Jeff Bezos' größter Misserfolg Warum Amazons Fire Phone floppte

Das erste Smartphone von Amazon sollte dem iPhone Konkurrenz machen, erwies sich aber als grandioser Flop. Wie konnte Amazon-Chef Jeff Bezos das passieren?

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Das Fire Phone hat sich für Amazon zu einem gigantischen Flop entwickelt. Quelle: dpa

Eigentlich verfügt Amazon-Boss Jeff Bezos nach mehr als 20 Jahren Erfahrung an der Spitze des weltgrößten Online-Kaufhauses über ein gutes Gespür für die Wünsche von Nutzern, aber vor allem auch für wichtige IT-Trends.

So hat er sein Unternehmen beispielsweise mit dem E-Reader Kindle frühzeitig auf das boomende Geschäft mit E-Books ausgerichtet. Und das später veröffentlichte und zum Tablet aufgemotzte Kindle Fire konnte erfolgreich gegen das iPad von Apple konkurrieren. Insgesamt hat Bezos ein Kindle-Ökosystem aufgebaut, das bereits 2013 für gut ein Drittel des operativen Gewinns von Amazon erwirtschaftete.

Ebenjenes Ökosystem wollte Bezos eigentlich mit dem ersten Amazon Smartphone, dem Fire Phone, weiter ausbauen und vergrößern. Das mit einer abgespeckten und um Google-Dienste befreiten Android-Version laufende Gerät ist in den USA im vergangenen Sommer für 199 Dollar auf den Markt gekommen und sollte ursprünglich ein ernstzunehmender iPhone-Konkurrent sein.

Das kann das Fire Phone von Amazon
Amazon-CEO Jeff Bezos hat das neue Smartphone Fire Phone vorgestellt. Das Besondere an dem Gerät: Eine Erkennungsfunktion namens "Firefly" (zu deutsch: Glühwürmchen). Quelle: AP
Innerhalb von einer Sekunde soll die Funktion so ziemlich alles erkennen - vom Buch über Fernsehsendungen bis zu Wein - und den Kunden natürlich gleich mit einem Link zu Amazon versorgen, wo er das entsprechende Produkt kaufen kann. Quelle: AP
Die Funktion kann bis auf die einzelne Serienfolge erkennen, welche Sendung gerade im Fernsehen läuft. Als "Second Screen" kann man sich über das Handy direkt mit Infos zu Schauspielern und dergleichen versorgen lassen. Sie funktioniert auch für Musik, Texte, Telefonnummern oder Kunstwerke. Quelle: AP
Sowohl bei „Firefly“ als auch bei der Display-Technik gibt es Schnittstellen für App-Entwickler. Das soll die Integration in verschiedene Anwendungen ermöglichen - so wird es eine App geben, die Informationen über Weine nach einem Foto des Etiketts anzeigt. Quelle: AP
Wenn man alles mögliche um sich herum zum shoppen abfotografiert, braucht das ziemlich viel Speicherplatz - doch auch dafür hat Amazon eine Lösung: Nutzern wird uneingeschränkter Online-Speicherplatz für Fotos geboten. Quelle: AP
Ein System aus vier Kameras rund um den Bildschirm verfolgt permanent die Kopf-Position des Nutzers und passt die Darstellung auf dem Display entsprechend an. Das soll eine nahezu dreidimensionale Optik ermöglichen. Infrarot-Sensoren folgen den Bewegungen auch in der Dunkelheit. An der Funktion sei vier Jahre lang gearbeitet worden, sagte Bezos. Quelle: AP
Das kommt zum Beispiel in der Karten-App zum Einsatz. Sie kann Häuser perspektivisch anzeigen, wenn man das Gerät zur Seite neigt. Quelle: AP

Heute, ein gutes halbes Jahr später, ist klar: Das Fire Phone hat sich für Amazon zu einem gigantischen Flop entwickelt, das Unternehmen verhökert es im Heimatmarkt für 99 Cent. Anfang Dezember räumte Bezos öffentlich „milliardenschwere Fehler“ bei seinem Unternehmen ein. Allein wegen der hohen Lagerbestände des Fire Phones musste Amazon im dritten Quartal 170 Millionen Dollar abschreiben.

Das amerikanische Tech-Magazin „Fast Company“ ist nun in einer langen Geschichte den Gründen dieses Flops nachgegangen. Autor Austin Carr hat laut eigener Aussage mit diversen Unternehmens-Kennern und Insidern gesprochen. Ihnen zufolge habe Bezos beim Fire Phone schlicht den Fokus verloren – im Unterschied zu früheren mutigen Vorstößen wie etwa beim Kindle oder das inzwischen sehr erfolgreiche Cloud-Geschäft Amazon Web Services.

Dabei ist das Fire Phone laut Aussage eines involvierten Teamleiters von Anfang an „Jeff’s Baby“ – so wie viele andere Innovationen bei Amazon. Das ambitionierte Projekt mit dem Codenamen „Tyto“ – Lateinisch für die Gattung der Schleiereulen – startet demnach im Herbst 2010, ungefähr zum Start von Apples iPhone 4.

Der Wunsch für ein eigenes Amazon-Phone ist offensichtlich: Insgesamt bewegt sich die Welt seit Jahren weg von stationären PCs hin zu Mobilgeräten wie Smartphones und Tablets. Auch Amazon-Nutzer tätigen Ihre Einkäufe zunehmend mobil. Die möglichst vollständige Kontrolle der gesamten mobilen Wertschöpfungskette ist für Amazon daher enorm wichtig.

Bei der Planung eines eigenen Amazon-Handys treibt Bezos seine Leute vor allem mit einer Zielvorgabe an: Erzeugt einen Wow-Moment beim Käufer durch etwas Großes und Besonderes. Nur dadurch, so seine Überzeugung, könne Amazon überhaupt Kunden weg vom iPhone locken.

Aufstieg mit Schattenseiten: Wie funktioniert Amazon?

Genau hier habe der grundlegende Fehler des gesamten Fire-Projekts gelegen: Während Bezos bei früheren Innovationen stets die Kundenwünsche als Maßstab angelegt habe, sei dieses Mal er selbst jener Referenzkunde gewesen, der eine Liste mit wünschenswerten Features an das Tyto-Team weitergereicht habe.

Auch in den folgenden Jahren der Weiterentwicklung hat sich Bezos laut Insidern als „Super Product Manager“ des Fire Phones geriert: Er taucht regelmäßig im Entwicklungslabor auf und malträtiert das Projekt-Team mit immer neuen Vorgaben – bis hin zum Wunsch, statt einer 8-Megapixel-Kamera müsse das Gerät unbedingt über eine mit einer 13-Megapixel-Auflösung verfügen.

Bezos kontrolliert alles – die komplette Hardware wie auch die Software. Oder, wie es ein anderer Projektbeteiligter ausdrückt: „Wir bauten das Phone nicht für den Kunden – wir bauten es für Jeff.“

Am Kunden vorbei entwickelt

Vor allem eine technische Spielerei hat es Bezos angetan: ein neues 3D-Feature namens Dynamic Perspective. Dabei lautet die Vorgabe an die Entwickler: Baut ein 3D-Display, das ohne Brille und aus möglichst vielen Blickwinkeln funktioniert. Immer wieder triezt Bezos seine Leute, stachelt sie an, heuert gar neue Entwickler an – bis Dynamic Perspective schließlich funktioniert.

Aber zu welchem Preis: Amazon muss vier Front-Kameras auf der Vorderseite des Gerät einbauen – Hauptgrund für den enormen Stromverbrauch des Fire Phones, und einer der wichtigsten Mängel der Kritiker, nämlich die zu kurzen Akku-Laufzeiten insbesondere im Vergleich zum iPhone.

Damit nicht genug: Keiner der Entwickler weiß so genau, warum Bezos das Thema 3D überhaupt so stark propagiert – denn bis auf ein paar Spaß-Anwendungen sind die Einsatzmöglichkeiten begrenzt. Offenbar ist Bezos schlicht getrieben von dem schon manisch anmutenden Wunsch, dem Fire Phone eine Art unverkennbares Feature zu verleihen – ähnlich wie der Sprachassistent Siri beim iPhone.

Die Folge: Amazon investiert massiv Zeit und Geld – ein Insider: „surreale Summen“ – in ein Feature mit begrenztem Nutzen für den Kunden. Einzig und allein deshalb, weil Bezos es verlangt. Internen Widerstand gibt es kaum, schließlich hat Bezos bei vielen anderen Dingen wie etwa dem Lieferservice Amazon Prime auch richtig gelegen, obwohl viele Kritiker zunächst skeptisch waren.

Anfang 2013 ist das Tyto-Team immer noch nicht wesentlich vorangekommen. Bezos entscheidet, unter dem Projektnamen „Duke“ noch einmal von vorn anzufangen. Und als eine Art Auffangnetz, als Backup-Plan, arbeitet ein zweites Team an einer preisgünstigen Duke-Alternative mit dem Code-Namen „Otus“.

Doch Bezos‘ Augenmerk bleibt auf dem Highend-Smartphone, denn er ist geradezu besessen davon, auf Augenhöhe mit Apple zu kommen. Das bleibt er bis Juni 2014, als er das Fire Phone in Seattle schließlich vorstellt – und dabei immer wieder das 3D-Feature Dynamic Perspective hervorhebt.

Die Quittung für jenen Kurs bekommt Bezos schnell: Kurz nach dem Marktstart im Juli hagelt es Verrisse von Smartphone-Experten, die insbesondere das von Bezos so stark vorangetriebene 3D-Feature als „sinnlos“ und „verwirrend“ kritisieren. Und die Kunden? Sie bemängeln vor allem eins – die zu hohen Kosten des Geräts.

Anders ausgedrückt: Amazon hat das Fire Phone sowohl bei den Funktionen wie auch beim Preis total am Kunden vorbei entwickelt. Angeblich hat sich das Smartphone bis zu dem radikalen Preisnachlass nur einige zehntausend Mal verkauft.

Was die Geschichte des Fire Phones eindrucksvoll beweist: Die Welt braucht keinen zweiten Steve Jobs. Aber: Gut möglich, dass Amazon sein Smartphone in einer zweiten Auflage deutlich besser hinbekommt, so wie es etwa bei den Kindle-Geräten in der Vergangenheit ebenfalls der Fall war. Wenn sich Bezos wieder auf seine Stärken besinnt – und den Kunden in den Mittelpunkt stellt.

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