Angriff und Verteidigung, das ist der natürliche Lauf der Evolution – auch im Kampf zwischen Keimen und Medikamenten. Schon seit den Anfangstagen von Penicillin und Co. zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben Krankheitserreger Taktiken entwickelt, um der Wirkung der Antibiotika zu entgehen: Denn die meisten Antibiotika stammen aus Schimmelpilzen oder im Boden lebenden Mikroben, die sich mit den Substanzen gegen lästige Konkurrenz wehren. Die bekämpften Bakterien wiederum kontern mit Resistenzen.
Antibiotika sind heimtückische Waffen: Mal reißen sie Löcher in Zellwände wachsender Bakterien. Mal verhindern sie, dass Keime Schadstoffe ausschleusen, woran die Erreger zugrunde gehen. Oder sie blockieren das Entknäulen des Erbgutstrangs, sodass sich dessen Informationen nicht mehr auslesen lassen. Auch den Bau von Eiweißen zu stoppen ist eine Strategie, um Bakterien am Wachsen zu hindern. Solange ein Krankheitserreger nur Resistenzen gegen einen oder zwei dieser Mechanismen besitzt, lässt er sich meist noch mit einem dritten oder vierten Wirkmechanismus angreifen. Problematisch wurde die Sache erst, als einzelne, mehrfach- und später multiresistente Keime auftraten: Sie hatten so viele Abwehrstrategien entwickelt, dass keines der vielen Hundert Antibiotika noch wirkte.
Mittlerweile ist die Situation prekär: Allein in Europa fallen Jahr für Jahr etwa 25.000 Menschen multiresistenten Keimen zum Opfer. Vor allem in Krankenhäusern ist die Gefahr sehr groß, sich etwa beim Einsetzen eines künstlichen Hüftgelenks mit einem der Hauptübeltäter anzustecken: dem methicillinresistenten Staphylococcus aureus, kurz MRSA. Er verursacht Wund- und Weichteilinfektionen, Blutvergiftungen und Lungenentzündungen.
Und selbst wer einen resistenten Keim überlebt, liegt oft lange in der Klinik und produziert in Deutschland im Schnitt etwa 4000 Euro zusätzliche Kosten. Bezogen auf die Europäische Union, ergibt das samt Produktivitätsverlusten rund 1,5 Milliarden Euro wirtschaftlichen Schaden im Jahr.
Problem-Keime in Krankenhäusern
Etwa drei bis fünf Prozent der Krankenhauserreger sind Stämme des auf Haut und Schleimhaut lebenden multiresistenten Staphylococcus aureus (MRSA), gegen die es noch vier bis fünf wirksame Antibiotika gibt. Andere, im Darm lebende Bakterien (ESBL) hingegen produzieren bestimmte Enzyme, die sie gegen die meisten Antibiotika-Klassen resistent machen. Besonders schwierig sind Infektionen mit KPC (Carbapenemase bildende Bakterien der Art Klebsiella pneumoniae) zu behandeln, weil hier auch Carbapeneme als letzte neue Wirksubstanzen versagen und die Ärzte auf ein veraltetes Antibiotikum ausweichen müssen. Die Entwicklung neuer Antibiotika hinkt hinterher.
Etwa 90 Prozent der Krankenhausinfektionen rühren von Keimen her, die mit einem Antibiotikum wirksam bekämpft werden können. Problematischer sind Erreger, die Resistenzen entwickelt haben. Das geschieht vermutlich unter anderem, weil Antibiotika in der Tiermast, aber auch bei Menschen zu häufig und nicht zielgenau verabreicht werden. Dadurch werden Antibiotika-empfindliche Bakterien abgetötet, während die Antibiotika-resistenten sich umso konkurrenzloser vermehren können.
Das Gros der Keime, die in Krankenhäusern für Infektionen sorgen, sind normalerweise harmlose Bakterien, mit denen viele Menschen besiedelt sind. Geraten diese zumeist im Darm vorkommenden Keime jedoch in Blutbahn, Blase oder Lunge, können sie vor allem immungeschwächten Menschen zur Gefahr werden.
Das Problem ist zu großen Teilen hausgemacht, weil wir mit dem massenhaften Einsatz von Antibiotika bei Mensch und Tier solche Resistenzen geradezu züchten.
Eine Reihe von Maßnahmen könnte nun zumindest verhindern, dass dieser Prozess weiter an Fahrt gewinnt und neue Superkeime schneller entstehen, als die Forscher neue Antibiotika entwickeln können (siehe Kasten links).
Nach Jahrzehnten des Stillstands, in denen nur eine einzige wirklich neue Substanzklasse mit innovativem Wirkmechanismus auf den Markt kam, ist die Antibiotikaforschung endlich wieder in Bewegung geraten. Die Forscher wollen heute nicht mehr eine möglichst breite Dampfwalze entwickeln, die alle nur erdenklichen Bakterien plattmacht. Stattdessen suchen sie jetzt nach Wirkstoffen, die mit gezielten Schlägen die Resistenzen brechen.
Das hätte laut Martin Blaser noch einen ganz anderen – sehr positiven – Effekt. Es würde dazu führen, dass wir unsere eigenen, hilfreichen Bakterien, etwa im Darm, nicht laufend malträtierten. „Das führt zu Folgeschäden, mit denen wir bisher überhaupt nicht gerechnet haben“, warnt der New Yorker Forscher.