viel Fleisch wie bisher verzehren. Dass sie schon jetzt kein Fleisch essen, sagten zehn Prozent der Befragten.
Die Mär vom guten Fleisch? Wie es nutzt und wo es schadet
Fleisch liefert hochwertiges Eiweiß, essenzielle Aminosäuren sowie die Vitamine B1, B6 und B12. Das Spurenelement Eisen ist wichtig für die Blutbildung. „Fleisch trägt dazu bei, den Protein- und Eisenbedarf zu decken“, erläutert der Präsident des Max-Rubner-Instituts für Ernährung und Lebensmittel, Prof. Gerhard Rechkemmer. „Mit Ausnahme von Vitamin B12 können wir alle essenziellen Nährstoffe aber auch aus pflanzlichen Lebensmitteln bekommen.“ Wer als Vegetarier Milch und Eier esse, sei nicht automatisch unterversorgt.
Gerade geräuchertes Fleisch und Wurst enthalten relativ viel Salz - wer viel davon isst, überschreitet schnell die empfohlenen Mengen. Nicht schmecken kann man dagegen Rückstände von Antibiotika und resistente Keime. Um den Medikamenten-Einsatz in der Massentierhaltung wird seit langem gerungen. Beanstandet wird aber nur relativ wenig mit Antibiotika belastetes Fleisch, wie aus dem Bericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) von 2012 hervorgeht. Durch verunreinigtes Futter wurde in Fleisch auch schon Quecksilber nachgewiesen. Viren auf Fleisch gelten als schwer nachzuweisen. Der Anteil lebensmittelbedingter Virusinfektionen lässt sich laut DGE nicht abschätzen.
Sind Höchstgrenzen überschritten, dürfen Produkte nicht in den Handel gelangen. Verkaufsverbot gilt europaweit auch für Fleisch von Tieren, die mit Wachstumshormonen behandelt wurden. „Der Standard der Lebensmittelsicherung in Deutschland ist so hoch, dass man sich um die Gesundheit keine Sorgen machen muss“, sagte der Epidemiologe Heiner Boeing vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE). Durch resistente Keime auf Fleisch wird allerdings eine Resistenz gegen Antibiotika auch für Krankheitserreger des Menschen befürchtet.
„Zu weißem Fleisch hat man bisher in keiner epidemiologischen Studie einen Zusammenhang mit Krebs gefunden“, sagte Boeing. Generell bewertet auch die DGE Geflügel unter gesundheitlichen Gesichtspunkten günstiger als rotes Fleisch. Aus Angst vor Krebs nun vermehrt auf Geflügel umzuschwenken, ist Boeing zufolge aber nicht der logische Schluss aus der WHO-Empfehlung. Er empfiehlt auch aus ethischen Gründen eine gesündere Menge: „Wir bräuchten ernährungsphysiologisch gar nicht so viel Fleisch.“ Hinzu kommt: Antibiotika-resistente und andere potenziell krankmachende Keime werden insbesondere auf Geflügel gefunden. Hygiene bei der Zubereitung ist daher wichtig.
Auf Fleisch kann man gut verzichten, sind sich Experten einig. Vegetarier müssten sich aber mit Nährwerten und abwechslungsreicher Ernährung befassen, um beispielsweise Eisen optimal auszunutzen. Denn Eisen aus Gemüse, Hülsenfrüchten oder Vollkornprodukten kann der Körper nicht so leicht aufnehmen wie tierisches. Kombiniert mit Vitamin C lässt sich die Aufnahme aber verbessern, wie Rechkemmer schildert.
Vitamin B12 ist für Veganer ein kritischer Nährstoff, weil er nicht in pflanzlichen Quellen vorkommt: Es müsste durch Nahrungsergänzungsmittel oder angereicherte Lebensmittel ersetzt werden. Wer zu Pillen greifen will, solle aber gezielt einen Stoff einnehmen, anstatt auf den Streueffekt zu setzen: „Von Multinährstoffpräparaten halte ich gar nichts“, sagte Rechkemmer.
Massentierhaltung steht schon lange in der Kritik: Viehtransporter und dunkle, enge Ställe voller Tiere - das ist für viele Vegetarier und Veganer Anreiz genug zum Fleischboykott. Aber auch der Verzicht dem Klima zuliebe ist begründet: Die Umweltstiftung WWF etwa sieht hohen Fleischkonsum als „Brandbeschleuniger“ für die globale Klimaveränderung. Denn für eine fleischreiche Ernährung sind viel mehr Flächen nötig als für eine pflanzliche. Werden etwa Wälder in Südamerika für den Anbau von Tierfutter wie Soja abgeholzt, wird Kohlendioxid aus Bäumen und Böden freigesetzt.
Die WHO hatte Anfang der Woche für Aufsehen mit der Einschätzung ihrer Experten gesorgt, Würstchen, Schinken und anderes verarbeitetes Fleisch seien krebserregend. Der regelmäßige Konsum erhöhe das Risiko für Darmkrebs. Zudem stuften die Fachleute rotes Fleisch - das Muskelfleisch von Säugetieren - generell als wahrscheinlich krebserregend ein.
Auf die Frage: „Haben Sie Ihren Fleischkonsum in den vergangenen fünf Jahren aus anderen Gründen verändert?“, sagten 37 Prozent in der Umfrage, sie achteten inzwischen darauf, weniger Fleisch zu essen. Zum Vegetarier sind in dieser Zeit danach zwei Prozent geworden, zum Veganer ein Prozent. 50 Prozent essen Fleisch wie eh und je, ein Prozent hat wieder mit dem Fleischessen angefangen.
Die Warnung der WHO stieß auch auf Kritik, vor allem in der Wirtschaft. So sprach der Spitzenverband der Lebensmittelwirtschaft von „Halbwahrheiten, die für Verwirrung sorgen“. „Ein zu viel eines bestimmten Nährstoffs oder Lebensmittels ist nie gut, das wissen wir alle“, sagte Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL). Jeder Konsument müsse für sich das richtige Maß finden.
Auch die Weltgesundheitsorganisation meldete sich nach der Kritikwelle noch einmal zu Wort. Ihre Experten von der Krebsforschungsagentur (IARC) hätten keinen völligen Verzicht auf Wurst verlangt, hieß es. In der Klarstellung erklärte die WHO am Donnerstag in Genf, die jüngste Bewertung ihrer Behörde verlange von den Menschen nicht, Lebensmittel wie Würstchen, Schinken und anderes verarbeitetes Fleisch gar nicht mehr zu essen. Sondern die Agentur mache darauf aufmerksam, dass ein geringerer Verzehr das Krebsrisiko senken könne.