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Funkstörung Handy tötet Hamlet

Neue Smartphones stören den Theaterfunk. Für schnelleres mobiles Internetsurfen riskiert die Bundesregierung den Ruin vieler deutscher Bühnen.

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Per Handy ständig erreichbar Quelle: dpa

In seiner hundertjährigen Geschichte hat sich das Theater in Hildesheim immer etwas einfallen lassen, wenn es ums wirtschaftliche Überleben ging. Es begann Musicals aufzuführen, um jüngere Zuschauer anzulocken. Kürzlich fusionierte es mit der Bühne in Hannover, um sich die steigenden Produktionskosten teilen zu können. Doch in diesem Jahr gibt es nichts, was Intendant Jörg Gade noch tun könnte. »Bald drückt jemand bei Vodafone oder der Deutschen Telekom auf einen Schalter, und dann funktioniert hier gar nichts mehr«, sagt der Theatermacher. "Dann muss ich unserem Publikum erklären, warum es von jetzt an nichts mehr hören wird."

Ton aus, Vorhang zu. Verantwortlich dafür ist die Bundesregierung: Sie hat den Mobilfunkkonzernen Telekom, Vodafone und O₂ ein Milliardengeschäft ermöglicht und will nun die deutschen Kulturbetriebe dafür zahlen lassen. Die Gefahr kommt aus Kästen, die aussehen wie überlange hellgraue Schuhkartons. Zurzeit werden sie deutschlandweit zu Tausenden auf Masten und Hochhausdächer geschraubt: Funkmodule für das Handynetz der vierten Generation. "Long Term Evolution" heißt die neue Technik, kurz LTE, und damit kommt das Internet zehnmal schneller aufs Smartphone als heute. Mobilen Datendiensten wird eine große Zukunft vorhergesagt: Der Verkehr wächst ständig, Apple und Nokia wollen noch viel mehr Handys verkaufen und Telekom und Co. viele neue Mobilfunkverträge. Dazu brauchen sie LTE. Anfang April will die Telekom erste Teile ihres neuen Funknetzes in Betrieb nehmen, bald dürften passende Handys zu kaufen sein. Doch wo LTE funkt, kapituliert die Bühnentechnik: Die drahtlosen Mikrofone, die viele Sänger, Schauspieler und Musiker verwenden, funken nämlich auf derselben Frequenz. Weil aber ein LTE-Modul rund 3000 Mal stärker sendet, überlagert es jedes Theatersignal. Die Folge: Statt Gesang, Sprache und Musik dröhnt aus den Bühnenlautsprechern bloß noch ein Dauerrauschen – so klingen Facebook-Postings, YouTube-Videos und Google-Suchanfragen, die als digitale Datenströme durch die Luft sausen.

Umrüsten ist für die Bühnen zu teuer

Anders gesagt: Facebook tötet Hamlet und bringt den Löwenkönig zum Schweigen. Zahlreiche Aufführungen werden technisch unmöglich. Betroffen ist nicht nur das Theater in Hildesheim. Bundesweit stehen mehr als 500 Theater-, Musical- und Opernhäuser, ungezählte Stadthallen, Freiluftbühnen und Konzertsäle, ja sogar Kirchen und Kongresszentren vor demselben Problem.

Insgesamt sind deutschlandweit knapp 700.000 solcher drahtlosen Mikrofone betroffen. Bald wird man sie aufwändig umrüsten oder ersetzen müssen. Dabei sind die kleinen Dinger, die kaum sichtbar als Ohrbügel oder Knopf am Revers getragen werden, richtig teuer. Samt der zugehörigen Technik kosten Profigeräte schnell mehrere Tausend Euro pro Stück, und selbst bei mittleren Bühnenproduktionen sind zehn bis 30 davon gleichzeitig im Einsatz. Sie alle neu anzuschaffen ist für viele Kulturbetriebe schlichtweg utopisch. Die zwei Milliarden Euro an staatlichen Subventionen, die jährlich in die Theaterbranche fließen, erlauben bloß das Allernötigste.

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