Claudia Tonnemacher* arbeitet als Verkäuferin in einem Sportfachgeschäft am Stadtrand von München. Am besten kennt sie sich mit Bikes, Zubehör und der passenden Kleidung aus. Klar, dass sie selbst jeden Morgen die 14 Kilometer lange Strecke zur Arbeit mit ihrem straßentauglichen Mountain-Bike zurücklegt, und zwar auch im Winter. Wenn es im Januar oder Februar richtig ungemütlich wird, kämpft sie sich mit Spike-Reifen durch Schnee und Eis. "Radfahren im Schnee macht mir Spaß", sagt sie.
Wer dieses Vergnügen nicht nachvollziehen kann, muss es einfach mal ausprobieren. Als Radfahrer hat man in der dunklen Jahreszeit freie Fahrt, weil die Kollegen der Schönwetter-Fraktion alle in der U-Bahn sitzen. Und während die Mitmenschen frierend an der Bushaltestelle stehen, gleitet der Winter-Radler durch eine lautlose Landschaft, in der der Schnee alle Geräusche schluckt. Radfahren im Winter kann wunderschön sein.
Vorausgesetzt natürlich, es liegt Schnee und man hat die passende Kleidung an.
Hightech-Klamotten für jeden Zweck
Was die Kleidung betrifft, gibt es inzwischen eine riesige Auswahl von zweckmäßigen Jacken, Westen, Hosen, Mützen und Handschuhen für den Biker. Hersteller wie Protective, Vaude, Gonso und viele andere sind gut im Geschäft. Auch das Fahrrad kann das ein oder andere winterliche Upgrade gut vertragen. Beispielsweise Spike-Reifen oder neue Frontscheinwerfer.
Auf den ersten Blick sehen die Biker-Textilien auch nicht anders aus als gewöhnliche Sportklamotten. Die Unterschiede zeigen sich beim genauen Hinsehen. Bei den Jacken sind die Ärmel typischerweise etwas länger geschnitten und mit einer Schlaufe für den Daumen versehen. So rutscht der Ärmel bei der Fahrt nicht zurück. Auch am Rücken sind Biker-Jacken etwas länger geschnitten. Zudem sind die Jacken an der Vorderseite windgeschützt, die Rückseite hingegen ist leichter und atmungsaktiv ausgeführt. Ähnliches gilt für Radhosen, die an Knien und Oberschenkeln besonders gut geschützt sind.
Handschuhe für Biker besitzen an der Innenseite eine Dämpfung aus Schaumstoff oder Gel, die beim Halten des Lenkers für Komfort sorgt. Die Hersteller bewerben ihre Handschuhe auch mit dem Schlagwort "Touchscreen-kompatibel". Man muss den Handschuh also nicht abstreifen, wenn man unterwegs das Navi oder das Smartphone nutzen will. Nützlich sind auch Windschutzwesten. Die sind sehr leicht und zusammenfaltbar und bewahren den Oberkörper vor dem kalten Fahrtwind.
Funktionell oder modisch
Wer sich im Fachhandel von Spezialisten wie Claudia Tonnemacher beraten lässt, wird nach einiger Zeit drei Kategorien von Bike-Ausrüstung unterscheiden lernen. Erstens: Echte Hightech-Bekleidung für sehr sportliche Mountain-Biker und Tourenfahrer, die unerschrocken durch Schnee und Eis jagen. Mehrschichtige Jacken, spezielle Latzhosen, Sturmhauben und dicke Handschuhe gehören in diese Kategorie. Diese Hightech-Kleidung ist nicht nur warm, sondern funktionell bis ins Detail durchdacht. Allerdings nimmt diese Kleidung keine modischen Rücksichten. Abseits der Radtour sieht man damit eher skurril aus. Man denke nur an die Latzhosen-artigen Bikerhosen.
Praxistipps beim Fahrradkauf
Für kürzere Distanzen und Wartungsmuffel: Nabenschaltung. Für größere Entfernung oder hügeliges Gelände: Kettenschaltung.
Gemeinsam mit dem ADFC-Experten René Filippek bringt Wiwo.de die Checkliste für den Kauf des City Bikes.
Durchaus empfehlenswert, weil wartungsarm, aber nicht unbedingt nötig.
In Deutschland beliebt, aber relativ geringe Bremskraft. Besser sind zwei Handbremsen.
Gehen leicht kaputt, müssen gelegentlich nachgestellt werden. Besser ist ein bequemer gefederte Sattel.
Schützt die Hosenbeine vor Verschmutzung, ist aber bei Kettenschaltungen ein Quell des Ärgers, weil unzuverlässig und schadensanfällig.
Fest montiert unbedingt zu empfehlen.
Zuverlässig und besser als Batterielicht.
Typisch für Stadträder, aber eher Geschmackssache.
Sinnvoll, bei Fahrten, die häufig unterbrochen werden oder für ältere Menschen. Allerdings sind solche Rahmen meist nicht so steif wie Diamantrahmen; das könnte ein Problem bei schwerer Zuladung sein.
Gut, wenn man schwere Einkäufe transportiert oder ein Kindersitz montiert hat.
Sinnvoll, verhindern manche Reifenpanne.
Beide Werkstoffe sind im Prinzip gut. Hier kommt es eher auf die Sorgfalt bei der Fertigung an, deshalb Vorsicht bei Billigrädern. Stahl sollte den Zusatz CrMo oder 25CrMo4 (Chrom-Molybdän) tragen, Hi Ten-Stahl ist beim Rahmen nicht so gut.
Beides ist gleich gut, entscheidend ist die Sorgfalt bei der Fertigung.
Sehr verwindungssteif und leicht, aber auch teuer. Spielt bei City Bikes praktisch keine Rolle.
Eine zweite Kategorie bilden Biker-Textilien, bei denen die funktionellen Details und der Witterungsschutz etwas moderater ausfallen. Sie sind eher für den Biker in der Großstadt oder den Hobby-Radler konzipiert. Mit diesen Outfits kann man sich auch beim Winterspaziergang sehen lassen. Die dritte Kategorie bilden Textilien, die mit Windschutz und Wärmeisolierung die Erfordernisse der Biker gerade noch erfüllen, die aber stärker auf modischen Schnitt und aktuelle Farbgebung abgestellt sind. Solche Jacken oder Westen sehen dann auch beim Gang ins Büro oder in der Freizeit gut aus.
*Name geändert
Fahrradkleidung anno 1900
Beim Aufbau der Sportkleidung hat sich das Schichtenprinzip bewährt. Die unterste, körpernahe Schicht ist in der Regel aus hautfreundlichem, leicht angerautem Stoff, der die Feuchtigkeit schnell nach außen leitet. Eine dicke mittlere Schicht dient der Wärmeisolation und eine äußere Schicht schützt vor Wind und Nässe.
So brandneu wie die Hersteller gerne suggerieren, ist der Aufbau der Hightech-Klamotten gar nicht. Die Grundprinzipien waren schon vor mehr als 100 Jahren bekannt. Nachzulesen ist das beispielsweise in "Das Radfahren und seine Hygiene" von Dr. med. Schiefferdecker, erschienen um 1900. In dem mehrere Hundert Seiten dicken Wälzer schreibt Schiefferdecker auch über die Radbekleidung. Genauestens setzte sich damit auseinander, welcher Stoff die höchste "Luftdurchgängigkeit" hat, welcher am weichsten auf der Haut liegt und welcher am besten vor Regen schützt.
Auch auf die Unterwäsche kommt es an
Seine Erkenntnisse gelten im Prinzip heute noch, auch wenn der Zweirad-Gelehrte keine synthetischen Materialien, sondern die Eigenschaften von Wolle, Leder, Leinen oder Seide bespricht. Dem Rad fahrenden Herren empfiehlt Schiefferdecker als Regenschutz den Mantel "Wetterfreund" aus einem "dünnen, ziemlich festen Stoff, der aber doch hinreichend porös" ist. Auch für die Damenwelt hält Dr. Schiefferdecker Ratschläge parat. Er empfiehlt unter anderem als Unterwäsche für "gesundheitsgemäßes Radfahren" ein Reformkorsett, das nur ganz "wenige Fischbeinstangen" enthält. Darüber solle die Damen am besten ein Hosenkostüm tragen.
Wenn die Textilindustrie also die Kombination von isolierenden und atmungsaktiven Schichten als grandiosen Fortschritt präsentiert, kann man nur sagen, alles schon dagewesen. Auch wenn Frauen beim Radfahren heute kein Korsett mehr tragen und Männer keine Jägerweste aus Lodenstoff.
Moderne Sportkleidung besteht heute weitgehend aus synthetischen Materialien. Die Hersteller überbieten sich gegenseitig mit Schlagworten wie Polypropylengarn, Sympatex, Super-Mesh, Primaloft, Clarino, Super-Thermo-Mesh, Polartec Power Grid oder Hightex-Thermo. Sie alle haben eines gemeinsam, sie werden aus synthetischem Material, wie Polyester oder Polypropylen hergestellt. Hauptvorteil der synthetischen Stoffe ist, dass sie sehr leicht sind, schnell trocknen und atmungsaktiv sind.
Synthetische Fasern aus Recycling
Allerdings kann man die synthetischen Stoffe bei Schäden oder Rissen nicht so leicht reparieren. Zu Nadel und Faden greifen und flicken geht hier nicht. Zudem sind die Materialien nicht biologisch abbaubar und deshalb auch nicht wirklich umweltfreundlich. Allerdings lassen sie sich in der Regel recyceln. Ähnlich wie die Plastikflasche kann also auch die abgetragene Bikerjacke wieder im Wertstoff-Kreislauf landen.
Viele Hersteller setzen bereits auf Recycling-Ware. Das deutsche Familienunternehmen Vaude, bekannt bei allen Bergsportlern und Outdoor-Fans, wirbt beispielsweise mit nachhaltiger und sozial fairer Produktion. Auch der US-amerikanische Outdoor-Spezialist Patagonia hat sich auf Biker-Kleidung spezialisiert, die weitgehend aus recyceltem Material stammt und verarbeitet außerdem Stoffe wie Hanf oder Baumwolle aus nachhaltigem Anbau.
Bei einigen Produkten mischt Patagonia recycelte Polyester-Fasern mit Merinowolle.
Alternative Merinowolle
Merino ist ein schönes Beispiel dafür, dass klassische Naturfasern noch keineswegs out sind. Denn nicht jeder mag die Synthetik-Textilien. Merinowolle hat große Vorteile. Vor allem Vielreisende und Wanderer schwören auf Unterhemden oder T-Shirt aus der Wolle des Merinoschafs. Die Wolle besteht aus besonders langen Fasern. Der Stoff ist daher sehr glatt, weich und elastisch. Darüber hinaus ist Merinowolle temperaturausgleichend und transportiert Feuchtigkeit nach außen.
Daneben wirkt Merino antibakteriell. Vor allem Männer lieben Merino, denn die Shirts können mehrmals hintereinander getragen werden, ohne gleich unangenehm zu riechen. Die Synthetikfasern dagegen beginnen schnell zu muffeln und müssen daher nach jedem Tragen in die Wäsche. Sollte bei der Funktionswäsche sich mit der Zeit trotz regelmäßiger Wäsche ein schlechter Geruch festsetzen, hilft angeblich der Kühlschanktrick. Das Kleidungsstück in eine Plastiktüte stecken und für einen Tag ins Gefrierfach legen. Das soll Bakterien und Geruch abtöten.
Sportbrillen und Spike-Reifen
Mit einer funktionalen Jacke, Handschuhen und Mütze ist der Radfahrer im Winter schon mal fürs Gröbste gerüstet. Zur sinnvollen Ausstattung gehört aber auch eine Brille. Sie schützt empfindliche Augen vor dem kalten Fahrtwind und sie dämpft das extrem helle Licht in verschneiter Umgebung. Hochwertige Brillen werden oft mit austauschbaren Gläsern mit unterschiedlichem Tönungsfaktor geliefert. Hinzu kommen Polarisationsfilter, die Reflexionen von glänzenden Flächen mindern. Das ist bei schneller Fahrt ein Sicherheitsvorteil. Manche Hersteller setzen auf selbsttönende (photochromatische) Gläser. Diese passen sich automatisch der Helligkeit der Umgebung an.
Hier ist allerdings die Frage, ob die Gläser bei der Fahrt schnell genug auf Helligkeitsschwankungen reagieren können. Fährt man schnell durch eine Gegend, in der schattenspendende Bäume und Passagen unter freiem Himmel sich in rascher Folge abwechseln, sind die selbsttönenden Gläser meist zu langsam.
Herkömmliche Sonnenbrillen sind für sportliche Biker nicht ideal. Anders als die um die Seite herumgezogenen Sportbrillen schützen Sonnenbrillen nicht vor seitlich einfallendem Licht. Zudem sind Sportbrillen bruchsicher und durch Nasenauflagen aus Gummi oder Silikon oder flexible Bügel auf festen Sitz optimiert. Sie können so bei schneller Bewegung nicht so leicht verrutschen. Und schließlich sind die Bikerbrillen auch mit speziellen Belüftungsschlitzen ausgestattet, die ein Beschlagen der Gläser verhindern.
Für das Radfahren in der kalten Jahreszeit sollte man auch einen Blick auf die Bereifung werfen. Wer bei Schnee und Eis unterwegs ist, braucht Spike-Reifen. In Deutschland am bekanntesten sind die Hersteller Schwalbe und Continental. Gute Winterreifen gibt es aber auch von Nokian Tyres, dem finnischen Winterreifenspezialisten, der ursprünglich aus der gleichen Gummifabrik stammt, aus der auch der Elektronikkonzern Nokia hervorgegangen ist.
Spike-Reifen fahren sich auch bei trockenem Wetter nicht so schlecht, wie man annehmen könnte. Erfahrene Biker pumpen den Reifen bei Schnee oder Glatteis weniger stark auf. Dann ist die Auflagefläche des Reifens und dementsprechend auch die Reibung größer. Somit kann der Fahrer das Rad besser kontrollieren und rutscht nicht so leicht weg. Bei trockener Fahrbahn dagegen ist ein hoher Druck besser. Weil beim prallen Reifen Auflagefläche und also Reibung kleiner sind, kommt man leichter voran.
Fachleuten wie Claudia Tonnemacher, muss man sowas nicht mehr erklären. Sie hat auch dieses Jahr ihre Winterreifen schon bereit gelegt.