Lebensmittel-Scanner Das kann der Lügendetektor fürs Essen

Ist die Hähnchenkeule frisch, der Salat ungespritzt, der Joghurt laktosefrei? Lebensmittel-Scanner für die Hosentasche sollen Käufern bald Gewissheit verschaffen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Handliche Scanner sollen Lebensmittelzutaten aufschlüsseln. Quelle: Presse

Gepanschtes Olivenöl, gammeliges Fleisch, schimmeliges Getreide – die Liste der Lebensmittelskandale ist lang. Niemand kann dem verpackten Schnitzel ansehen, wie viele Keime sich auf ihm tummeln, der Erdbeere, ob sie mit Pestiziden belastet ist, und dem Biospinat, ob er mehr Vitamin A enthält als konventioneller. Selbst den Angaben zu den Inhaltsstoffen auf der Verpackung ist nicht zu trauen. Gerade erst musste der schwedische Möbelgigant Ikea in Deutschland seine Mörk-Schokolade zurückrufen, weil der Gehalt an Haselnüssen ungenau angegeben war – gefährlich für Nuss-Allergiker.

Gesünder ernähren: Die Befunde alarmieren

Da wäre es praktisch, einen handlichen Scanner mitzuführen, der ruck, zuck Frische, Qualität und Zusammensetzung von Obst, Fleisch, Fisch, Brot, Fertiggerichten oder einer Mahlzeit analysiert: im Supermarkt, beim Metzger oder im Restaurant.

Zwei Start-ups, Consumer Physics aus Israel und Tellspec aus Kanada, bieten solche Geräte für die Brusttasche jetzt im Internet an – für 250 beziehungsweise 450 Dollar. Andere Entwickler, auch aus Deutschland, stehen in den Startlöchern.

Robin Gruna und Henning Schulte vom Karlsruher Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB), die den Markt aktuell analysieren, glauben an ein baldiges Milliardengeschäft. „Gesunde Ernährung ist ein Megatrend“, sagen sie. Zwei von drei Deutschen interessieren sich laut einer Fraunhofer-Studie für Innovationen auf diesem Gebiet, weit mehr als für solche bei Autos oder Computern.

Die größten Ernährungsmythen
Verlängern Chili-Schoten das Leben? Quelle: REUTERS
Schokolade Quelle: dpa
Je mehr Vitamine desto besser Quelle: dpa
Brot macht dick und ist ungesundGerade für die Verfechter kohlehydratarmer Nahrung steckt der Teufel im Brot: Es mache dick und trage sogar Mitschuld an Diabetes. Das ist so allerdings nicht richtig: Gerade Vollkornbrot (echtes Vollkornbrot, kein mit Malz eingefärbtes Weißbrot) hat sehr viel Ballaststoffe. Die sind gesund und machen satt. Außerdem liefert es verschiedene Vitamine sowie Iod, Flur, Magnesium und Zink. Quelle: dpa
"Light", "Leicht" oder "Fettarm" - das ist gut für die schlanke LinieDie Lebensmittelindustrie hat den Trend zu bewusster Ernährung entdeckt und nutzt ihn mit Fitness- und Wellness-Begriffen gezielt aus. Doch die Verbraucherorganisation Foodwatch warnt: Oft werden so Lebensmittel beworben, die alles andere als kalorienarm sind. Der Verein hat das Nährwertprofil von sogenannten Fitness-Müslis, Wellness-Wasser oder Joghurt-Drinks überprüft und kam zu dem Ergebnis, dass die scheinbar "gesunden" Lebensmittel Softdrinks oder Fast-Food-Snacks beim Zucker-, Salz- oder Fettgehalt oftmals in nichts nachstehen. Bei fettarmen Produkten wird der Geschmacksmangel häufig durch zahlreiche andere Inhaltsstoffe, etwa Stärke und Zucker, ausgeglichen - der Kaloriengehalt unterscheidet sich kaum, ist manchmal durch den hohen Zuckergehalt sogar höher - und gesund ist das Light-Produkt noch lange nicht. Quelle: dpa
Kartoffeln machen dick Quelle: dpa
Öko-Lebensmittel sind gesünder Quelle: dpa

Was Fehler hat, darf nicht in den Supermarkt

Auch die Industrie selbst befeuert die Entwicklung. In den USA startete mit Target einer der größten Einzelhändler des Landes Anfang des Jahres eine Kooperation mit dem Media Lab des Bostoner Massachusetts Institute of Technology (MIT). Konzernchef Brian Cornell wünscht sich einen Scanner, mit dem seine Mitarbeiter selbst prüfen können, welche Ware einwandfrei ist. Dazu baut er mit den Forschern eine umfassende Datenbank auf. „Altes Zeug soll es nicht in den Laden schaffen“, sagt Targets Innovationsmanager Casey Carl.

Im Prinzip arbeiten alle Systeme ähnlich. Sensoren erfassen, beispielsweise per Infrarotlicht, den charakteristischen Fingerabdruck jeder Substanz in einem Produkt. Die Messwerte gehen über das persönliche Smartphone via Internet an Datenbanken; im Display erscheint dann das Ergebnis der Auswertung mit entsprechender Kaufempfehlung.

Eine Umwälzung der Verhältnisse bei der Lebensmittelkontrolle

Die ersten Scanner sind jedoch noch längst keine Alleskönner, die von Allergenen über Keimzahl, Vitamingehalt und Reifegrad bis zu Giftstoffen wirklich alles lückenlos erkennen. Dafür müssen die Forscher die Datenbasis vergrößern und die Analysealgorithmen erst deutlich verbessern. Mehrere beteiligte Fraunhofer-Institute kündigen daher an, ihre Geräte aus diesem Grund erst in drei bis fünf Jahren auf den Markt zu bringen. „Die Gefahr ist groß, eine Produktenttäuschung zu produzieren“, warnt der Karlsruher Experte Gruna vor allzu voreiligen Versprechungen.

Was steckt in unserem Essen?
Gestreckter KaffeeUm mehr Geld zu verdienen kommt es immer wieder vor, dass Hersteller ihren Kaffee strecken. Dafür mischen sie laut einer NDR-Reportage den gemahlenen Bohnen zu etwa zehn Prozent den Stoff Maltodextrin bei. Dabei handelt es sich um eine Zuckerart, die in der Lebensmittelindustrie als günstiger Füllstoff eingesetzt wird. Auch Karamell wird zum Strecken verwendet. Kunden sollten im Supermarkt bei der Aufschrift "Melange" hellhörig werden. Auch im Kleingedruckten geben die Hersteller an, ob sie das Produkt gestreckt haben. Damit gibt es keine rechtlichen Konsequenzen. Quelle: dpa
Ewig frisches FleischSeit Tagen liegt das Hackfleisch im Kühlschrank und noch immer sieht es frisch aus. Die Lebensmittelindustrie macht es möglich, indem sie einfach ein Gasgemisch mit viel Sauerstoff in die Verpackung pumpt. Dadurch bleibt das Fleisch optisch frisch. Am Geschmack lässt sich das Alter dann aber doch erkennen. Das Max-Rubner-Institut hat herausgefunden, dass derartig behandelte Ware ranzig schmeckt. Außerdem soll das Gasgemisch das Wachstum bestimmter Bakterien fördern. Quelle: dpa
Gefärbte OlivenIm Handel werden sowohl schwarze als auch grüne Oliven vertrieben. Schwarze Oliven gelten dabei als besondere Delikatesse, da sie schon reif und damit vollmundiger im Geschmack sind. Die grünen Oliven sind noch sehr jung und damit eher herb und säuerlich im Geschmack. Weil sich die schwarzen Exemplare besser verkaufen lassen, sind findige Hersteller auf die Idee gekommen, grüne Oliven einfach schwarz zu färben. Rein optisch ist es sehr schwer die echten von den gefälschten schwarzen Oliven im Glas unterscheiden zu können. Wer wissen will, welche Oliven er kauft, muss einen Blick auf die Zutatenliste werfen. Sind die Stabilisatoren Eisen-2-Gluconat oder Eisen-2-Lactat aufgelistet, handelt es sich um Trickserei. Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Natürliche AromenVielen Verbrauchern ist es wichtig, dass in Produkten keine oder zumindest wenig Chemie enthalten ist. Wer aber darauf vertraut, dass in einer Erdbeermarmelade mit "natürlichen Aromen" nur Erdbeeren und Zucker enthalten sind, der kann sich täuschen. Natürliche Aromen können nämlich auch pflanzliche Öle sein, die dem Obstgeschmack nahe kommen. Quelle: dpa
PestoSo beklagt die Verbraucherorganisation Foodwatch, dass beispielsweise im Pesto Verde der Marke Bertolli (Unilever) Cashewnüsse, Pflanzenöl, Aroma und Säuerungsmittel enthalten sind. Dabei wirbt Unilever mit "original italienischer Rezeptur", "nur die besten Zutaten", "feinstes Bertolli Olivenöl" und Pinienkernen. Mehr als ein Fingerhut voll Olivenöl muss aber gar nicht drin sein und auch die teuren Pinienkernen müssen nur zu einem geringen Teil enthalten sein. Quelle: Fotolia
PuddingAuch im Pudding muss nicht drin sein, was draufsteht: So reicht es beispielsweise, wenn im Schokoladenpudding ein Prozent echtes Kakaopulver enthalten ist. Der Rest darf eine bunte Mischung aus Aromen, Zucker, Fett und Gelatine sein. Nur wenn weniger als ein Prozent Kakao - also Schokolade - im Schokopudding ist, muss das entsprechend deklariert werden. Quelle: dpa/dpaweb
FruchtsaftgetränkeAuch bei Fruchtsäften müssen Verbraucher aufmerksam sein. Nur, wenn auf der Packung "Fruchtsaft aus 100 Prozent Frucht" steht, ist tatsächlich nichts anderes drin. Die deutsche Fruchtsaftverordnung erlaubt allerdings auch die Verwendung von Fruchtsaftkonzentrat und 15 Gramm zusätzlichem Zucker pro Liter Saft. Saft aus Zitronen, Limetten, Bergamotten und schwarzen, roten oder weißen Johannisbeeren darf mehr Zucker zugesetzt werden. Beim Fruchtnektar handelt es sich dagegen um eine Mischung aus Fruchtsaft und/oder Fruchtmark, Wasser und Zucker. Der Fruchtanteil beträgt 25 bis 50 Prozent. Noch niedriger ist der Fruchtanteil bei Fruchtsaftgetränken: Bei Orangensaft liegt dieser bei sechs Prozent, bei Traubensaft und Apfelsaft bei 30 Prozent. Bei Eistees reicht es, wenn Obst auf der Packung abgebildet ist, enthalten sein muss keins. So beanstandet Foodwatch den Pfanner-Eistee "Zitrone-Physalis", in dem die Menge an Physalis ist so gering ist, dass sie nicht einmal deklariert werden muss. Im zwei-Liter-Karton sind außerdem enthalten: 44 Stück Würfelzucker, 15 Prozent gelber Tee, Aromen und E330 (Zitronensäure). Quelle: dapd

Tatsächlich verraten die Systeme von Tellspec und Consumer Physics dem Nutzer vorerst nur, welche Mengen an Fett, Eiweiß, Zucker, sonstigen Kohlenhydraten und Kalorien in einem Produkt stecken. Immerhin ein Anfang. Doch bald sollen sie zum Beispiel auch Schimmelsporen oder Gluten, das manche Menschen nicht vertragen, detektieren können.

Das Start-up Freshdetect aus Pullach bei München geht es vorsichtiger an. Gründer Oliver Dietrich will nächstes Jahr zunächst Schlachtern, Fleischern und Lebensmittelhändlern ein mobiles Handgerät anbieten, das die Bakterienbelastung von Schweinefleisch misst – sogar durch eine Verpackung. Bewährt sich die Technik, ist auch seine Vision ein Scanner für jedermann.

Die sieben Erfolgsfaktoren gesunder Ernährung

Er wäre eine Umwälzung der Verhältnisse bei der Lebensmittelkontrolle. Sie liegt heute im Wesentlichen beim Staat. Er hat zwar viele Gesetze und Vorschriften erlassen, aber es fehlt ihm am Personal, deren Einhaltung zu überwachen. Checken erst einmal die Kunden selbst, was sie da kaufen, wäre die öffentliche Bürokratie überflüssig. „Jeder Schmu flöge rasch auf“, erwartet Fraunhofer-Mann Gruna. Bevor ein Skandal daraus wird. Und die Mindesthaltbarkeit von Produkten müsste nicht mehr ausgewiesen werden.

Und auch gegen Lebensmittelverschwendung ließe sich etwas tun: Bevor ein überreifer Apfel im Supermarkt liegen bleibt und dann in den Müll wandert, kann der Großhändler kurz den Scanner ranhalten und die Obstkiste in die Mosterei schicken – damit leckerer Saft daraus wird.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%