Werner knallhart

Studie: Popcorn im Kino droht das Aus

Mit maßgeschneiderten Studien bekommt man jeden Stuss durch. Vielleicht wird wegen einer Studie bald das Popcorn im Kino abgeschafft. Unser Kolumnist hofft auf eine Gegenstudie.

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Die verrücktesten Werbeaktionen
U-Boot in MailandFür eine Versicherung, die ihre Kunden dafür sensibilisieren wollte, dass wirklich alles passieren kann, tauchte in Mailand ein U-Boot auf. Und zwar mitten in der Stadt. Es rammte einen Smart und riss den Asphalt auf. Die verwirrten Matrosen, die dem Boot entstiegen, wurden von Sanitätern abtransportiert. Quelle: Screenshot
Nacktshopping Quelle: dpa
Sexspielzeug für die Spielfreak-Frauen Quelle: dapd
Brötchen wie Brüste Quelle: Screenshot
Guerilla-MarketingSchon fast ein Klassiker sind die Guerilla-Marketingkampagnen von Nike, bei denen der Sportartikelhersteller übergroße Fußbälle so arrangierte, als seien sie in Gebäude oder Autos eingeschlagen. Auch gigantische Turnschuhe sollten auf die Produkte des Unternehmens aufmerksam machen. Quelle: Screenshot
Vorname gegen Gratis-Games Quelle: Screenshot
Die Kostenlos-Zeitung Quelle: dapd

Eine von Kölner Psychologen in der renommierten Fachzeitschrift Journal of Consumer Psychology veröffentlichte Studie besagt: Popcorn neutralisiert Kino-Werbung.

Kino-Besuchern, die während der Werbung Popcorn knabbern, lassen sich neu beworbene Markennamen nicht so effektiv einimpfen, wie es die Industrie will. Die Studie ging so: Die eine Testgruppe stopfte sich vor dem Hauptfilm mit Popcorn voll, die andere Testgruppe bekam einen Zuckerwürfel zu lutschen. Wirklich wahr!

Das Ergebnis: Die Zuckerlutscher kauften, glaube ich, direkt nach dem Film sämtliche neu beworbenen Produkte vom Kasten Bier bis zum Opel. Die Popcornknabberer kauften nichts. Grob gesagt. Zumindest konnten sich die Lutscher besser an die neuen Marken erinnern. Ginge es nach der Werbeindustrie, müssten jetzt konsequenterweise eigentlich die Popcornvitrinen mit knackigen Zuckerwürfeln zugeschüttet werden. Es sei denn, die Mais-Industrie kommt mit einer Gegenstudie: "Kinowerbung ohne Popcorn verpufft. Weil keiner mehr kommt".

Aber schön, dass jetzt belegt ist: Wer gemütlich Zucker lutschend Werbung guckt, der merkt sie sich besser, als jemand, der sich parallel aus einem Eimer mit Knabberzeug bedient, ihn herumreicht, Krümel vom Pulli zupft und sich Maissamenschalen aus den Zahnzwischenräumen pult. Die Studie hätte ich gerne mal als AG in der neunten Klasse gemacht. Da wären wir schön früh fertig gewesen. Und wie man es gerade braucht.

PISA: vor Jahren der Schock. Jetzt hat man die deutschen Schüler darauf gedrillt, wie man Multiple-Choice-Aufgaben korrekt ankreuzt und siehe da: Die Studienmacher geben es uns schwarz auf weiß: Deutschlands Zukunft ist gerettet.

Wie geht es eigentlich unseren Kindern gesundheitlich? Schlecht? Weil sie sich zu wenig bewegen? Besagt eine Studie der Uni Bielefeld. Oder gut, weil sie sich so viel bewegen? Sagt eine Studie des Robert-Koch-Instituts. Ich glaube der zweiten Studie. Dann haben wir ein gesellschaftliches Problem weniger.

Aus demselben Grund finde ich es auch gut, dass Arbeitslose, die in einer Fortbildungs-Maßnahme der Arbeitsagentur stecken, nicht mehr als arbeitslos gelten. Mit solchen Kniffen schaffen wir bald Vollbeschäftigung.

Jetzt kommt's: Deutsche Urlauber gelten laut Studie als gut gekleidet. Trotz weißer Tennissocken in beigefarbenen Sandalen. Wie das? Der Trick: Man stellt nicht auf die modische Stilsicherheit ab, sondern darauf, ob wir uns den nationalen Gepflogenheiten im Ausland anpassen. Und Deutsche rennen offenbar seltener als andere mit knappen Shorts und Tanktop in den buddhistischen Tempel. Und schon stimmt die Schlagzeile.

Aber Studien stoßen natürlich auch an Grenzen. Im Iran etwa lässt sich durch Umfragen in der Fußgängerzone nicht zuverlässig ermitteln, ob es dort womöglich homosexuelle Menschen gibt. Die Versuchung, der öffentlichen Hinrichtung zu entgehen, ist für die Studienteilnehmer mitunter einfach zu groß.

Und auch in Deutschland stoßen Forscher auf methodische Probleme: Je fremdenfeindlicher die Bevölkerung denkt, desto unzuverlässiger sind Wahlumfragen. Wer sehr rechts wählt, lügt auch sehr gerne Wahlforscher an.

Der Sinn und Nutzen von Studien

Welche kühnen Experimente Forscher wagen
Partydroge statt KreislaufmittelAuf der Suche nach einem Kreislaufmittel entdeckte der Schweizer Wissenschaftler Albert Hoffmann das stärkste Halluzinogen.  Und kostete den Rausch gleich selbst aus. Sein Kreislaufmittel wurde wegen den starken Nebenwirkungen wieder vom Markt genommen. Quelle: Joe Mabel
Erbrochenes ins Auge tropfenGelbfieber wird über Mückenstiche übertragen. Das wusste man 1802 noch nicht. Damals wollte Stubbins Ffirth beweisen, dass sich Gelbfieber vom Menschen zu Menschen übertrage. Dafür träufelte er sich Erbrochenes von Gelbfieberkranken in eine selbst zugefügte Schnittwunde im Arm, ins Auge – und schluckte sie. Er blieb gesund. Quelle: dpa
Unterwegs auf dem Raketenschlitten1955 galt er als der schnellste Mann der Erde, wie das Time Magazine damals schrieb. Auf einem Raketenschlitten erreichte John Paul Stapp 1.017 Kilometer die Stunde. Dabei wollte er herausfinden, wie sich das Vielfache der Erdbeschleunigung „g“ auf einen Menschen auswirkt.  Man glaubte, dass 18 g tödlich seien, Stapp ertrug 46,2 g als er von seinem Geschwindigkeitsrausch innerhalb von 1,4 Sekunden zum Stillstand kam. Quelle: U.S. Air Force
Per Bakterien-Cocktail zur MagenschleimhautentzündungBarry Marshall (Foto) wollte nachweisen, dass Bakterien für eine Magenschleimhautentzündung verantwortlich sind. Dafür trank er 1984 eine Mischung aus einer Milliarde Bakterien – und hatte „Erfolg“. Quelle: dpa/dpaweb
Mit dem "Blitzfänger" zur FeuerkugelUm die Luftelektrizität zu messen, baute 1753 der deutsche Physiker Georg Richmann in seinem St. Petersburger Laboratorium einen sogenannten "Blitzfänger". Dabei handelte es sich um eine Glasflasche in der ein Eisenstab nach oben über das Dach hinaus ins Freie ragte. Nach unten war er über eine Metallkette mit einem Glas voller Kupferspäne verbunden. Die Apparatur fing nicht nur Elektrizität ein, sondern bildete auch eine Feuerkugel, die in den Kopf des Forschers eindrang - mit tödlichen Folgen. Quelle: dpa
Mit dem Katheter vom OP-Saal  zur RöntgenabteilungDen 65 Zentimeter langen Katheter schob sich 1929 der Arzt Werner Foßmann selbst vom Ellbogen durch eine Vene bis ans Herz. Damit machte er sich dann vom OP-Saal machte zu Fuß über einige Treppen auf dem Weg zur Röntgenabteilung. Sein Experiment stellte die erste Angiographie dar. Mittels Katheter und Röntgenstrahlen stellte er seine Blutgefäße dar – und erhielt dafür schließlich den Nobelpreis. Quelle: AP
Humboldt auf schmerzhafter KlettertourAlexander von Humboldt wollte die Höhenkrankheit erforschen – an sich selbst. Mit einer Forschergruppe erklomm er den 6.267 Meter hohen Chimborazo in Ecuador – mit normaler Straßenkleidung und "kurzen Stiefeln". Ob Atemnot, Übelkeit, Schwindel und blutige Lippen: Akribisch hielt er fest, was sich auf welcher Höhe ereignete. Quelle: dpa/dpaweb

Was sind das bloß für Leute?

Andere Studien hingegen funktionieren gerade deshalb, weil die Teilnehmer lügen:

In Studienzeiten brauchte ich Geld. Also nahm ich an einem Medikamenten-Test teil. Das gab 60 Mark. Ich und meine Mitprobanden mussten uns jeweils von einer steril gezüchteten Mücke stechen lassen. Danach sollten wir sagen, ob eine Mückenstichsalbe den Juckreiz lindert.

Die Mücke saß in einem Plexiglasröhrchen, das an den Enden mit einer Gase abgedeckt war, durch die der Stechrüssel hindurch passte. Die Mücke hatte ihr gesamtes Leben noch nie etwas zu fressen bekommen und war außer sich vor Gier. Nur drei Sekunden, nachdem das Röhrchen auf meinem Arm aufgesetzt worden war, sog die Kleine schon mein Blut. Dann galt es zu warten. Warten auf die Quaddel und auf den Juckreiz. Doch es begann einfach nicht richtig zu jucken.

Gerade wollte ich auf einem Kontrollbogen eintragen "Juckreiz 10 Prozent", da hörte ich einen anderen Probanden aufs Derbste fluchen. Dem Gerücht nach soll er weniger als 50 Prozent Juckreiz empfunden haben und wurde deshalb aus der Studie geschmissen. Abgespeist mit 20 Mark. Plötzlich juckte es bei mir 70 bis 75 Prozent. Bei allen anderen um mich herum zwischen 60 und 100 Prozent.

Und wo wir schon dabei waren: Die Salbe reduzierte den Juckreiz in Windeseile praktisch auf null. Falls da andernfalls noch weitere Repressalien drohten. So läuft das. Mein Blut durfte ich samt Mücke mit nach Hause nehmen.

Aber man muss Studien ja auch interpretieren können. Und da gibt es hierzulande ein Phänomen. Den Ifo-Geschäftsklima-Index.

Der gibt ja an, wie Unternehmer ihre aktuelle Auftragslage bewerten und lässt so Rückschlüsse auf die bevorstehende wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland generell zu. Und dieser Ifo-Geschäftsklima-Index, der steigt und fällt nicht einfach so. Nein, er steigt oder fällt immer überraschend. Googeln Sie mal Ifo und überraschend. Seitenweise Treffer.

"Ifo: Klima wird überraschend besser"

"Ifo-Index: Stimmung überraschend eingetrübt"

"Ifo-Zahlen überraschend stark gestiegen"

Was soll das? Wenn die Journalisten jedes Mal baff sind, dann bedeutet das doch, dass sie sich jedes Mal vorab ein eigenes Urteil anmaßen. Aber warum? Dafür gibt es doch den Index! Damit man das Geschäftsklima eben nicht erraten muss.

Und zweitens: Wer über Jahrzehnte immer wieder überrascht ist, der müsste doch irgendwann einmal begreifen, dass seine eigene Prognose nichts taugt. Die Lottofee verliest die Zahlen doch auch nicht so: "Ich fasse es ja nicht: die Drei! Und dann doch tatsächlich die 17. Hätte ich nicht gedacht. Und was jetzt kommt, das glauben Sie mir nie: 26!"

Jetzt lasst doch die Männer und Frauen vom Ifo-Institut einfach mal machen.

Wobei: Überraschende Studien sind zugegeben ja ganz unterhaltsam: Umweltschützer hatten lange befürchtet, die Off-Shore-Windparks in der Nordsee würden durch die Rotorenbewegung und den Lärm die natürliche Artenvielfalt bedrohen. Nun ergab eine Studie des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie: Das Gegenteil ist der Fall. Die Schweinswale lassen sich durch den Lärm nicht vertreiben, Vögel geraten nur sehr selten mal in die sich drehenden Windräder und an den großen Fundamenten der Windräder auf dem Meeresboden entwickeln sich sogar neue Riffe mit Seesternen, Seelilien und Makrelen. Ich lach mich kaputt.

Ob das alle Umweltschützer überzeugt hat? Wahrscheinlich arbeiten einige bereits an einer Gegenstudie: "Wie neue Tierarten an den künstlichen Riffen einheimische Arten verdrängen". Das klappt bestimmt.

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