Zukunft im Blick Die Nominierten für den Deutschen Innovationspreis

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Varta: Schnelle Zelle

Sie gehört zum Alltag in der digitalen Welt genauso wie all die praktischen Apps und kreativen Arten des Zeitvertreibs: die hektische Suche nach dem Ladegerät und der nächsten Steckdose. Auch gut 30 Jahre nach der Erfindung des Lithium-Ionen-Akkus kommen Batteriezellen in Handys, kabellosen Kopfhörern oder Laptops noch sehr regelmäßig an ihre Grenzen. Anders als etwa in Autos, Bohrmaschinen oder Rasenmähern sind in den mobilen Kleinstgeräten nur wenige Lithium-Ionen-Zellen; schließlich haben die Ingenieure nicht viel Platz.

Ständig suchen die Batteriehersteller daher nach einer besseren Zellchemie, die mehr Strom bei gleicher Größe und Gewicht speichern kann. Dabei müssen die Entwickler auch Aspekte wie Brand- und Explosionssicherheit, Materialkosten und Lebensdauer der Batterie im Auge behalten. Als Flaschenhals in der Entwicklung gilt derzeit vor allem der Minuspol der Zellen, die Anode. Auf der Gegenseite – der Kathode – haben die Batteriehersteller in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht. Die Anode aber sieht im Grundsatz noch so aus wie in den ersten Zellen von 1990: Graphit bildet ein Gitter, in das sich beim Laden Lithium-Ionen einlagern. Die Aufnahmekapazität des Graphitgitters ist begrenzt – damit auch die Stromspeicherkapazität.

Erstmals Verbesserungen bei der Anode

Umso bemerkenswerter ist deshalb, was den Forschern des schwäbischen Batterieentwicklers Varta in den vergangenen Jahren gelungen ist: Sie konnten die Speicherkapazität an der Anode deutlich steigern. Dafür bringen sie Silizium in das Graphitgitter ein. „Ein Graphit-Silizium-Gitter kann deutlich mehr Lithium-Ionen aufnehmen als die reine Graphit-Anode“, erklärt Rainer Hald, Technikvorstand bei Varta, „also bei gleicher Größe auch mehr Kapazität speichern.“ 

Die Grundidee ist nicht neu, viele Zell-Hersteller experimentieren mit dem Graphit-Silizium-Mix. Das Problem aber: Siliziumreiche Anoden dehnen sich beim Laden viel stärker aus als reine Graphit-Anoden; beim Entladen schrumpfen sie wieder. Das führt zu Wärme und Druck im Inneren der Zelle. „Man sagt, die Zelle ‚atmet‘“, erklärt Hald, „das führt zu Stress in der Zelle und damit zu einer kürzeren Lebensdauer.“

Bei Varta haben sie nach mehr als zehn Jahren Entwicklungsarbeit nun eine Lösung für das Ausdehnungsproblem. Zusatzstoffe in der Anode und im Elektrolyten der Zellen, verhindern das ‚Atmen‘ weitgehend. 
Die Varta-Entwickler versuchen, möglichst alle Teile der Batteriezelle selbst zu entwickeln und alle Produktionsschritte zu beherrschen. „Wir fangen bereits beim Mischen des Aktivmaterials an, einem Vorprodukt für die Elektroden“, sagt Hald.

Zwar könnte man dieses Kathodenmaterial auch bei Spezialisten wie BASF oder Umicore einkaufen. Aber „wir wollen alle wichtigen Prozesse selbst beherrschen; das ist zunächst aufwendig, bringt aber auf die lange Sicht entscheidende Vorteile“, glaubt Hald. „Nur so können wir gut genug verstehen, was in den Zellen vor sich geht und was genau bestimmte Parameter wie Energiedichte, Schnellladefähigkeit oder Lebensdauer beeinflusst.“

Der Aufwand lohnt sich offenbar: Die Anoden in der neusten Varta-Zellgeneration bestehen nun zu 60 Prozent aus Silizium und können etwa 25 Prozent mehr Stromkapazität bei gleicher Größe speichern als Zellen mit einer reinen Graphit-Anode. Wettbewerber wie Samsung, LG Chem oder Panasonic können bisher nur 5 bis 10 Prozent Silizium in ihren Anoden einlagern. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben allein 2019 rund 45 Millionen der neuen Zellen verkauft, 150 Prozent mehr als im Jahr davor. Bereits 2021 will man 200 Millionen Zellen bauen.

Die Kunden sind Unternehmen, die besonders kleine Batteriezellen benötigen: Die Hersteller von drahtlosen Kopfhörern und Freisprechanlagen etwa, oder von Hörgeräten. Darunter sind bekannte Namen wie Sony, Sennheiser, Bose, Google, Fitbit und Amazon. „Die neue Varta-Zelle lädt etwa 20 Prozent schneller als die Konkurrenzprodukte auf dem Markt“, so Hald. „Kunden können einen kabellosen Kopfhörer damit in 15 Minuten laden und anschließend gut zwei Stunden nutzen.“

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