Zukunftsmärkte Europa sucht die Supertechnik

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Künstliches Superhirn

Gehirn und Technik Illustration Quelle: Illustration: Roland Warzecha

Blue Brain Project

Was den Neurologen Henry Markram am menschlichen Gehirn am meisten fasziniert, ist dessen Genügsamkeit: „Würde man einen Computer mit der Rechenpower des Gehirns bauen, benötigte er für den Betrieb Tausende Gigawattstunden Strom pro Jahr“, berichtet der gebürtige Südafrikaner. „In unserem Kopf erledigt das eine drei Pfund schwere Masse, die mit 60 Watt pro Stunde auskommt.“ Das ist der Energiebedarf einer Glühbirne. Der elektronische Nachbau der menschlichen Schaltzentrale hätte den Stromverbrauch einer Großstadt.

Noch. Denn Markram, der an der Eidgenössisch Technischen Hochschule in Lausanne in der Schweiz forscht, verfolgt mit seinem Blue Brain Project gleich zwei Ziele – die wissenschaftliche Sensationen wären, wenn sie gelingen: Er will unser Hirn am Rechner eins zu eins simulieren und den Energieappetit der digitalen Kopie zugleich mächtig zügeln.

Zuvor muss sein derzeit 50-köpfiges Team allerdings noch viel genauer verstehen, wie das Gehirn funktioniert. Zwar kennen Neurologen dessen Aufbau mittlerweile recht gut. Doch wie Verbünde der Nervenzellen in den verschiedenen Gehirnbereichen mittels elektrischer Impulse Gedanken formen, Erinnerungen speichern und Gefühle auslösen, ist weitgehend unbekannt.

Markram kleidet das Unwissen in eine Frage: „Wie entsteht aus dem elektrischen Gewirr in unserem Kopf jenes magische Bild von der Welt, das wir wahrnehmen?“

Damit steht auch der Nachbau noch ganz am Anfang. Bisher haben es die Forscher geschafft, einen Bereich zu simulieren, der aus rund 70.000 Nervenzellen und ihren Synapsen besteht – eine sogenannte neokortikale Säule. Sie sind Teil der Hirnrinde, und Markram hält sie für die Grundbausteine unseres Denkorgans.

Um wenigstens ansatzweise nachzuvollziehen, wie aus visuellen Eindrücken – zum Beispiel beim Ansehen eines Fußballspiels im Fernsehen – Begeisterung oder Ärger entsteht, müsste Markram Hunderttausende Säulen zusammenschalten. Doch dafür reicht die Rechenleistung heutiger Computer noch nicht aus. Andere Forscher glauben gar, dass man noch weitere Hirnareale berücksichtigen müsse, um Denken und Fühlen nachahmen zu können. Das erhöhte den Bedarf an Rechenleistung nochmals drastisch .

Bei alledem ist das Lausanner Projekt nicht bloß Selbstzweck, um zu zeigen, dass das menschliche Gehirn brillant genug ist, seine eigene elektronische Kopie zu erschaffen. Gelänge das Vorhaben, würde es Robotik, Computer und Medizin zugleich revolutionieren: Forscher könnten an dem Imitat Psychopharmaka testen und verbessern oder es in Roboter einbauen, die so zu intelligenten Maschinen würden.

Sobald das künstliche Denkorgan funktioniert, will Markram es in einer virtuellen Welt – ähnlich der eines Computerspiels – agieren lassen und an seinen Reaktionen herausfinden, wie Gedanken entstehen und die Nervenzellen Informationen verarbeiten. Vielleicht würde sich sogar so etwas wie ein Bewusstsein entwickeln, hofft Markram. Dann wäre ihm tatsächlich eine realistische Kopie des Gehirns gelungen.

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