Das Radio gehört seit vielen Jahrzehnten zur Grundausstattung eines jeden Haushalts. Täglich und rund um die Uhr bereiten die Sender eine wohldosierte Mischung aus Nachrichten, Musik, Features und Hörspielen auf. Die Hörer können die Inhalte aufnehmen, ohne dass sie dazu auf ein Display starren müssen. Sie können im Auto sitzen und nebenbei ein spannendes Hörspiel genießen. Oder im Wohnzimmer die Wände tapezieren und nebenbei die aktuellen Popmusik-Charts hören. Oder in der Küche Spaghetti kochen und währenddessen die Live-Übertragung von "La Bohème" mit Anna Netrebko aus der New Yorker Met genießen. Das alles geht eben nur mit dem Radio.
Doch der Empfang ist bei UKW-Radios nicht immer störungsfrei. Geht man am Gerät vorbei, entsteht oft eine kurze Rauschfahne. Schwächere Sender machen keinen Spaß, weil es dann vernehmlich rauscht. Hier werden die Nachteile des analogen Funks deutlich. Genau betrachtet ist das Radio das letzte analoge Gerät. Fernseher, PC, Notebook, Tablet-PC, alles ist heute digital. Sogar die Musik kommt immer öfter von der Festplatte und wird übers Netzwerk gestreamt.
Doch auch beim Radio kündigt sich seit Jahren ein Wandel an. Das Schlagwort heißt DAB beziehungsweise DAB+. Die Abkürzung steht für Digital Audio Broadcasting und bezeichnet einen digitalen Standard für die terrestrische Übertragung von Radiosendungen – also via Funkmast und Antenne. DAB gibt es in mehr als 40 Ländern, allerdings nutzen diese teilweise unterschiedliche Frequenzbänder.
Die Vorteile von DAB+
Der digitale Standard hat auch für die Verbraucher Vorteile. So ist durch die digitale Übertragung rausch- und knisterfreier Empfang möglich – im Idealfall fast in CD-Qualität. Während sich bei UKW schon relativ kleine Störungen im Empfang bemerkbar machen, erklingt eine DAB+-Sendung jederzeit störungsfrei und perfekt, solange das Sendesignal eine gewisse Mindeststärke nicht unterschreitet. So ist der Empfang auch unterwegs stabiler. Hinzu kommt, dass im Digitalradio wesentlich mehr Sender zu empfangen sind als bei UKW. Die DAB+-Displays zeigen auch kurze Textmeldungen und Musik-Infos an. Das gibt es zwar unter dem Begriff RDS (Radio Data System) auch schon bei UKW, doch die RDS-Informationen sind im Umfang deutlich eingeschränkt.
Sendestart im August 2011
In Deutschland hat das Digitalradio DAB+ am 1. August 2011 offiziell den Sendebetrieb aufgenommen. Vorausgegangen war eine lange Erprobungsphase. Erste Digitalradios gab es schon 2004, damals noch mit dem Vorgängerstandard DAB. Zum Sendestart von DAB+ gab es drei öffentlich-rechtliche und neun private Sender. Heute ist die Auswahl deutlich größer. Im Raum München sind derzeit 50 Programme zu empfangen, in Berlin 39, in Hamburg 21. Auf der DAB+-Infoseite Digitalradio.de lässt sich das Programmangebot mit einer interaktiven Karte standortgenau ermitteln. Da sieht man auch, dass DAB+ nicht überall so viel Sender zu bieten hat. In Bautzen gibt es im Moment nur 11 Programme.
Die Sendeanstalten haben ein Interesse daran, UKW möglichst bald einzustellen und den Betrieb auf den digitalen Standard umzustellen. Denn der teure Parallelbetrieb (Simulcast) von DAB+ und UKW mit gleichen Inhalten verschlingt laufend Gebührengelder. Eigentlich wollten die Sendeanstalten das gute alte UKW schon zum Ende dieses Jahres einstellen.
Die Streaming-Anbieter im Internet
Typ: Radio-Streaming
Gestartet: 2008
Sitz: Berlin
Musikangebot: kein lineares Streaming
Besonderes: Auswahl von Stationen für Musikgattungen und Stimmungen, kostenloses Angebot mit Werbung und Abo-Modell
Typ:On-Demand-Streaming
Gestartet: 2007
Sitz: Paris
Musikangebot: 35 Millionen Titel
Typ: Radio-Streaming
Gestartet: 2002
Sitz: London
Musikangebot: kein lineares Streaming
Besonderes: Spielt nach Angabe von Lieblingsgruppen Musik von ähnlicher Richtung
Typ: Radio-Streaming
Gestartet: 2000
Sitz: Oakland, Kalifornien
Musikangebot: Spielt nach Vorgaben der Nutzer Musik in ähnlicher Richtung, in Deutschland nicht verfügbar
Typ: On-Demand-Streaming
Gestartet: 2005
Sitz: Berkeley, Kalifornien
Musikangebot: 16 Millionen Titel. In Deutschland nicht verfügbar
Typ: On-Demand-Streaming
Gestartet: 1999 als Tauschplattform, seit 2005 als kommerzieller On-Demand-Service
Sitz: Los Angeles
Musikangebot: 25 Millionen Titel
Typ: On-Demand-Streaming
Gestartet: 2011
Sitz: London
Musikangebot: mehr als 22 Millionen Titel
Typ: On-Demand-Streaming
Gestartet: 2010
Sitz: San Francisco
Musikangebot: mehr als 30 Millionen Titel
Typ: On-Demand-Streaming
Gestartet: 2009
Sitz: Köln
Musikangebot: mehr als 25 Millionen Titel
Typ: On-Demand-Streaming
Gestartet: 2008
Sitz: Stockholm
Musikangebot: über 20 Millionen Titel
Das Problem ist nur: Laut TNS Infratest stehen derzeit nur etwa fünf Millionen DAB+-Radios in den Haushalten. Dagegen sind 143 Millionen UKW-Radios in Betrieb. Anders als beim Digitalfernsehen, das der Unterhaltungselektronik-Branche den Boom bei Flachbildfernsehern bescherte, sorgt das Digitalradio nicht gerade für Menschentrauben in den Elektronikmärkten. Und die alten UKW-Geräte wollen zum großen Verdruss der Intendanten einfach nicht kaputtgehen.
Eine schnelle UKW-Abschaltung in diesem Jahr wäre also pures Radio-Harakiri geworden.
Immerhin wächst der Anteil von Digitalradios langsam aber stetig. Lag er 2013 noch bei 1,9 Prozent, waren es 2014 immerhin 3,3 Prozent. Deutschlandradio, führender Verfechter von DAB+, nennt das einen "satten Zuwachs von fast 60 Prozent". Solche Jubelmeldungen aus dem Zahlenkeller werden leichter verständlich, wenn man bedenkt, dass der Start erst wenige Jahre her ist. Um die Verbreitung der Digitalradios zu beschleunigen, werden diese von den Radiosendern massiv beworben. Dazu gehören auch Websites wie die bereits erwähnte Digitalradio.de, die unter dem Slogan "Radio der Zukunft" Informationen über Sender, Programme und Geräte verbreitet.
Digital-Radios mit vielen Extra-Features
Langfristig wird sich DAB+ also durchsetzen. An hübschen, neuen DAB+-Geräten mangelt es jedenfalls nicht mehr. Mehr als zweihundert Tisch- und Kofferradios sind aktuell auf dem Markt präsent, dazu kommen rund drei Dutzend DAB+-Radiowecker. Nicht zu vergessen, die Hi-Fi-Stereoanlagen mit DAB+-Tuner. Fast alle Geräte bieten zusätzlich noch UKW-Empfang.
Die Hersteller beschränken sich aber nicht auf die bloßen Radiofunktionen. Viele Geräte verbinden sich via Bluetooth mit dem Smartphone oder Tablet, streamen Musik aus dem Multimedia-Heimnetzwerk oder holen via WLAN-Router Tausende von Webradiosendern ins Haus. Sogar der mit MP3-Musik betankte USB-Stick lässt sich anschließen. Diese oft tragbaren, kompakten Geräte entwickeln sich zu mobilen Soundzentralen und etablieren im Grunde eine neue Geräteklasse. So hat das kleine Küchenradio mehr Auswahl an Musikquellen und Sendern als Gewürze auf der Anrichte stehen. Wie man dieser Vielfalt neben dem Pasta kochen Herr wird, ist eine andere Frage.
Einen weiteren Kaufanreiz soll das extravagante Design vieler Modelle setzen. Hier locken einige Hersteller mit charmanter Retro-Optik, die an klassische Kofferradios aus den 60er- und 70er-Jahren erinnern. Gelungene Beispiele sind die Modelle von Roberts oder View Quest. Andere Hersteller wie Grundig zeichnen eher eine sachlich puristische Linie, mit viel Metall und blau schimmernden Displays.
Die Kardinalfrage: Wie gut klingt DAB+?
Doch lange Feature-Listen und Retro-Optik reichen natürlich nicht, um die Fans des analogen Radios zu überzeugen. Sie fragen vor allem nach der Klangqualität, etwa bei Live-Übertragungen von Konzerten. Infos über Bitraten und Codecs werden in Digitalradio auf dem Display angezeigt. Aber gerade Angaben wie "Bitrate 96 kBit/s" machen audiophile Hörer misstrauisch. Schließlich hat jeder Hi-Fi-Anhänger gelernt, dass komprimierte Musikdaten nicht so gut klingen wie unkomprimierte. Daher die Abneigung der Musikliebhaber gegenüber MP3. Und die vollmundigen Versprechungen der DAB+-Vertreter beziehen sich ja hauptsächlich auf Rauschfreiheit und störungsfreien Empfang.
Kann DAB+ also gut klingen?
Die Antwort ist gar nicht so einfach. Denn die neuen Komprimierungsverfahren für DAB+ sind äußerst effektiv und nicht mit dem betagten MP3-Algorithmus vergleichbar. Das verwendete "MPEG-4 High Efficiency Advanced Audio Coding" kurz HE-AAC (AAC+ v1) liefert bereits bei 96 kBit/s eine "sehr gute Audioqualität, die auch von Experten in Hörtests nur in Einzelfällen von uncodierten Signalen unterschieden werden können." Das zumindest behauptet das Münchner Institut für Rundfunktechnik (IRT).
Manchen überzeugt auch das nicht. Technisch versierte Hi-Fi-Fans stören sich nämlich an einem Codierungstrick, der "Spektralband-Replikation" (SBR). Stark vereinfacht ausgedrückt, spart man sich dabei die Übertragung höherer Frequenzen ab etwa 5 bis 10 kHz. Bei der Dekodierung des Musiksignals im Digitalradio werden die ausgesparten Frequenzen wieder aus den Hüllkurven der niedrigeren Frequenzen errechnet. Diese Berechnung klappt aber nur annähernd, da sie auf Annahmen basiert, die nicht unbedingt zutreffen müssen. Zwar hört das Ohr in diesem Bereich weniger kritisch, die Klangeinbußen sind also nicht dramatisch, aber ein Verlust an Klangqualität ist es eben doch.
Das ist aber nicht der einzige Trick, um Bandbreite auf Kosten des Klangs zu sparen. Es gibt auch die Möglichkeit, das Stereosignal nur in Mono zu übertragen und den Stereoeffekt später aus eingebetteten Zusatzdaten zu rekonstruieren – "parametrisches Stereo" genannt (PS).
Auf diese Weise liefern sparsame Bitraten um 64 kBit/s und weniger noch akzeptablen Radioklang. Pro Kanal können mehrere Programme stückchenweise in abwechselnden Paketen übertragen werden, das sogenannte Multiplexing. Bis zu acht und mehr Programme kann so ein Multiplex-Ensemble enthalten. Je geringer also die Datenrate umso mehr Programme. Das ist preisgünstiger und deshalb sogar für Privatsender interessant. Bislang scheuen viele Privatsender den zusätzlichen Einstieg in DAB+, der sich einfach noch nicht rechnet.
DAB+ rettet sich mit hochwertiger Soundqualität
Für das audiophile Lager sind das aber eher schlechte Nachrichten. Doch hier naht die Rettung. Denn DAB+ ist durchaus in der Lage, hochwertige Soundqualität zu produzieren, und zwar bei Bitraten ab etwa 128 kBit/s. Das DAB+-Klassik-Programm des Bayerischen Rundfunks beispielsweise wird mit 144 kBit/s gesendet. Die oben erwähnten Tricks SBR und PS bleiben außen vor. Außerdem kommt ein anderer klanglich besserer Codec (AAC-LC) zum Einsatz. Das hört sich auch über gute Kopfhörer schon sehr CD-ähnlich an. Olaf Korte vom Fraunhofer Institut IIS meint: "Bitraten von 128 bis 160 kBit/s mit dem Codec AAC-LC würde ich CD-nahe Qualität zusprechen".
Das wäre dann übrigens auch gegenüber UKW ein klanglicher großer Fortschritt. Zu hoffen bleibt, dass die Digitalradiosender zumindest bei anspruchsvoller Musik auf klangmindernde Tricks verzichten, auch wenn das Bandbreite beansprucht und damit mehr Geld kostet.
Der Wiwo-Praxistest
Was das Digitalradio in der Praxis leistet, hat die Wiwo-Redaktion anhand von drei Radios aus drei Geräteklassen ausprobiert. Ein Radiowecker von Pure, ein Kofferradio von Roberts und ein hochwertiges Stereo-Tischradio von Noxon mussten auf den Prüfstand. Die wichtigsten Erkenntnisse daraus: Trotz großer Preisunterschiede ist die Qualität des DAB+-Empfangs bei den Geräten ungefähr gleich. Die Zeiten, in denen besonders empfindliche und trennscharfe Empfangsmodule einem UKW-Radio besseren Empfang als der Konkurrenz ermöglichten, sind bei DAB+ offensichtlich vorbei.
Für den Klang wichtiger als die Signalqualität sind die Verstärkermodule und die Lautsprecher der Geräte. Da führt oft der Rotstift sein unfreundliches Regiment. Wer ein Digitalradio anschafft und auf guten Sound Wert legt, sollte also im Datenblatt vor allem auf die verwendete Lautsprecher- und Verstärkertechnik schauen.
Bei den kleineren Koffer- und Tischradios lässt sich aber meistens gar nicht beurteilen, ob der DAB+-Klang wirklich fast so gut ist wie von CD. Denn die Sound der kompakten Geräte ist generell nicht gut genug, um mögliche Unterschiede auch deutlich hörbar zu machen.
Der Wiwo-Praxistest zeigt daneben, dass manchmal ein paar Zentimeter über noch ausreichenden Empfang entscheiden können. Das ist ein entscheidender Vorteil der Digitaltechnik: Auch schwacher Empfang ab etwa 20 Prozent der maximalen Signalstärke genügt für klaren rauschfreien Klang.
Fazit: Das Radio lebt
Die Versprechungen des Digitalradios sind zwar recht vollmundig, teilweise aber auch berechtigt. Wenn der Ausbau der DAB+-Sendestationen fortschreitet, dürfte der Empfang in entlegenen Regionen noch stabiler werden. Auf der Haben-Seite steht auch das größere Klangpotenzial gegenüber UKW – sofern es von den Sendern denn genutzt wird. Mit den schicken Digitalradios ist eine neue Geräteklasse entstanden, die mit Netzwerkanschluss und Internetradio noch mehr Informationen und Unterhaltung ins Wohnzimmer bringt. Das gute alte Radio wird also auch in Zukunft zur Grundausstattung eines jeden Haushalts gehören.