Google Glass In zehn Jahren sind Datenbrillen Standard

Der Internet-Riese Google legt seine Datenbrille Glass auf Eis. Doch die Technik deshalb abzuschreiben, wäre ein großer Fehler. Warum das so ist.

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Google stellt die erste Version von Google Glass ein und will einen Neustart versuchen Quelle: dpa

Das kleine Grüppchen deutscher Journalisten, das in den späten Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts die Fußgängerzone von Norwegens Hauptstadt Oslo hinaufbummelt, sieht höchst Ungewöhnliches. Während daheim der gerade erst gestartete digitale Mobilfunk noch eine ebenso teure wie elitäre Kommunikationsform ist, während Handybesitzer mehr als Wichtigtuer verlacht, denn als effektive Netzwerker bewundert werden, stehen die Dinge bei den Skandinaviern ganz anders.

Gefühlt jeder Zweite, der die Karl Johans Gate entlang schlendert, hat ein Handy am Gürtel hängen, viele Passanten stehen – nur scheinbar in Selbstgespräche vertieft – vor den Schaufenstern und plaudern tatsächlich via Handy mit ihren entfernten Gesprächspartnern. Der vermeintlich so skurrile Anblick ist eine höchst exakte Blaupause für das, was sich in den Jahren danach auch bei uns zum kommunikativen Normalfall des Smartphone-Zeitalters entwickelt.

Genau daran musste ich denken, als gestern noch einmal eine Technologie in der Berichterstattung aufblitzte, die viele in den vergangenen Wochen und Monaten schon als gescheitert abgeschrieben haben: Datenbrillen, deren prominentestem Exemplar – Google Glass – der Internet-Gigant gestern vorerst einmal die rote Karte gezeigt hat.  

In der bisherigen Form zumindest, wird das Projekt nicht mehr weiter geführt. Wer noch eines der Exemplare aus der ersten Serie, der „Explorer Edition“ kaufen will, der muss sich beeilen. Am 19. Januar beendet Google den Verkauf.

Fakten zu Google Glass

War’s das also mit den smarten Brillen? Haben Datenschutzbedenken, technische Schwachstellen (wie Stromverbrauch, Darstellungslimitationen) oder Tücken bei der Bedienung sich als so gravierend erwiesen, dass die Mikrodisplays überm Augenwinkel das gleiche Schicksal ereilt wie andere, einst so gefeierte Ideen wie etwa fliegende Autos?

Mitnichten. So wie wir uns heute kaum mehr vorstellen, können ohne Handy unterwegs zu sein, wie der schnelle Wisch übers Großdisplay am Taschentelefon uns das Wissen des Internets an fast jeder Stelle zugänglich macht und so wie Smartphones eben nicht mehr belächeltes Accessoire aufgeblasener Wichtigtuer sondern Statussymbole einer neuen Generation geworden sind, für die das Telefon wichtiger ist als ein eigenes Auto – so wird sich auch die Akzeptanz der Mikrodisplays vor dem Auge in den kommenden Jahren radikal wandeln.

Zehn verrückte Gadgets
Baidu EyeInformationen werden hier nicht visuell zugeführt, sondern akustisch. Laut Hersteller ist die offizielle Begründung, damit Strom zu sparen: Der Akku von Baidu Eye soll zwei Stunden halten. Google Glass hält hingegen nur 45 Minuten durch. Über die Kamera-Mikrofon-Konstruktion des chinesischen Suchmaschinenkonzerns können Nutzer sich Infos zu ihrer Umgebung mitteilen lassen. Man trägt es wie eine verkehrt herum aufgesetzte Brille. Quelle: Presse
KIWI.KIDie Haustür ohne Schlüssel öffnen - das soll das Gadget von KIWI.KI möglich machen. Man kommt mit dem kleinen Transponder „Ki“ zur Haustür, diese springt durch Kommunikation mit dem Türsummer automatisch auf. Das lästige Wühlen und Suchen nach dem Schlüsselbund gehört so der Vergangenheit an. Es gibt auch eine App, die die Haustür etwa vom Sofa aus öffnen kann. Quelle: Presse
Smarte EssstäbchenSmarte Essstäbchen von Baidu sollen erkennen können, ob schlechtes Öl für die Zubereitung von Speisen verwendet wurde. Zusätzlich können sie angeblich den ph-Wert des Wassers, die Temperatur und den Gehalt des Zuckers in Früchten messen. Baidu machte noch keine Angaben, wann die Essstäbchen auf den Markt kommen sollen. China wurde in der Vergangenheit immer wieder von Lebensmittel-Skandalen erschüttert. Quelle: dpa
ParceParce ist der Name einer Steckdose, die selbstständig das Nutzerverhalten der Verbraucher erlernt. Damit kann der Stromverbrauch gesenkt werden – die Steckdose ist zusätzlich via W-Lan ans heimische Netz angeschlossen, damit Nutzerdaten ausgewertet werden können. Die Steckdose erkennt, wann elektronische Geräte am häufigsten genutzt werden und kann in Leerlaufzeiten den Saft abdrehen. So sollen sich im Jahr bis zu 150 Euro an Stromkosten sparen lassen. Quelle: Presse
Keine bösen E-Mails mehrVier Forscher der Islamischen Universität für Technologie in Bangladesch haben ein Programm entwickelt, das erkennen soll, wenn der Benutzer wütend auf die Tastatur einhackt. Wenn der Verfasser also allzu wirsch in die Tasten haut, könnte die Tastatur der Zukunft vorschlagen, eine kleine Pause einzulegen, um sich abzuregen. Das Projekt ist aber noch in der Forschung. Quelle: Fotolia
Der perfekte DrinkIn Internetshops ist der Cocktailmixer The Perfect Drink bereits bestellbar. Die intelligente Waage wird mit einer App gekoppelt. So wird genau gemessen, welche Menge welcher Zutat noch für den Cocktail benötigt wird. Quelle: Presse
iGrill miniFür Grillfans könnte das „iGrill mini Bluetooth Thermometer“ interessant sein. Dieses Gerät verbindet sich via App mit dem Smartphone. Sobald die gewünschte Zieltemperatur erreicht ist, bekommt der Anwender eine Push-Nachricht.  Quelle: Presse

Schon in Googles erster Glass-Edition war die Technik auf ein bemerkenswert winziges Maß zusammengeschrumpft. Doch was wir künftig erwarten können, wird noch weit winziger.

Der japanische Technikkonzern Brother etwa arbeitet seit Jahren an einer Technik, die ganz ohne externes Display auskommt und stattdessen – mithilfe von Laserlicht einer ungefährlichen Wellenlänge – Bilder aus dem Augenwinkel direkt auf die Netzhaut projiziert. Einen eigenen Bildschirm vor dem Auge braucht‘s dafür nicht mehr.

Forscher am Centre of Microsystems (CEMST) an der Universität Gent haben bereits vor gut zwei Jahren erste Prototypen durchsichtiger Kontaktlinsen mit integriertem Flüssigkristallbildschirm vorgestellt. Und auch Google selbst hat im vergangenen Frühjahr einen Patentantrag für ein ähnliches Linsenkonzept eingereicht, das neben des Displayfunktion sogar noch einen Bildsensor enthalten soll.

Noch ist das alles von Marktreife weit entfernt. Aber die technischen Möglichkeiten, die Ideen umzusetzen gibt es schon. Die Miniaturisierung schreitet voran, die Leistungsfähigkeit von Akkus wächst und – ganz wichtig – die Akzeptanz der Menschen für die allgegenwärtige Vernetzung und die daraus resultierenden neuen Anwendungen wachsen kontinuierlich.

Zwischen dem Bummel der verblüfften Deutschen Journalisten durch Oslo und der Vorstellung des ersten iPhone, mit dem Apple den Grundstein für die folgende Smartphone-Revolution gelegt hat, sind ziemlich genau zehn Jahre vergangen. Das sollte im Kopf behalten, wer Glass und Co heute als Irrweg abschreibt.

2025 – darauf wäre ich bereit, Einiges zu verwetten – werden die Mikrodisplays vor dem Auge allgemein akzeptiere Alltagstechnik sein. Und Google hat gute Chancen, zu den führenden Anbietern der Technik (und mehr noch: der damit genutzten Services) zu gehören.

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