Digitale Musik Die Suche nach dem Super-Sound

Das Internet machte MP3-Gedudel allgegenwärtig und raubte der Musik ihre Opulenz. Nun entdecken Künstler, Plattenlabels und Fans den perfekten Sound neu. Es ist eine Offenbarung – und hoch profitabel.

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Neil Young als Global Player Quelle: AP

Neil Young ist kein Freund von Schnörkeln und Shows. Was dem kanadischen Rock-Veteranen wichtig ist, packt er in seine Lieder – und was es zu fühlen gibt, in seine Musik. Und auf der Bühne mit Pyrotechnik statt mit Sound zu begeistern, das war noch nie sein Ding. An die 35 Alben hat der Soundtüftler aufgenommen, der am vergangenen Mittwoch 69 Jahre alt wurde. Und stets hat Young mit einem technischen Manko gehadert: „Von dem was du im Studio oder auf der Bühne aufnimmst, kommt nur ein Bruchteil bei den Hörern deiner Platten an.“

Das soll sich nun gründlich ändern. Gut 35 Jahre nach der Entwicklung der einst für ihren Sound gepriesenen Audio-CD schickt sich eine Generation innovativer Unternehmer und Soundtüftler an, den digitalen Klang in bisher kaum gekannter Qualität und Opulenz neu zu verbreiten. Und Young ist der prominenteste Treiber des Trends zu HiRes-Audio, wie die Szene diese hochauflösende Musik (Englisch: High Resolution) nennt.

Was der Audiowelt bevorsteht, ist ein Innovationsschub, der die Unterhaltungsbranche so verändern wird wie der Techniksprung vom analogen Röhrenfernsehen zum hochauflösenden Digital-TV. Ähnlich wie HDTV viermal detailreichere Bilder liefert, stecken auch in HiRes-Audio rund viermal mehr Klangdetails als in CD-Musik.

Musiker, Plattenlabels, Hi-Fi-Hersteller und Audiophile, sie alle begeistern sich derzeit für die hochauslösende Musik. Denn was da den Weg zum Trommelfell findet, ist eine Offenbarung: Feinste Klangdetails, leiseste Töne, Atemzüge oder zartes Gleiten der Finger über Saiten oder Tasten – alles bekommt eine Klarheit und Transparenz, so als löste die Vormittagssonne schlagartig den Morgennebel auf, und das flaue Grau der Landschaft würde strahlend bunt.

Hi-Fi Produkte

Möglich wird dieser Effekt, weil HiRes-Musik dem perfekten, analogen Originalklang so nahe kommt wie kein digitales Audioformat für den Massenmarkt zuvor. Fast 96 000 Mal pro Sekunde erfasst es die Tonsignale. CDs speichern erfassen das Tonsignal 44 100 Mal pro Sekunde und speichern damit nicht einmal halb so viele Abtastpunkte. Mehr noch, der Super-Sound kann Töne in mehr als 16 Millionen Nuancen wiedergeben, während die CD gerade gut 65 000 Klangabstufungen kennt. Neben der akustischen Feinheit geht das insbesondere zulasten der leisen Tondetails und des räumlichen Klangempfindens.

In den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts konzipiert und mittlerweile total überholt, bieten CDs schlicht nicht genug Platz, um Songs und Musik in so hoher Audioqualität zu speichern, wie sie aufgenommen werden. Also quetschen die Tontechniker den digitalen Sound so lange zusammen, bis alles auf die digitale Platte passt.

Noch weniger vom Original erlebt, wer komprimierte MP3-Dateien oder Audiostream aus dem Netz hört. Da kommt, gemessen am HiRes-Datenstrom, teils nicht mal mehr ein Dreißigstel an. Rock-Legende Young kommentiert das so: „Was heute als Musik verkauft wird, ist oft einfach Shit“, polterte er im März dieses Jahres auf der Konferenz SXSW im texanischen Austin.

Waren CD-Audio und MP3-Musik die Antworten auf begrenzten Speicherplatz und langsame Internet-Verbindungen, so sorgt nun erneut das Internet für den technischen Umbruch. Denn nun ermöglichen immer schnellere Breitbandanschlüsse den HiRes-Pionieren, die Musik in nahezu optimaler Qualität zu den Kunden zu bringen.

Neues Ökosystem für Musik

Neil Young will einer von ihnen sein: Pono hat er das Start-up genannt – was rechtschaffen auf Hawaiianisch heißt –, das er 2012 mit dem Silicon-Valley-Unternehmer John Hamm gegründet hat, um den puren Klang unters audiophile Volk zu bringen.

Ähnlich wie Apples Kombi aus iPod-Musikspieler und iTunes-Store wollen die Gründer zum einen die Hardware verkaufen, ihren Pono-Player, und zum anderen die HiRes-Musik über ihren Pono Musicstore. „Wir schaffen ein ganz neues Musik-Ökosystem“, verspricht Young. Die mobile Musikbox für höchstauflösende Musik erinnert in ihrem dreieckigen Design an eine Schweizer Kult-Schokolade. Young verspricht ähnlichen Genuss – wenn auch im Ohr statt auf der Zunge.

800 000 Dollar, hatten Young und Hamm kalkuliert, würden sie zum Start benötigen, als sie ihr Projekt im April dieses Jahres auf der Finanzierungsplattform Kickstarter vorstellten. Das Geld hatten sie schon am ersten Tag beisammen, und zum Schluss rund 6,2 Millionen Dollar eingesammelt. Seit Ende Oktober können Audiofans den Super-iPod in den USA im Pono Musicstore für 399 Dollar bestellen. Im Frühjahr 2015 soll er lieferbar sein.

Die dritthöchste Summe, die bis dato je ein Kickstarter-Projekt erzielt hatte, ist sicher auch der Prominenz seiner Gründer geschuldet. Aber nicht nur. Denn Young ist zwar der bekannteste, aber mitnichten der einzige Jäger des verlorenen Klanges. Die ganze Audiowelt ist elektrisiert.

Die Erwartungen ans Marktwachstum sind enorm. Was etwa den japanischen Elektronikriesen Panasonic dazu brachte, seine vor zwölf Jahren eingemottete Hi-Fi-Marke Technics wiederzubeleben. Zwei High-End-Anlagen für den neuen Super-Sound haben die Japaner Anfang September auf der Elektronikmesse IFA in Berlin vorgestellt; darunter spezielle Mediaplayer, die HiRes-Musik vom PC oder von einer ans Heimnetz angeschlossenen Festplatte abspielen. In den nächsten Wochen kommen die ersten Systeme in die Läden.

„Die Nachfrage im Handel wächst, und auch online nimmt die Begeisterung für höchste Audioqualität zu“, sagt Michiko Ogawa. Die 51-Jährige ist nicht nur eine der Top-Jazz-Pianistinnen in Japan. Die studierte Toningenieurin verantwortet bei Panasonic zugleich die Wiedereinführung der Traditionsmarke. „Es ist der ideale Zeitpunkt, beste Technik und die Emotionalität großartiger Musik zusammenzubringen“.

Nach drei Monaten profitabel

Bei Lothar Kerestedjian dürfte sie damit auf volle Zustimmung treffen. Der 52-jährige passionierte Schlagzeuger, Sohn eines Armeniers und einer Berlinerin, ist einer der Pioniere der HiRes-Szene. Er kennt das Musikgeschäft aus jeder Perspektive, war Manager der australischen Rockband INXS, hat für den US-Popstar Prince gearbeitet und mehrere japanische Elektronikkonzerne. Vor allem aber ist er ein rastloser Vorkämpfer für erstklassigen Klang. 2011 gründete Kerestedjian mit seinem Bruder Frank HighResAudio.com, einen der inzwischen weltweit führenden digitalen Plattenläden für hochauflösende Musik.

Der Erfolg hat die Gründer selbst überrascht. „Wir dachten, mit dem Angebot vor allem die alten analogen Sound-Enthusiasten zu erreichen und frühestens nach eineinhalb Jahren profitabel zu sein“, erzählt Kerestedjian. „Tatsächlich haben wir schon nach drei Monaten schwarze Zahlen geschrieben, so groß war die Resonanz.“ Zumal neben audiophilen Connaisseuren der Generation 50+ inzwischen zunehmend auch Käufer ab Mitte 20 seinen Online-Shop besuchen. „Gemessen am Massengeschäft, ist HiRes zwar noch eine Nische, aber sie wird immer größer.“

Das liegt auch daran, dass der neue Digitalklang den perfekten Sound plötzlich all jenen Musikfreunden erschließt, denen der Umbau des Wohnzimmers zum privaten Akustik-Labor bisher zu aufwendig war.

„Weil sich die hochauflösenden Soundbits völlig unverfälscht übertragen lassen und analoge Störungen wegfallen, tönt’s auch ohne Riesenaufwand grandios“, sagt Holger Fromme. Der Gründer der Odenwälder Lautsprecher-Manufaktur Avantgarde Acoustic ist in Sachen Hi-Fi eine Instanz. Seit drei Jahrzehnten gelten seine Hornlautsprecher als Referenz. Unverdrossen hat er die Technik optimiert, immer mit dem Ziel, alle denkbaren analogen Störungen aus dem Klang zu eliminieren.

Jetzt hat der 57-Jährige mit dem Zero 1 seinen ersten aktiven, komplett digitalen Lautsprecher gebaut – und räumt damit Hi-Fi- und Design-Preise ab. Wo Soundfetischisten bisher armdicke Kabel mit Goldsteckern zu den Boxen verlegten, „empfangen digitale Lautsprecher ihr Signal künftig drahtlos von der vernetzten Stereoanlage“, sagt der Odenwälder.

Die Verbindung von dezent auftretender Technik und atemberaubendem Klang mache die Hi-Fi-Welt zudem für weibliche Musikfans attraktiver, glaubt Fromme. „Bisher ist das primär ein Thema für Jungs, künftig wird die Zielgruppe viel größer.“

Der Preis der Qualität

Das lohnt sich für die Labels gleich doppelt. Denn was immer die einschlägigen Download-Plattformen an Rock, Jazz, Pop oder Klassik anbieten, stets gibt’s die High-End-Musik nur gegen einen Preiszuschlag gegenüber Downloads in CD- oder MP3-Format. So steht etwa das brandneue Pink-Floyd-Album „The Endless River“ in CD-Qualität für knapp 16 Euro in Apples iTunes Store. Bei Kerestedjian kostet der Download des gleichen Albums – dafür auch in vielfach besserer Auflösung der Sounddatei – 24 Euro.

Gut zwei Drittel davon müssen Online-Händler dem Vernehmen nach an die Labels durchreichen, die daher vom Geschäft mit dem High-End-Sound überproportional profitieren. Und doch noch nicht recht ahnen, welches – auch wirtschaftliche – Potenzial in ihren Audioarchiven lagert.

Kontext

Schließlich muss, wer sich für die neue, akustische Opulenz begeistert, seine Plattensammlung de facto noch einmal kaufen. Denn die bestehende CD-Sammlung oder als MP3-Datei gekaufte Stücke lassen sich nicht mehr sinnvoll in hochauflösende Dateiformate umwandeln. Klangdetails, die bei der CD-Produktion, dem Mastering, und erst recht bei der MP3-Kompression weggefallen sind, lassen sich schlicht nicht mehr herbeizaubern.

Trotzdem bringe manches Plattenlabel alte Aufnahmen technisch auf HiRes-Niveau; doch das sei nichts anderes, als „aus Mist Bonbons zu machen“, ärgert sich Klangexperte Kerestedjian, „die müffeln trotzdem“. Er hat derart aufgeblasene Audiodateien konsequent aus seinem Online-Shop verbannt – und ist stattdessen regelmäßig als Audioarchäologe bei den Musikkonzernen unterwegs. „Immer auf der Suche nach den Originalbändern.“ Immerhin, inzwischen beschäftigten viele Labels eigene Spezialisten, die sogar bei den Aufnahmestudios nach alten Bändern forschen, wenn sich die Originale erfolgreicher Aufnahmen in den eigenen Archiven nicht mehr auffinden lassen.

Und so wächst das Angebot an HiRes-Titeln zwar kontinuierlich, aber längst nicht so rasch, wie die Zahl von Musikveröffentlichungen in den etablierten Formaten. Auch, weil der Super-Sound bei der Aufnahme einiges an Mehraufwand erfordert: „Stücke, die für die Wiedergabe auf MP3-Spielern angepasst sind, klingen keinen Deut besser, wenn man sie einfach ins höherwertige Format umkopiert“, sagt Eric Kingdon, der beim japanischen Elektronikkonzern Sony das Home-Audio- und Video-Geschäft in Europa betreut. „Die müssten ganz neu und hochauflösend abgemischt werden.“

Der 59-jährige Brite ist bei Sony seit den frühen Achtzigern so etwas wie der europäische Grandmaster of Sound, hat die Einführung der CD begleitet und ist nun auch dafür verantwortlich, Sonys HiRes-Audiosysteme für europäische Hörgewohnheiten zu optimieren. „Es ist wie die Befreiung der Musik von den Beschränkungen der Vergangenheit“, sagt Kingdon. „Dabei lässt sich HiRes-Audio so einfach nutzen, wie das die Generation Online seit Jahren mit MP3 kennt.“

Zumindest fast. Denn während die meisten PCs und Multimediaplayer für die heimische Stereoanlage, aber auch erste Smartphones wie Sonys Xperia Z3 bereits HiRes-Dateien in höchster Auflösung abspielen, fehlt die Funktion etwa in Apples neuen iPhone-6-Modellen noch.

Das wird kaum so bleiben. Gerade erst kündigte Musiker Bono, Kopf der irischen Band U2, im Interview mit dem US-Magazin „Time“ an, die Band arbeite mit Apple an einem „unwiderstehlichen Musikformat“. iFans interpretieren das bereits als Zusage, dass HiRes-Audio auch auf iPhone und Co. kommt.

Spätestens das wäre für den Super-Sound der Durchbruch im Massenmarkt.

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