Herr Mille, die Schweizer Uhrenindustrie sieht derzeit Absatzeinbrüche und sinkende Exporte. Keine gute Zeiten für Luxus?
Es gibt einige Marken, die klagen, aber es ist unglaublich, wie gut unser Geschäft läuft. Wir haben aber auch eine andere Geschichte als die großen Marken. Es war im Jahr 2000, als ich auf Uhrenmesse Basel meine Uhren zeigte, ohne einen Stand zu haben. Ich marschierte durch die Gänge und hatte meine Uhren dabei. 2001 lieferte ich dann 17 Uhren an die Kunden aus – zum Preis von jeweils 200.000 Franken. 2015 haben wir 3264 Uhren verkauft. Wir kennen die Zahl so genau, weil wir in Stückzahlen winzig sind im Vergleich zu den großen Marken. Aber sie sind am oberen Ende des Marktes – und der läuft für uns sehr gut. Dieses Jahr wollen wir etwa 4000 Uhren produzieren.
Ihre Uhren sind erst seit diesem Jahr in Deutschland überhaupt zu kaufen. Sind Sie nicht ein wenig spät dran?
Nein. Dass wir so spät nach Deutschland gekommen sind, ist leicht erklärt: Ich habe immer gesagt, dass man erst dann in Deutschland den Vertrieb starten kann, wenn man gut gewappnet ist. Wir sind eine junge Marke, vor allem im Vergleich zu den bekannten Luxusmarken mit Jahrzehnten und Jahrhunderten an Tradition. Da muss beim ersten Aufschlag alles stimmen. Die Kunden in Deutschland sind sehr gut informiert und kennen sich mit Uhren bestens aus. Wir hatten zwar von Tag eins an mit unseren Uhren Erfolg. Aber danach müssen sie als Unternehmen alle Prozesse kontrollieren. In Deutschland darf Ihnen kein grober Fehler unterlaufen.
Richard Mille
Nach mehreren Jahren in verschiedenen Positionen in der Uhrenindustrie beginnt der Franzose 1999 mit seinen eigenen Uhren. Fasziniert von der Luftfahrt- und Autoindustrie setzt er von Beginn an auf moderne Materialien statt auf die klassischen Metalle von Stahl bis Platin. Mille ist begeisterter Motorrad- und Rennwagenfahrer.
1999 gegründet, hat sich das Unternehmen mit spektakulären Uhren einen Namen gemacht. Durchsichtige Gehäuse, Blumen, die sich öffnen und Mechanismen, die die Einwirkung der Fliehkräfte beim Golfschlag messen. 2007 wurde das Unternehmen der Fondation de la Haute Horlogerie. Neben Uhren führt Richard Mille auch Accessoires wie Manschettenknöpfe oder einen Stift mit integriertem mechanischen Uhrwerk.
Sie haben sich auf einer der teuersten Einkaufsstraßen Deutschlands, der Maximilianstraße in München, ein großzügiges Ladenlokal gegönnt, statt mit Juwelieren zusammenzuarbeiten. Warum?
Wir haben, bevor wir dieses Geschäft anmieteten, natürlich mit Händlern gesprochen. Aber am Ende können wir uns – gerade als junge Marke – mit einer eigenen Boutique viel besser präsentieren. Eine Straße mit herausragendem Namen und dort eine großzügige Fläche. Es muss ein Signal sein.
Ihre Uhren kosten meist mehrere hunderttausend Euro, die teuerste im Fenster liegt bei mehr als einer Million Euro. So viel Kundschaft kommt wohl kaum jeden Tag vorbei.
Nein, aber wir sind auch nicht in Eile. Deutschland ist ein sehr stabiler Markt für die Uhrenhersteller. Hier leben viele Sammler. Da ist es wichtig, dass es einen hervorragenden Service auch nach dem Kauf gibt, sonst können Sie auch ganz schnell wieder zusperren. Ich sage ja nicht, dass ich nicht an Geschäft interessiert bin ...
Aber?
Ich möchte das Wachstum kontrollieren. Wir brauchen Aufmerksamkeit für die Marke, um so kostspielige Uhren zu verkaufen. Wir könnten auch ein einfaches Modell entwickeln und mit großen Stückzahlen arbeiten. Das werde ich nicht tun. Wir werden hier einen Schritt nach dem anderen gehen.
Wäre nicht dann aber der Weg über gute Händler leichter?
Nein, auf keinen Fall. Wir haben heute eine ziemlich umfangreiche Kollektion. Ich denke oft an Mercedes, wenn es um Marke geht. Sie sind in der Formel 1, es gibt die Cabrios, es gibt SUVs. Sie decken verschiedenen Nischen ab. Sie müssen nur, wie beim Jonglieren die Bälle, alle Modelle in Bewegung halten. Sie können nicht nur das Top-Modell zeigen. Obwohl wir kein Einstiegslevel haben, müssen wir die Bandbreite unserer Fähigkeiten zeigen. Das funktioniert nicht mit einem Händler, der dem Kunden Uhren verschiedener Hersteller zeigt. Das geht nur in einem eigenen Raum.
"Wir sind nicht in Eile"
In dem dann nichts passiert. Sie betreiben 40 Boutiquen. Bei 4000 Uhren Jahresproduktion kann jede Boutique zehn Stück haben, pro Monat eine verkaufen und zwei Monate zusperren!
Das ist so. Es gibt Tage, da verkauft eine Boutique keine einzige Uhr – aber jede der Boutiquen ist profitabel. Ohne Mehrwertsteuer kostet eine Uhr von uns im Schnitt 180.000 Euro. Das ist kein Geheimnis. Seit Beginn des Jahres bis zum Frühjahr haben wir allein in der Londoner Boutique mehr als 30 Stück verkauft. Bis zum Ende des Jahres sollten es zwischen 120 bis 150 Stück sein.
London ist ein Hot Spot für Touristen, reiche Menschen aus aller Welt. Ist das nicht die gleiche Zielgruppe wie in Deutschland? Kannibalisieren Sie nicht Ihre Geschäfte mit dem reisenden Millionärs-Jetset?
Ganz und gar nicht. Wir verkaufen hier natürlich jedem eine Uhr, der eine haben möchte. Aber in Deutschland interessiert mich vor allem der deutsche Kunde. Vielleicht werden wir auch nach Düsseldorf, Hamburg und Frankfurt kommen. Das braucht seine Zeit. Wir sind nicht in Eile.
Ihr Cash-Flow muss beruhigend sein.
Wir beschweren uns nicht. Ich bin gerne kreativ, aber ich bin kein Dichter. Wir sind hier, um Geschäfte zu machen. Und unsere Produkte müssen erklärt werden.
Wie zum Beispiel, dass keines Ihrer durchnummerierten Modelle eine 4 voran trägt?
Die Vier ist eine Unglückszahl in Asien. Sie steht in China für Tod.
China, sagten sie vor einiger Zeit, ist für sie gar nicht so wichtig. Ist das der Grund, warum sie dem Absatzeinbruch der Industrie entgehen?
Ich war sehr vorsichtig, dort groß einzusteigen. Und ich habe die gleiche Philosophie für den russischen Markt. Jeder hat mir vor dem Jahr 2008 gesagt, ich müsse da unbedingt hin. Die Kollegen aus den Konzernen runzelten mit der Stirn, dass ich den Anteil des Marktes China nicht über fünf Prozent schieben wollte. Ich sagte: „Nicht in meinem Alter. Da ist man lieber vorsichtig.“ Ich bereue das nicht.
Was den Deutschen beim Online-Luxus-Kauf wichtig ist
Fragestellung: Wie wichtig sind Ihnen folgende Faktoren beim Einkauf in einem Online-Luxus-Shop?
Quelle: McKinsey Verbraucherumfrage unter 550 Teilnehmern, Juni 2014
Eine Lieferung noch am gleichen Tag
Exklusiver Zugang zum Shop, den nur ausgewählte Kunden nutzen können
Eine persönliche Einkaufsberatung
Der Shop besitzt neben dem Online-Auftritt auch Ladenlokale, die ich vorher schon einmal besucht habe
Der Online-Shop bietet Newsletter-Abonnements oder redaktionelle Inhalte auf der Seite
Frühere Verfügbarkeit bestimmter Produkte als im Geschäft
Die Möglichkeit, das Produkt in zwei Größen zu bestellen und umzutauschen, falls es nicht passt
Exklusive Online-Angebote
Kostenlose Lieferungen
Komfortable Rückgabebestimmungen
Ist Verteilung der Schlüssel Ihres Erfolgs?
Ja, und es zeigt, dass mein Hirn zwei Seiten hat, die kreative mit verrückten Ideen und die kaufmännische, die sehr geerdet ist. Dazu gehörte auch, sich von Beginn an nicht auf einige wenige vermeintlich starke Märkte zu konzentrieren. Ich liebe das Gefühl, abgesichert zu sein.
Wie sieht der typische Kunde einer Uhr für Preise bis zu zwei Millionen Euro aus?
Unsere Kunden sind meist sehr gebildete Menschen, die einen langen Weg mit Luxusuhren hinter sich haben. Sie haben Uhren von allen Marken und sie kennen sich aus. Viele sind Sammler. Und: Sie brauchen keine soziale Anerkennung durch Statussymbole.
"Niemanden interessiert die Präzision"
Ihre Uhren sehen aus wie ein beleuchteter Jahrmarkt und kosten sechsstellige Summen.
Den Preis sieht man ihnen nicht an. Sie sind nicht Bling-Bling. Unsere Uhren, die mit Carbon, modernen Aluminiumverbindungen und diesen Materialien arbeiten, gerade mal 20 Gramm wiegen und 800.000 Euro kosten, erfordern einen Kunden mit einem hohen Verständnis von Material und Technik. Sonst sieht er den Preis nicht als gerechtfertigt an.
Irgendwie auch schade.
Ja, aber gut für lustige Zufälle. Vor einigen Jahren habe ich eine Uhr beim Lunch auf dem Tisch vergessen. Ein brandneues Modell. Als ich zum Restaurant zurückkam, war die Uhr fort. Niemand hatte sie abgegeben. Eine Woche später bekam ich einen Anruf von einem Freund, der mich fragte, ob mir die Uhr fehlte. Der Kellner hatte die Uhr auf der Serviette gefunden. Weil sie so leicht war, dachte er, es sei eine Plastikuhr. Er zeigte sie seinem Vorgesetzten, der meinte, er könne sie behalten. Bis der Inhaber des Restaurants durch meinen Freund erfuhr, dass ich sie vermisse und alle Mitarbeiter zusammentrommelte. Beide hatten keine Ahnung, was sie da gefunden hatten. Eine Uhr für 400.000 Euro. Wenn sie die in die Hand nehmen, wirkt sie wie ein Spielzeug.
Warum streben sie keine höherwertige Anmutung an?
Das hat technische Gründe. Wir kooperieren mit zahlreichen Sportlern. Und die sollen die Uhren auch tragen. Unser Unternehmen existiert seit 1999. Wir haben keine jahrhundertealte Tradition. Unsere Existenzberechtigung muss woanders herkommen. Wir wollten den Tennisspieler Rafael Nadal gewinnen. Die Uhr muss das aushalten, was im Match passiert. Er wollte sie nicht im Match tragen, ich bat ihn, sie zumindest neun Monate im Training zu tragen. Er hat etwa sechs Modelle zerstört. Mal fiel das Uhrglas raus, mal flogen die Zeiger ab. Das perfekte Testlabor.
Sind alle Tests erfolgreich?
Technisch schon, kommerziell nicht unbedingt. Ein Modell – für rund 823.000 Euro – war fast so präzise wie eine Quarzuhr. Meine Lieblingsuhr in unserer Geschichte. Sie wich 1,03 Sekunden im Monat ab. Zehn Stück wollten wir bauen, aber nur zwei wurden verkauft. Das Problem war, dass sich niemand wirklich dafür interessiert, wie genau eine Uhr geht.