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Wegweisendes Urteil Gericht verbietet Patente auf Menschen-Gene

Der Oberste Gerichtshof der USA hat das Patentieren von Abschnitten menschlicher Gene verboten. Das Urteil könnte weitreichende Folgen für die wachsende Industrie der Biotechnologie haben.

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Ein mikroskopisches Bild menschlicher Chromosomen. Quelle: REUTERS

Unternehmen dürfen sich menschliche Gene nach einem wegweisenden US-Gerichtsurteil nicht mehr patentieren lassen. Das entschied am Donnerstag der Oberste Gerichtshof in Washington mit einstimmiger Mehrheit seiner neun Richter. Das Verbot gelte aber nicht für künstlich hergestelltes genetisches Material. Das Urteil wurde von Experten daher als Kompromiss für die Biotechnik-Industrie gewertet.

Der Fall drehte sich darum, dass der US-Firma Myriad Patente für zwei isolierte Brustkrebs-Gene zugesprochen worden waren, die bei der Diagnose genetisch bedingter Brustkrebsgefahr helfen sollen. Die Firma brachte entsprechende Tests auf den Markt. Patentierbar seien solche Gen-Sequenzen für Unternehmen aber nicht, urteilte der oberste Gerichtshof nun. Ein natürlich auftretendes Teil der DNA sei ein „Produkt der Natur“ und auch dann nicht patentierbar, wenn es isoliert wurde, heißt es in dem Urteil. Die Aktienkurse von Myriad stiegen nach der Entscheidung.

Nachweisbare Genmutationen bei Brustkrebs spielen inzwischen eine große Rolle bei Diagnosen, Therapien, aber auch bei weitgreifenden persönlichen Entscheidungen. Wegen der erblichen Vorbelastung und dem hohen persönlichen Risiko hatte sich zum Beispiel US-Schauspielerin Angelina Jolie kürzlich beide Brüste amputieren und künstlich wieder aufbauen lassen.

Die Geschichte der Genetik
Bereits Wissenschaftler der Antike interessierten sich für Fragen der Vererbung. Etwa 500 vor Christus erklärte der griechische Philosoph Anaxagoras, dass der Embryo im männlichen Spermium bereits vorgeformt sei. Dass nur der Mann Erbanlagen besitze, behauptete auch Aristoteles etwa 100 Jahre später. Ähnliche Vorstellungen hielten sich noch bis in die Neuzeit hinein, da es an Instrumenten und Technik fehlte, um tiefer in die Forschung eintauchen zu können. Quelle: Gemeinfrei
Den Grundstein zur sogenannten modernen Vererbungslehre legte Gregor Johann Mendel. Der Augustinermönch schrieb 1865 die sogenannten Mendelschen Regeln nieder. Sie erfassen bis heute die Prinzipien für die Vererbung körperlicher Merkmale. In seiner Forschung experimentierte Mendel mit Erbsen, und zwar mit sieben unterschiedlichen Merkmalen reinrassiger Erbsenlinien, und fasste die Ergebnisse seiner Kreuzungsversuche zu drei Grundregeln zusammen. Quelle: Gemeinfrei
1869 wurden in Fischspermien erstmals Nukleinsäuren, die Bausteine der DNA (Desoxyribonukleinsäure), entdeckt. Den Zusammenhang zur Struktur der Erbsubstanz konnten Wissenschaftler bis dahin jedoch nicht herstellen. Erst 19 Jahre später entdeckte Wilhelm von Waldeyer (im Bild) die Chromosomen in menschlichen Zellen. Quelle: Gemeinfrei
1890 wies dann der deutsche Biologe Theodor Boveri nach, dass die Chromosomen Träger der Erbinformation sind.  Quelle: Gemeinfrei
William Bateson war es, der 1906 den Begriff "Genetik" für die Vererbungsgesetze einführte. Quelle: Gemeinfrei
Bereits 1903 vermutete der amerikanische Biologe Walter S. Sutton, dass paarweise auftretende Chromosomen Träger des Erbmaterials sind. Dieser Ansatz wurde ab 1907 von Thomas Morgan an der Drosophila melanogaster (eine Taufliegenart) verfolgt und ausgebaut. Morgan gelang es, Gene als Träger der geschlechtsgebundenen Erbanlagen an bestimmten Stellen der Taufliegen-Chromosomen zu lokalisieren. Für diese Leistung erhielt er 1933 den Nobelpreis für Medizin. Quelle: dpa
James Watson (im Bild) entdeckte gemeinsam mit seinem Kollegen Francis Crick 1953 die Doppelhelixstruktur der DNA. Sie stellten fest, dass das DNA-Molekül ein dreidimensionaler, spiralförmiger Doppelstrang ist, in dessen Innenraum sich die vier Basen immer paarweise zusammenschließen. Das Besondere an dieser Struktur sei, so die beiden Forscher, dass sie sich selbst kopieren könne. Damit hatten Watson und Crick auch den Mechanismus der Vererbung erklärt. Dafür erhielten auch sie den Nobelpreis. Quelle: dpa

In Deutschland ruft das Urteil Überraschung hervor. „Ich kenne das genaue Urteil noch nicht. Aber wenn menschliche Gene generell nicht mehr patentiert werden dürften, wäre das ein großer Erfolg für die Kritiker dieser Verfahren“, sagte der deutsche Gentechnik-Experte Christoph Then. In Europa und auch in Deutschland seien menschliche Gene im Moment patentierbar. „Einige Tausend Patente sind hier auch schon erteilt worden“, ergänzte der Geschäftsführer des Vereins Testbiotech, der Genpatente kritisch beleuchtet. Auch das Unternehmen Myriad habe hier Patente erfolgreich angemeldet. „Klagen von Ärzten und Patienten dagegen sind hier abgewiesen worden“, berichtete Then.

Er ist aber nicht sicher, ob das US-Urteil wirklich ein Durchbruch ist. „Wenn bestimmte Gen-Abschnitte nach wie vor patentierbar blieben, wäre es gar kein großer Unterschied zu Europa“, sagte er. Wenn der Supreme Court sein Urteil aber generell alle menschlichen Gene einbeziehe, habe das sicher auch Einfluss auf die Rechtslage in Europa. „Die Rechtsprechung zu diesem Thema ist in den USA entwickelt worden und Europa hat sich bisher daran orientiert“, sagte Then. Das Europäische Patentamt war am Donnerstagabend für eine Stellungnahme nicht mehr erreichbar. Der Supreme Court lobte die Entdeckung der Krebsgene als bahnbrechend und wichtig. Aber das reiche als Grundlage für ein Patent nicht aus. Myriad äußerte sich zunächst nicht.

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