Das Smartphone ist für die meisten Menschen längst zu einem ständigen Begleiter geworden. Das ständige checken von E-Mails, sozialen Netzwerken, Surfen und dergleichen hat schon den Begriff der "Generation Kopf unten" geprägt. Und abseits von Problemen wie einem steifen Nacken oder wunden Daumen verändert das häufige Tippen und Wischen sogar unsere Gehirnstruktur. Das hat eine Gruppe von Schweizer Forschern unter Leitung des Neurophysiologen Arko Ghosh nun herausgefunden.
Die sieben Smartphone-Sünden
Gemeint ist die übertriebene Lust am Schnäppchen mittels App. Viele gehen zwar zum Aussuchen oder Anprobieren von Klamotten ins Geschäft, bestellen dann aber lieber günstiger im Internet. Mancher macht noch im Geschäft mit Barcode-Scanner den Preisvergleich. Wenn das alle machen, gibt es bald kein Shoppen und Bummeln mehr, sondern nur noch Online-Handel und Postdienste. Die Geiz-ist-geil-Mentalität lässt Innenstädte und Einkaufszentren zur Kapitalismuskulisse werden. Der geschniegelte Verkäufer zeigt einem alles in schicker Atmosphäre und der Schichtarbeiter packt es dann in trostloser Umgebung in Kartons.
Gemeint ist der vom Smartphone verstärkte Übermut gegenüber alter Technik. Vor allem das Festnetz scheint kulturell abgemeldet zu sein. Ruft ja sowieso nur noch Mama drauf an. Oder nervige Werbefirmen. Stört mit seinem lauten Klingeln in ruhigen Minuten, erschreckt beim Chatten oder SMS-Tippen. Die Ära des Festnetzes war die Zeit, als man Telefonnummern noch auswendig kannte. Heute gibt man neuen Bekanntschaften sein Facebook-Profil. Die Festnetznummer aufzuschreiben gilt als old school. Doch in Zeiten des Festnetzes lief man wenigstens nicht Gefahr, überfahren zu werden, weil man mit starrem Blick aufs Handy über die Straße lief.
Gemeint ist die Reaktion auf die vielen abrufbaren Neuigkeiten aus dem Freundeskreis. Soziale Netzwerke wie Facebook verstärken das Nicht-Gönnen-Können. Das sagen zumindest Forscher der Technischen Universität Darmstadt und der Humboldt-Universität Berlin. Schuld sind die fast durchweg positiven Nachrichten, die die „Freunde“ posten. Urlaubsbilder, berufliche Erfolge, Fotos vom Essen. Um negative Gefühle wettzumachen, wird mit eigenen Erfolgsgeschichten reagiert - so dreht sich die „Neidspirale“ weiter. Ein Teufelskreis.
Gemeint ist die Bequemlichkeit und Faulheit, sich nichts mehr merken zu müssen, weil man ja den leistungsstarken Taschencomputer immer bei sich trägt. In Gesprächen wird einfach gegoogelt, wenn keiner weiter weiß. Heute kann man auch einfach losfahren oder laufen, ohne zu planen. Geht ja alles bestens unterwegs. Fahrpläne, Stadtpläne, E-Mails - alles ist bei Bedarf verfügbar. Verabredungen sind nur noch grob nötig. Wir finden uns dann schon, rufen einfach an, schreiben kurz eine Message. Das ist einerseits alles ganz wunderbar, andererseits ersetzt Verpeiltheit zunehmend die gute alte Verlässlichkeit.
Gemeint ist die Maßlosigkeit bei der Benutzung all der schönen Smartphone-Anwendungen. Viele bekommen den Hals nicht voll, seien es Computerspiele, Chats oder tatsächlich Telefonate, die gerne laut und störend in der Bahn, im Restaurant, im Supermarkt oder auf der Straße geführt werden. Mit dem Alleskönner in der Tasche kann man in sozialen Netzwerken auch immer sofort kommentieren - oft leider unüberlegt und fies. Im Internet surfen kann man sowieso. Hauptsache, niemals einfach mal die Klappe halten oder die Hände still halten.
Gemeint ist die grenzenlose Sammelwut neuer Reize mit dem Smartphone. Das Internet scheint manchmal nur für Sex und Porno erfunden worden zu sein. Doch die sinnliche Begierde schlägt auch in anderen Bereichen zu. Früher gab es das Klischee vom Japaner, der seinen Urlaub nur durch die Kamera sieht und die Ferien erst zu Hause mit Hilfe von Filmen und Fotos „erlebt“. Heute ist das ein Massenphänomen. Was nicht aufgezeichnet wurde, scheint nie passiert zu sein. Bei Popkonzerten zum Beispiel hat kaum noch jemand die Hände frei zum Klatschen. Leuchtende Displays überall. Die Musiker auf der Bühne schauen statt auf ein Meer von Feuerzeugen auf ein Feld von Handys. Wer schaut sich das Gesammelte überhaupt an?
Gemeint ist die provozierte Wut, wenn man sein Handy wichtiger nimmt als Menschen, die gerade bei einem sind. Wer in einem persönlichen Gespräch immer aufs Smartphone linst und damit signalisiert, dass er in Gedanken ganz woanders ist, kann bei seinem Gegenüber Zorn erzeugen. Das Schlimme am Smartphone ist die Vergrößerung der Welt. Die Technik erlaubt jedem, viel mehr von den parallelen Ereignissen mitzubekommen und danach süchtig zu werden. Viele verfallen der grotesken Angst, ständig etwas zu verpassen. Selbst beim Ausgehen in Bars oder Restaurants sieht man immer öfter Menschengruppen ins Smartphone statt ins Gespräch vertieft.
Für die Untersuchung wurden aus 37 Testpersonen zwei Gruppen gebildet. Über einen Zeitraum von zehn Tagen sollten 26 Versuchspersonen ein Smartphone verwenden, die übrigen Teilnehmer bekamen ein normales Handy ohne Touchscreen. Im Anschluss wurden mit Elektroden die Hirnströme der Probanden gemessen, während die Fingerkuppen gereizt wurden.
Bei den Smartphone-Nutzern stellten die Forscher eine deutlich veränderte Gehirnaktivität fest, wenn Daumen, Zeige- und Mittelfinger berührt wurden. Konkret zeigten sich Veränderungen im sogenannten somatosensorischen Cortex: Dieses Areal ist dafür zuständig, die Signale aller Körperbereiche zu verarbeiten - also auch die der Finger.
Veränderungen in diesen Hirnbereichen kennt man etwa von geübten Geigenspielern: Hier ist das Areal, das für den instrumentführenden Finger verantwortlich ist, stärker ausgeprägt. Die schnellen und präzisen Bewegungen von Daumen, Zeige- und Mittelfinger prägten sich offenbar ähnlich ein wie das Üben eines Geigenspielers.
Gosh und sein Team wollten nun herausfinden, ob sich eine solche Veränderung auch bei Smartphone-Nutzern ausprägt. Und tatsächlich konnten die Wissenschaftler in ihrem Versuchsaufbau zeigen, dass die Areale, die für die Bewegungen von Daumen, Zeige- und Mittelfinger zuständig sind, aktiver sind als bei Nutzern herkömmlicher Handys.
Der Daumen reagiert am heftigsten
Auch die Häufigkeit der Smartphone-Nutzung hat Auswirkungen: Hier sind die Hirnaktivitäten noch stärker gesteigert.
Je intensiver die Probanden ihr Smartphone im Zehn-Tages-Zeitraum nutzten, desto stärker waren auch die messbaren Hirnsignale. Dabei habe es auch keine Rolle gespielt, wie lange die Versuchspersonen zuvor bereits ein Smartphone besessen hätten.
Dies sei ein Unterschied zu den Gehirnveränderungen, die man bei Violinisten kennt: Bei Letzteren hängt die Signalstärke davon ab, wie lange sie das Instrument schon spielen. Am deutlichsten zeigte sich der Zusammenhang beim Daumen und dem zugehörigen Hirnbereich. Je kürzer die letzte Smartphone-Nutzung zurücklag, umso stärker ließ sich das zuständige Gehirnareal durch eine Reizung der Daumenspitze aktivieren.
In einer Mitteilung zur Veröffentlichung der Studie teilte Ghosh mit, das Ausmaß der Veränderungen sei unerwartet hoch gewesen: "Die digitale Technik, die wir im Alltag nutzen, prägt die Sinnesverarbeitung in unserem Gehirn. Vom Ausmaß der Unterschiede war ich wirklich überrascht." Welche Mechanismen genau dahinterstecken, soll nun weiter erforscht werden.