Die Verpackung knistert, schon strömt der nussig-wohlige Duft in die Nase. Dann das zarte, cremige Schmelzen im Mund, der Zucker rauscht durch unsere Adern. Ein Glücksgefühl durchströmt den Körper. Den meisten Menschen fällt es schwer, nach einer Praline, einem Keks oder einer Handvoll Gummibärchen direkt aufzuhören. Denn Zucker ist nicht nur der wichtigste Energielieferant für unseren Körper - er kann auch regelrecht süchtig machen.
Dass übermäßige Zuckerzufuhr krank macht, ist in der Wissenschaft unumstritten. Am Mittwoch hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschlossen, die Empfehlungen für den Zuckerverzehr um die Hälfte zu senken.
Dabei geht es vor allem um die Aufnahme von Zweifach- und Einfach-Zucker. Gemeint ist damit etwa die Saccharose - das ist der gewöhnliche Haushaltszucker. Es handelt sich um einen Zweifach-Zucker, der sich aus einem Molekül Glukose und einem Molekül Fruktose zusammensetzt.
Kinder und Erwachsene sollen nach den nun in Genf veröffentlichten WHO-Richtlinien nur noch fünf Prozent der Kalorien über Zucker zu sich nehmen, um das Risiko, an Adipositas oder Karies zu erkranken, zu senken. Bei einer durchschnittlich empfohlenen Energieaufnahme von 2000 Kilokalorien pro Tag für einen gesunden Erwachsenen entspricht das 25 Gramm Zucker (100 Kilokalorien) oder etwa sechs Teelöffeln. Frisches Obst zählt nicht dazu, denn damit liefern wir unserem Körper neben Zucker auch wertvolle Vitamine und Ballaststoffe. Die WHO hofft, mit der neuen Richtlinie die weltweit wachsenden Probleme durch Übergewicht eindämmen zu können.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) und die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) geben Mengenrichtlinien nur für Diabetes-Patienten heraus. Die Empfehlung besagt, dass von einfachen Kohlenhydraten nicht mehr als 50 Gramm pro Tag aufgenommen werden sollten.
Selbst wenn die WHO die Grenze schon bei der Hälfte zieht, gibt es für gesunde Menschen keine klare Grenze, bis zu der man Zucker essen kann, ohne krank zu werden. Hier gelten die generellen Empfehlungen für eine ausgewogene, vollwertige Ernährungsweise, die auf Obst, Gemüse und möglichst wenig verarbeitete Lebensmittel setzt, erläutert Karsten Müssig, stellvertretender Direktor der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Düsseldorf und Arbeitsgruppenleiter am Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ).
Die Realität sieht allerdings anders aus: Laut der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker nehmen die Deutschen rund 35 Kilogramm Zucker pro Jahr zu sich. Heruntergerechnet bedeutet das rund 96 Gramm Zucker am Tag - ein Vielfaches der empfohlenen Menge.
Nicht nur Naschkatzen haben es schwer
Und das darf auch nicht verwundern, angesichts des verbreiteten Zuckerzusatzes in Lebensmitteln. Denn zwar können wir bewusst entscheiden, weniger oder keinen Zucker in unseren Kaffee zu geben - versteckter Zucker in Lebensmitteln ist aber etwas anderes. Mittlerweile steckt Zucker in nahezu jedem Lebensmittel - nicht als natürlicher Bestandteil, sondern von der Industrie zugesetzt.
Die folgenden Beispiele zeigen, dass es nicht nur Naschkatzen schwer haben, ihren Zuckerkonsum im Griff zu halten. So enthält etwa ein Esslöffel Ketchup bereits einen Teelöffel Zucker. Eine Dose Limonade (330 ml) kommt auf rund 40 Gramm Zucker - das übersteigt schon die WHO-Empfehlungen. Weitere Beispiele zum Zuckergehalt von Lebensmitteln finden Sie in der folgenden Übersicht:
Wieviel Zucker steckt in...
In dem Schokoriegel (18 Gramm) stecken rund sechs Gramm Zucker.
In einem Riegel (58 Gramm) stecken rund 39 Gramm Zucker.
20 Gramm der Schokocreme enthalten rund 12 Gramm Zucker.
200 Milliliter Apfelsaft enthalten 20 Gramm Zucker.
200 Milliliter Cola enthalten etwa 18 Gramm Zucker.
200 Milliliter Milch enthalten 10 Gramm Zucker.
Eine Portion (50 Gramm) dieses Kinderprodukts enthält 7,6 Gramm Zucker.
Zwiebelsuppe aus der Tüte von Maggi enthält laut Hersteller 24 Gramm Zucker auf 100 Gramm der trockenen Zubereitung. Fertig gekocht entspricht das bei einer Portion von 250 Millilitern 3,3 Gramm Zucker.
Das Problem sind unsere Ernährungsgewohnheiten: Bequeme, stark verarbeitete Fertigprodukte haben sich etabliert, auch bereits in der Kinderernährung. Die meisten Convenience-Produkte sind nicht nur hinsichtlich des Zucker-Gehalts ungünstig, sondern auch in puncto Salz, Fett, Zusatzstoffe wie Geschmacksverstärker. Außerdem liefern sie meist kaum essentielle Nährstoffe - was viele Hersteller durch Vitaminzusätze zu kompensieren versuchen.
Puddings, Joghurt-Zubereitungen oder Getränke, die extra für Kinder angepriesen werden, enthalten oft sogar eine Extraportion Zucker, weil sie dann besonders gern angenommen werden. Das Problem: Kinder gewöhnen sich an den süßen Geschmack. Ihre Reizschwelle für die Geschmacksempfindung "süß" steigt an, das bedeutet, dass sie nach und nach stärkere Süß-Reize brauchen. So verlernen viele Menschen nicht nur schon von Kindesbeinen an, wie natürliche Produkte schmecken, sondern essen im Laufe des Lebens auch immer mehr Zucker, erklärt Müssig.
Überall versteckt sich Zucker
Zucker steckt auch in Lebensmitteln, bei denen man es nicht unmittelbar erwarten mag. Es sind nicht nur Süßigkeiten, Müslis und Riegel, die unseren Blutzuckerspiegel in die Höhe treiben. Auch in Wurst, Milchprodukten, Fertigsuppen oder Konserven steckt Zucker - mehr oder weniger offensichtlich. Dadurch essen wir viel mehr Zucker, als uns bewusst ist. Die Verbraucherzentrale hat in einem bundesweiten Markttest 2013 die gefühlte Wahrheit, dass Zucker in immer mehr Produkten steckt, bestätigt.
Untersucht wurden neben Süßigkeiten, Milchprodukten, Getreideprodukten, Obstzubereitungen und Getränken auch pikante Fertigprodukte wie Feinkostsalate, Grillsoßen oder Leberwürste. Insgesamt wurden 276 verarbeitete Nahrungsmittel unter die Lupe genommen.
Das Ergebnis: In fast allen Produkten fanden die Verbraucherschützer offen oder versteckt Zucker. Es zeigte sich, dass die Kombination von mehreren süßenden Zutaten üblich ist. So enthielt etwa eine untersuchte Leberwurst Glukosesirup, Maltodextrin, Dextrose, Vanillezucker und Zucker. Ein von der Verbraucherzentrale untersuchter brauner Soßenbinder enthielt etwa 31 Gramm Zucker auf 100 Gramm. Aber warum?
Verwirrende Begriffe
Zucker ist nicht nur süß, sondern er wirkt auch als Geschmacksträger. Außerdem ist Zucker ein billiger Füllstoff, denn er bindet Wasser - das führt zu mehr Gewicht. Teure Zutaten wie Früchte können so reduziert werden.
Die Lebensmittelhersteller schätzen zudem die strukturgebende Form verschiedener Zuckerarten. So bringt zum Beispiel Laktose eine cremige Konsistenz, wie sie in Schokoladen oder Pralinen erwünscht ist. Nicht zuletzt ist Zucker auch ein Konservierungsmittel. Das hängt mit der wasserbindenden Eigenschaft zusammen: Mikroorganismen brauchen freies Wasser, um sich zu vermehren. Ist dieses durch Zucker gebunden, verderben die Lebensmittel nicht so schnell.
Undurchschaubare Zutatenliste
Beim Blick auf die Zutatenliste gilt die Faustregel: Was als Erstes aufgeführt wird, ist auch am meisten enthalten. Findet sich also Zucker weit oben in der Zutatenliste, ist viel davon drin.
Die Krux: Die Lebensmittelhersteller füllen nicht nur reinen Zucker in ihre Leckereien, sondern er verbirgt sich hinter zahlreichen Begriffen, die oft nicht auf Anhieb durchschaubar sind. Die vielfältigen Bezeichnungen verwirren Verbraucher. "Da wird natürlich getrickst", sagt Müssig, "eigentlich muss man sich mit einem Lexikon daneben setzen um zu sehen, was ist eigentlich alles Zucker."
Im Folgenden ein kleiner Überblick:
Hinter welchen Bezeichnungen sich Zucker versteckt
Zuviel Zucker ist ungesund - das weiß jedes Kind. Doch die süße Zutat versteckt sich hinter allerlei Bezeichnungen. Ein Blick auf häufige Deklarationen, um den Durchblick zu wahren:
Das ist der gewöhnliche Haushaltszucker, der aus einem Molekül Glucose und einem Molekül Fructose besteht. Gewonnen wird er aus Zuckerrübe, Zuckerrohr und Zuckerpalme. Übrigens: brauner Zucker ist nicht gesünder als weißer. Beide haben gleich viele Kalorien (400 kcal pro 100 Gramm) und sind gleich schädlich. Weißer Zucker wird einfach häufiger gereinigt. Brauner Zucker kann zwar noch minimale Mineralstoff-Spuren enthalten, das ist aber so wenig, dass es gesundheitlich keinerlei Vorteil bringt.
Hinter dem Begriff Laktose verbirgt sich der Milchzucker. Er setzt sich aus einem Molekül Glukose und einem Molekül Galaktose zusammen. Für Menschen mit einer Laktoseintoleranz ist der Zucker problematisch: Sie können ihn nicht verdauen, was zu Blähungen und Durchfall führt. In der Lebensmittelherstellung ist Laktose beliebt, weil sie billig ist und damit eine cremige Konsistenz erzeugt werden kann, was zum Beispiel bei Schokoriegeln erwünscht ist.
Generell lässt die Endung -ose auf Zucker schließen, etwa Dextrose oder Fruktose.
Es ist ein Nebenprodukt der Käseverarbeitung und besteht zu etwa 72 Prozent aus Milchzucker.
Er wird auch als Glucose-Sirup, Bonbonsirup, Isoglukose, Corn Sirup oder Maiszucker bezeichnet. Es handelt sich um einen Zuckersirup, der durch enzymatische Aufspaltung einer stärkehaltigen Lösung entsteht und aus Glukose und Fruktose (in veränderlichen Anteilen) besteht. Er kann besonders billig aus Mais, aber auch aus Kartoffeln und Weizen gewonnen werden. Diese Zuckersirup-Arten werden vor allem für Pralinen, Riegel oder Frühstücksflocken als Bindemittel eingesetzt, weil sie so klebrig sind. Kalorientechnisch steht der Sirup dem Haushaltszucker in nichts nach.
Er wird mit Säure oder einem Enzym (der sogenannten Invertase) aus Saccharose hergestellt, die dabei in ihre beiden Bausteine Glukose und Fruktose zerlegt wird. Dadurch schmeckt er etwas milder und fruchtähnlicher. Invertzuckersirup wurde früher auch "Kunsthonig" genannt. In der Lebensmittelindustrie wird er ähnlich wie Glukosesirup eingesetzt, weil er nicht so leicht kristallisiert.
Maltose, der Malzzucker, ist ein Abfallprodukt in der Stärkeherstellung aus zwei Glukosemolekülen. Er entsteht zum Beispiel beim Bierbrauen. Zucker verbirgt sich außerdem hinter allen Bezeichnungen, die mit "Malto" beginnen, etwa Maltodextrin oder Maltoextrakt.
Er gilt als Alternative zum Zucker, enthält aber fast so viele Kalorien wie normaler Zucker, da er zu etwa 80 Prozent aus Zucker besteht. Verbreitet sind zum Beispiel Agaven- oder Apfeldicksaft.
Addiert man die verschiedenen Zuckerarten, kommt oft ganz schön was zusammen. Fehlt auf dem Produkt eine Nährwertkennzeichnung, lässt sich der tatsächliche Zuckergehalt kaum einschätzen.
Ein Beispiel: Ein Obst-Riegel eines Discounters enthält laut Zutatenliste Rosinen, getrocknete Apfelstücke, Apfelsaftkonzentrat, Vollkorn-Haferflocken, Cornflakes, Oligofruktose, Heidelbeerfruchtpulver, Palmöl, Rote-Bete-Pulver, Oblaten, Zitrusfaser und natürliches Aroma.
Haben Sie es bemerkt? Der Begriff Zucker kommt in der Liste gar nicht vor. Dennoch besteht ein Riegel (30 Gramm) nahezu zur Hälfte (14 Gramm) aus Zucker.
Werbesprüche verwirren Verbraucher
Bei der Bewertung von Lebensmitteln darf man nicht vergessen, dass Obst und Obstsaft von Natur aus viel Zucker enthalten. Ein Liter Orangensaft hat etwa genauso viel Zucker wie ein Liter Limonade. Ein vermeintlich gesundheitsfördernder Smoothie oder ein Obstriegel sind Zuckerbomben, obwohl die meisten Menschen sie nicht als Süßigkeit wahrnehmen würden. "Hier herrscht viel Unsicherheit", sagt Müssig. Dazu trägt auch bei, dass etwa die WHO die Zucker aus natürlichen Lebensmitteln aus der Empfehlung ausklammert. Denn Nektarinen, Melonen und Co. liefern natürlich auch Vitamine, Mineralstoffe und andere gesundheitsfördernde Substanzen. Ist man auf Hüftspeck und Zahngesundheit bedacht, muss der natürlich enthaltene Zucker aber dennoch in der Ernährung berücksichtigt werden.
Die widersprüchlich erscheinenden Empfehlungen rund um die vermeintlich beste Ernährung führen gern dazu, dass Patienten den Durchblick verlieren. So erzählt Müssig etwa von einer Patientin, die nach einer Diabetes-Diagnose die Empfehlung erhielt, viel frisches Obst und Gemüse zu essen. Gesagt - getan, doch ihre Blutzuckerwerte schossen weiter in die Höhe. Auf genaue Nachfrage nach dem Ernährungsverhalten stellte sich dann heraus, dass die Patientin anstelle von Äpfeln jeden Tag einen Liter Apfelsaft trank - im Glauben, sich etwas Gutes zu tun.
Auch die Werbung führt viele Verbraucher in die Irre. Wird mit Aussagen wie "ohne Zuckerzusatz", "ohne Zusatz von Kristallzucker" oder "ungesüßt" geworben, vermuten viele, das Produkt enthalte kaum oder sogar gar keinen Zucker. Wie das Beispiel des Obst-Riegels zeigt, enthalten aber auch süßende Zutaten wie etwa Trockenfrüchte von Natur aus reichlich Zucker.
Die Angaben besagen aber nur, dass kein Haushaltszucker oder Zuckersirup zugesetzt wurde. Auch die Angabe "mit Fruchtzucker" oder "mit der Süße aus Früchten" heißt nicht, dass gesundes Obst erwartet werden kann - es wird hingegen Fruchtzucker (Fruktose) oder -sirup zum Süßen eingesetzt.
Aber warum greifen wir eigentlich so gern zu Keks und Co., obwohl wir wissen, dass es ungesund ist? Und warum fällt es so schwer, nach einem Stück Schokolade aufzuhören?
Warum wir Kalorienbomben so sehr lieben
Die Vorliebe für den Geschmack "süß" wird schon im Mutterleib durch das süßliche Fruchtwasser geprägt. Und auch evolutionär lässt sie sich erklären: Ein bitterer Geschmack weist auf potenziell giftige Inhaltsstoffe hin, während der süße Geschmack unseren Vorfahren die Sicherheit und Nahrhaftigkeit einer Pflanze vermittelte, erläutert Müssig.
Zucker kann außerdem ein suchtähnliches Verhalten auslösen, weil er ein Areal im Gehirn anspricht, das als Belohnungszentrum bekannt ist. Der wichtige Botenstoff Dopamin wird - etwa beim Verzehr von Süßigkeiten - vermehrt ausgeschüttet, und wir bekommen unsere süße Belohnung in Form von guter Laune und Hochgefühlen.
Suchtähnliches Verhalten
Der Begriff der Zuckersucht wurde durch Versuche an Ratten oder Mäusen geprägt, denen man Zuckerlösung verabreichte. Entzogen die Forscher den Tieren die süße Lösung, reagierten diese mit einem suchtähnlichen Verhalten: Sie zeigten depressives und ängstliches Verhalten.
Untersuchungen des Gehirns von Schlanken und Übergewichtigen zeigten zudem, dass insbesondere bei übergewichtigen Menschen schon der Anblick von Schokolade oder Fast Food bestimmte Gehirnareale aktiviert. Dabei handele es sich um "die gleichen Bereiche, die bei einem Drogenabhängigen aktiviert werden, der seinen Stoff sieht" erläutert Müssig.
Dass wir im Gegensatz zu unseren Vorfahren Zucker nicht mehr nur aus Früchten und Honig zu uns nehmen, sondern ihn und andere Kalorienbomben permanent in großen Menschen zur Verfügung haben, darauf ist unser Körper nicht eingerichtet. Eine Studie kanadischer Forscher zeigt, dass unser Gehirn noch immer auf Mangel eingestellt ist.
Körpereigener Kalorienzähler
Es verfügt über eine Art eingebauten Kalorienzähler, der sehr genau abschätzen kann, wie nahrhaft unsere Speisen sind - und uns besonders auf Kalorienbomben abfahren lässt: Je heftiger das zuständige Hirnareal ausschlägt, umso begieriger sind wir nach dem Snack. Diese Untersuchung könnte erklären, warum es uns so schwer fällt die Finger von Dickmachern zu lassen, obwohl wir es eigentlich besser wissen.
Ein übermäßiger Kalorien- und Zuckerkonsum birgt Gefahren: Er schadet den Zähnen, und das Zuviel an Energie führt zu Übergewicht. Das steigert wiederum das Risiko für zahlreiche Zivilisationskrankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Einige Forscher wie etwa Lewis Cantley von der Harvard Medical School in Boston sind zudem überzeugt, dass Zucker auch das Wachstum von Tumorzellen beschleunigt und sogar Krebs auslösen kann.
Dabei ist die Zufuhr von reinem Zucker nicht lebenswichtig. Unser Körper gewinnt den unbestritten wichtigsten Energielieferanten Glukose durch den Abbau von langkettigen Kohlenhydraten selbst, die zum Beispiel in Kartoffeln, Brot oder Gemüse in Form von Stärke vorliegen.
Zucker, wie er zum Beispiel für Süßspeisen, Bonbons oder Softdrinks zum Einsatz kommt, enthält zudem praktisch keine Nährstoffe. Man spricht daher auch von "leeren Kalorien" - wir schaufeln Energie in uns hinein, die aber keine essenziellen Nährstoffe wie Vitamine oder Mineralien liefert.
Viel Energie, wenig Sättigung
Die Gefahr einer Gewichtszunahme wird noch dadurch gesteigert, dass Zucker uns trotz kräftiger Energiezufuhr von 400 Kilokalorien pro 100 Gramm nicht nachhaltig satt macht. Das liegt daran, dass der isolierte Zucker leicht verdaulich ist und sehr schnell ins Blut gelangt, wodurch der Blutzuckerspiegel unmittelbar und rapide ansteigt.
Da unser Körper diesen Glukosespiegel in relativ engem Rahmen (etwa zwischen 50 und 140 mg pro Deziliter Plasma) konstant halten muss, um richtig zu funktionieren, schüttet er reichlich vom Hormon Insulin aus. Es ist für den Abtransport aus dem Blutstrom in die Zellen zuständig. Erst dadurch wird der Zucker für die Energiegewinnung in den Zellen verwertbar. In der Folge fällt unser Blutzuckerspiegel wieder ab - das sorgt für Heißhunger auf noch mehr Süßes. Ein Teufelskreis.
Eine US-Studie, die im September in den "Annals of Internal Medicine" veröffentlicht wurde, legt zudem nahe, dass Übergewichtigen das Abnehmen mit einer Ernährungsweise, die wenig Kohlenhydrate und dafür mehr Fett enthält, leichter fällt. Auch zeigten sich positive Effekte bei bestimmten Blutwerten der übergewichtigen Studienteilnehmer, die in zwei Gruppen aufgeteilt wurden: Eine ernährte sich kohlenhydratreich und fettarm, die andere beschränkte die Kohlenhydratzufuhr und aß dafür mehr Fett. Bei letzterer Gruppe waren nach einem Jahr deutlichere Gewichtsverluste und Verbesserungen der Blutfettwerte, die als Risikofaktor für Herzkrankheiten gelten, messbar.
Eine Verteufelung von Fett, wie sie bei vielen Diäten seit Jahren geschieht, scheint unnötig oder gar schädlich. Allerdings handelte es sich um eine sehr kleine klinische Studie mit nur 148 Teilnehmern, die nach zwölf Monaten endete. In diesem Bereich ist weitere Forschung mit Langzeit-Beobachtung nötig.
Macht Zucker zuckerkrank?
Fehlt Insulin oder reagieren die Zellen nicht mehr darauf, kommt es zur Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus), an der weltweit immer mehr Menschen leiden. Man unterscheidet dabei Typ-1- und Typ-2-Diabetes; bei beiden Formen spielen unter anderem die Gene eine Rolle. Typ-1-Diabetes, früher auch oft als Jugenddiabetes bezeichnet, ist eine Autoimmunerkrankung, bei der die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse angegriffen und zerstört werden.
Weitaus verbreiteter ist der Typ-2-Diabetes, der vor allem ältere, übergewichtige Menschen betrifft. Etwa 90 Prozent der Diabetes-Erkrankungen zählen zu diesem Typus. Bei den Betroffenen werden durch die Überernährung im Laufe des Lebens die Insulinrezeptoren unempfindlicher, so dass der Körper immer größere Mengen des Hormons herstellen muss.
Tödliches Quartett
Dieser Diabetes tritt häufig zusammen mit Übergewicht, erhöhten Blutfettspiegeln und Bluthochdruck auf - Mediziner sprechen vom metabolischen Syndrom oder dem "tödlichen Quartett". Denn die vier Faktoren erhöhen das Risiko von unter Umständen tödlichen Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Nach Schätzungen der International Diabetes Federation sind derzeit rund 382 Millionen weltweit und 56 Millionen Europäer an Diabetes erkrankt. In Deutschland sind etwa 7,5 Millionen Menschen betroffen; damit gehört es zu den Ländern mit der höchsten Anzahl an Erkrankten. Die genauen Ursachen für diese Häufung hierzulande sind unklar.
Experten gehen davon aus, dass zum einen der hohe Anteil älterer Menschen in Deutschland eine Rolle spielt, zum anderen der hohe Anteil stark übergewichtiger Menschen sowie dem Sport- und Ernährungsverhalten der Deutschen, das zu wünschen übrig lässt.
Ob der übermäßige Genuss von Zucker zuckerkrank macht, ist unter Wissenschaftlern umstritten und wird stetig weiter erforscht. Derzeit gehen Mediziner davon aus, dass vor allem gesüßte Getränke das Diabetes-Risiko erhöhen - allerdings indirekt durch die erhöhte Gefahr einer Adipositas. Das liegt einerseits an der hohen Zufuhr von Kalorien durch Softdrinks, die aufgrund der hohen Süßkraft meist sehr viel Fruktose enthalten.
Fett an ungünstigen Stellen
Die überschüssige Energie, die durch den Strohhalm in unseren Körper rauscht, wird in Form von Fett abgelagert. "Dies geschieht besonders an ungünstigen Stellen, nämlich im Bauchbereich und in der Leber. Wir wissen heute, dass die Insulinwirkung im Körper dadurch abgeschwächt wird - man spricht von einer Insulinresistenz. Das ist ein ganz wichtiger Mechanismus, wie der Typ-2-Diabetes entsteht", erklärt Müssig.
Mittlerweile gibt es Studien, die darauf hinweisen, dass die Fruktose auch direkt zu einer Insulinresistenz führen kann. "In experimentellen Ansätzen zeigte sich, dass eine kurzfristig hohe Fruktose-Belastung zu einer verminderten Wirkung des Insulins im menschlichen Körper führt", erläutert Müssig. Das grundlegende Problem bleibt aber trotzdem, dass wir uns einfach zu kalorienhaltig ernähren - sei es nun zu viel Zucker oder zu viel Fett.
Um versteckten Zucker zu vermeiden, heißt es also: Finger weg von Softdrinks und Convenience Food. Je fertiger eine Mahlzeit daher kommt, umso mehr Zucker kann man darin vermuten. Denn er ist ein Konservierungs- und Geschmacksmittel. Wer stattdessen naturbelassene Lebensmitteln wie frisches Gemüse und Obst bevorzugt, steht auf der sicheren Seite. Dosenfrüchte und auch Sauerkonserven hingegen enthalten oft Zuckerzusätze zur Konservierung.
Wer anstelle von Knusper-Müslis und Frühstücksflocken zu Haferflocken und selbst gemischtem Müsli greift, kann den Zusatz von süßenden Komponenten wie Rosinen, Cranberries oder Schokostückchen bewusst selbst dosieren. Auch Saucen, Fix-Produkte oder Ketchup sollte man stehen lassen oder nur gelegentlich in Maßen genießen.
Kennzeichnung ab 2016
Wer zu industriell gefertigten Produkten greift, sollte die Zutatenliste gewissenhaft lesen und auf versteckte Zucker achten. Das ist zwar lästig. Aber bis die Nährstoffkennzeichnungen verbessert werden, dauert es noch.
Erst ab Mitte Dezember 2016 sieht die Lebensmittelinformationsverordnung vor, dass auf den meisten verpackten Lebensmitteln eine gesetzlich vorgeschriebene Kennzeichnung von Eiweiß, Kohlenhydraten, Zucker, Fett, gesättigten Fettsäuren und Salz aufgedruckt wird.