Schon allein der Gedanke an einen Zahnarztbesuch ist für viele Menschen kaum auszuhalten. So mancher drückt sich daher vor der jährlichen Kontrolluntersuchung – aus Furcht vor möglichen Schmerzen, wenn der Arzt mit dem Bohrer beschädigte Stellen an den Zähnen entfernt. Damit es erst gar nicht so weit kommt, wollen Forscher nun endlich Karies systematisch bekämpfen.
Was weltweit die höchsten Gesundheitskosten verursacht
Atemwegserkrankungen: 55,0 Milliarden Euro
Quelle: http://www.fdiworldental.org/media/77552/complete_oh_atlas.pdf
Alzheimer: 71,1 Milliarden Euro
Zahn-Krankheiten: 79,0 Milliarden Euro
Herz-Kreislauf-Erkrankungen: 105,0 Milliarden Euro
Diabetes: 137,0 Milliarden Euro
Eine Schlüsselrolle spielen dabei die Milliarden von Bakterien im Mund. Die winzigen Organismen wandeln Zucker aus der Nahrung in Säure um. Diese greift dann den Zahnschmelz an und zerstört ungehindert den ganzen Zahn: die gefürchtete Karies. Sie ist für einen großen Teil der jährlich weltweit 442 Milliarden Dollar Kosten durch Zahnerkrankungen verantwortlich. Die Behandlungskosten liegen jährlich bei 298 Milliarden Dollar, hinzu kommen Kosten in Höhe von 144 Milliarden Dollar aufgrund von Produktivitätsverlusten am Arbeitsplatz wie Fehltage.
Putzen hilft, den dichten Biofilm von Bakterien, die Plaque, zu bekämpfen. Weil die Zahnbürste aber nicht in jede Ecke kommt, suchen Wissenschaftler nach Alternativen – und arbeiten gerade an einer ganzen Reihe sehr vielversprechender Strategien.
So hat der Chemieriese BASF gemeinsam mit dem Berliner Biotech-Start-up Organobalance und Forschern der University of Connecticut eine Mischung spezieller Milchsäurebakterien entwickelt. Die sollen sich an die Karieserreger andocken und so deren Wachstum stören. Das Unternehmen Atlantic Grupa aus Kroatien hat bereits eine Zahncreme mit diesen probiotischen Mikroorganismen auf den Markt gebracht. Weitere Produkte sollen folgen.
Carolacton gegen Karieskeime
Andere Wissenschaftler haben jahrzehntelang auf Impfstoffe gegen Karies gesetzt. Sie wollten eine Waffe gegen eine Bakterienart, den Strepptoccus mutans, finden. „Dabei trägt eine Horde von 500 Arten zum Problem bei“, sagt Mikrobiologin Irene Wagner-Döbler vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Sie will daher die Kommunikation zwischen den verschiedenen Keimen im Mund stören, um deren Wachstum zu behindern.
Die Wissenschaftlerin nutzt dazu Carolacton, einen Naturstoff, den im Boden lebende Myxobakterien bilden, um sich gegen lästige Konkurrenz durch andere Mikroorganismen zu wehren. Im Labor macht das Carolacton den Karieskeimen bereits erfolgreich das Leben schwer.
Tipps zum Zähneputzen
Jeder Mensch sollte seine Zähne mindestens zweimal am Tag putzen: morgens nach dem Frühstück und abends vor dem Schlafengehen. Ein zuckerfreies Kaugummi nach den Mahlzeiten ersetzt zwar nicht das Putzen, regt aber den Speichelfluss an. Dadurch werden schädliche Säuren schneller neutralisiert, die bei jeder Nahrungsaufnahme entstehen.
Mit Zahnputz-Tabletten und Zahnbürsten (manuell oder elektrisch) lassen sich die Zähne gut reinigen. Allerdings entsteht Karies vielfach in den Zahnzwischenräumen, wo die Zahnbürste nicht hinkommt. Deshalb sollte man einmal täglich Zahnseide oder Interdentalbürstchen verwenden, um auch die Zahnzwischenräume zu säubern. Wie das am besten funktioniert erklären Zahnärzte und Prophylaxe-Experten in den Praxen am besten.
Ungenügendes Putzen führt zu Karies und Zahnbetterkrankungen. Aber auch eine falsche Putztechnik mit ungeeigneten Hilfsmitteln über einen langen Zeitraum kann zu Stellen an den Zahnhälsen führen. Grundsätzlich gilt es vor allem die reinen Horizontalbewegungen der Zahnbürste bei zusammengebissenen Zähnen zu vermeiden. Statt dessen eigenen sich Putzbewegungen der Bürste vom Zahnfleisch (rot) zum Zahn (weiß) und kreisende Bewegungen.
Da sich zwischen den Borsten der Bürste Keime aller Art ansammeln, sollte diese alle sechs bis acht Wochen ausgetauscht werden. Außerdem nutzen sich die Borsten mit der Zeit ab und verbiegen. Dadurch nimmt die Reinigungskraft ab. Abgebrochene Borsten können zudem das Zahnfleisch verletzen.
Wagner-Döblers Team plant nun einen klinischen Test, um herauszufinden, ob das auch beim Menschen klappt: Die Forscher wollen den Wirkstoff in Keramikmaterial, mit dem Ärzte Löcher in Zähnen reparieren, mischen. Denn gerade an den Lücken zwischen Füllung und Zahn bildet sich gerne neue Karies. Rund 40 Patienten sollen an der Studie teilnehmen. Erste Ergebnisse könnten voraussichtlich im nächsten Jahr vorliegen. Hat sich doch ein Kariesloch gebildet, bohren Zahnärzte die beschädigte Stelle heute meist großzügig aus, wertvolle Zahnsubstanz geht verloren.
Doch das ist vielleicht gar nicht nötig, meint Rainer Haak, der die Leipziger Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie leitet. Er untersucht im Rahmen einer klinischen Studie, ob es nicht genügt, die Bakterien einfach unter der Füllung zu begraben und sie so zu schwächen. Denn eine Richtlinie für Zahnärzte, wie viel Zahnsubstanz bei Karies entfernt werden sollte, gibt es bisher nicht.
Ganz ohne Bohrer und Schmerzen wollen Wissenschaftler des King’s College London auskommen. Ihre Idee: Mithilfe von kleinen elektrischen Impulsen sollen Mineralien wie Calcium und Phosphate zurück in den angegriffenen Zahn geführt werden, um so den Zahnschmelz zu regenerieren. Schmerzen, etwa durch die elektrischen Impulse, soll es laut den Forschern nicht geben. 2014 haben sie eine eigene Firma, Reminova, gegründet.
Wann und ob eine Markteinführung überhaupt kommt, ist allerdings noch völlig offen. Bislang wurde die Methode noch in keiner klinischen Studie getestet.