Lego ist Kinderkram? Seit inzwischen fünfzehn Jahren beweist der zweitgrößte Spielwarenhersteller der Welt mit seiner Serie namens Mindstorms das Gegenteil. Mindstorms ist ein Computer, um den herum sich Motoren, Sensoren und vor allem Legosteine stecken lassen. So wie die Plastikklötzchen wird auch die Software dazu zusammengebaut – Module, die beliebig aneinander passen. Zusammen ergibt das programmierbare Roboter.
Gerade ist die dritte Generation erschienen. Nach RCX und NXT heißt der Computer-Baustein dieses Mal EV3. Das steht für Evolution, lässt sich aber auch wie Eve lesen, Englisch für Eva. Kaum ein Zufall: Das EVA-Prinzip ist ein grundlegendes Konzept der Informatik.
Mindstorms entwickelten die Lego-Designer Ende der neunziger Jahre eigentlich für Schulen, um Kindern die Grundlagen der Robotik und der Programmierung näher zu bringen. Es wird aber auch in einer Jedermann-Version verkauft. Die neue enthält neben 500 Legosteinen drei Motoren, einen Farb- und Licht-Sensor, einen Berührungs- und einen Infrarotsensor. Das sind etwas weniger Sensoren und Motoren als in der Schulversion, davon abgesehen kann sie aber das gleiche.
Ein Lego-Roboter, dessen Programme aus einfachen Bausteinen bestehen, die beliebig hin- und hergeschoben werden können? Klingt großartig. Doch wer keine Erfahrung mit dem Vorgängermodell NXT oder NXT 2.0 hat, sollte nicht davon ausgehen, mit EV3 sofort Spaß zu haben, oder gar Haus und Hof automatisieren zu können. Ohne Handbuch und intensive Lektüre bewegt sich EV3 kein Stück.
Intuitiv bedienbar? Ja. Verständlich? Nein
Sein Zentralrechner heißt Brick, ist ein weiß-grauer Kasten mit sechs Tasten und einem monochromen Bildschirm ohne Hintergrundbeleuchtung. Ist er mit sechs Batterien bestückt und hochgefahren, was ungefähr dreißig Sekunden dauert, bietet er ein Menü mit vier Ordnern. Bis dahin ist es leicht und auch in den Ordnern lässt sich problemlos stöbern.
Lego auf einen Blick
Lego wurde 1932 vom dänischen Staatsbürger Ole Kirk Kristiansen gegründet. Das Unternehmen blieb seither immer im Familienbesitz. Heute ist Kjeld Kirk Kristiansen, der Enkel des Gründers, Eigentümer der Gruppe.
Der Lego-Baustein wie wir ihn heute kennen, feiert im Jahr 2013 seinen 55. Geburtstag. Am 28. Januar 1958 ließ Ole Kirk Christiansen, Gründer der Lego Gruppe, den Stein in Kopenhagen patentieren. Ende der 40er Jahre kamen die ersten Bausteine auf den Markt, die dem heutigen Klassiker ähnelten. 1958 perfektionierte er den Stein mit dem Noppen- und Röhren-Stecksystem, das noch heute Grundlage der inzwischen rund 2.700 verschiedenen Bauelemente ist. Für sechs Steine einer Farbe mit 2x4 Noppen gibt es alleine 915 Millionen Kombinationsmöglichkeiten.
Lego hat seinen Umsatz seit 2005 enorm gesteigert. 2004 war er auf 850.000 Euro eingebrochen, seither stieg er kontinuierlich und erreichte 2011 mehr als 2,5 Milliarden Euro. Der Gewinn (net profit) stieg von 138.000 Euro im Jahre 2007 auf 550.000 Euro im Jahre 2011. In Deutschland setzte Lego im Jahr 2012 gut 331 Millionen Euro um, 12,7 Prozent mehr als im Vorjahr.
Für Lego arbeiteten im Jahr 2011 weltweit 9374 Menschen und damit gut tausend mehr als im Vorjahr.
Lego versteht sich als Produzent von Kinderspielzeug. Seit Mitte der 2000 Jahre setzen die Dänen aber auch verstärkt auf Jugendliche und erwachsene Männer als Kunden. Lego bietet komplexe technische Modelle z.B. von Flugzeugen, Baggern oder Schiffen an. Mit Videospielen haben die Dänen den Sprung in die digitale Welt geschafft - von Star Wars über Batman, Indiana Jones oder Harry Potter. Seit März 2012 buhlt Lego gezielt um die Aufmerksamkeit der Mädchen mit der Linie Lego Friends.
Die Umsatzbringer der Dänen sind die Bausätze zu Star Wars, Harry Potter und Pirates of the Caribbean. Sehr erfolgreich laufen auch die Lego City (z.B. Polizei und Feuerwehrstationen) und Lego Technic-Linie. Lego Duplo, die Serie für Kinder im Vorschulalter, ist in Deutschland besonders erfolgreich. Die seit März 2012 erhältlichen Produkte Lego Friends für Mädchen erreichte 2012 in Deutschland bereits einen Umsatzanteil von 6,9 Prozent.
Im ersten Ordner liegen die fertigen Programme, um sie zu starten und auszuführen, im zweiten alle gespeicherten Programme. Im dritten werden Programme zusammengebaut, im vierten gibt es Einstellungen für Lautstärke, Bluetooth oder WLAN. Mit den sechs Tasten lässt sich der Brick theoretisch programmieren. Im entsprechenden Menü Nummer drei gibt es eine Liste mit Symbolen, jedes steht für einen bestimmten Steuerbefehl.
Die Programmbausteine zusammenzustellen, ist kein Problem. Wie das mit den grauen Tasten an dem Brick geht, erklärt sich auch noch fast von selbst. Lego verspricht, die Programmieroberfläche sei "intuitiv bedienbar" und das stimmt. Allerdings ist dann ziemlich schnell Schluss. Zu erahnen, was die einzelnen Befehle wirklich auslösen, ist alles andere als intuitiv. Die Programmsymbole sind kryptisch, die Einstellungsmöglichkeiten komplex.
Beeindruckende Zahl der Möglichkeiten
Also eine Bedienungsanleitung. Mitgeliefert wird keine, vor allem nicht für Neulinge. Ohnehin muss zunächst auf Lego.com die Software heruntergeladen werden. Die ist für den Mac 584 Megabyte und für Windows 595 Megabyte groß. Ziemlich groß also. Das eigentliche Handbuch frisst noch einmal acht Megabyte. Darin sind allgemeine Dinge wie die Bedienung des Bricks und die Funktion der Sensoren erklärt. Die ausführliche Anleitung steht im Hilfemenü der Software.
Jeder Programmbaustein kann konfiguriert werden
Dort findet sich auch der wichtigste Teil des Pakets, die Oberfläche, auf der eigene Programme geschrieben, beziehungsweise zusammengesteckt werden können. Im Brick selbst gibt es bereits 17 Programmblöcke, mit denen Funktionen programmiert werden können. In der Software für den Rechner sind es sogar mehr als 30. Letztere ist auch deutlich übersichtlicher und empfiehlt sich, um Programme zu schreiben. Das Menü im Brick ist dafür eher umständlich.
Am Computer geht das Zusammenschieben der einzelnen Softwareteile problemlos: Infrarotsensor, Schalter, Motor-, Klangbaustein - alle Teile können beliebig sortiert und hintereinander gesteckt werden. Wird das Programm dann per Kabel oder USB-Stick auf den Brick übertragen und gestartet, fährt der Roboter los.
Vorausgesetzt, alle Parameter in den Programmodulen sind richtig eingestellt. Denn hier wird es kompliziert. Nahezu jeder der Softwarebausteine kann einzeln konfiguriert werden. Soll der Motor zehn Sekunden lang fahren oder nach zehn Umdrehungen halten? Soll der Sensor zwei Werte miteinander vergleichen und wenn ja, welche? Soll die obere Grenze des Zufallsmoduls bei dreißig oder vierzig liegen? Und wo die untere? Und was sagen diese Werte eigentlich aus? Soll der Schalter nur unter bestimmten Bedingungen angehen? Das sind Fragen, mit denen sich der ambitionierte Mindstorms-Bastler einen ganzen Abend lang beschäftigen kann.
Eine aktive Entwicklercommunity gibt es gratis dazu
Die Zahl der Möglichkeiten ist beeindruckend und schnell frustrierend. Für die fünf vorgefertigten Modelle gibt es Schritt-für-Schritt-Anleitungen, um deren Programme selbst zu schreiben. Alles wird dabei erklärt, jede Einstellung, jede Schleife. Einfach ist es trotzdem nicht. Wird irgendwo auch nur ein Wert vergessen oder falsch eingestellt, bewegt sich nichts.
Wer damit spielen - oder besser, sich damit beschäftigen will, sollte sich ernsthaft mit der Programmierung auseinandersetzen. Roboter zu bauen erfordert zwei komplexe Denkvorgänge, daran kann auch Lego nichts ändern: Sich vorstellen können, welche Motoren welchen Arm wie bewegen und was damit erreicht werden kann; und sich zu überlegen, wie eine Software aussehen muss, die die Motoren dazu überredet, das im richtigen Moment und in der richtigen Reihenfolge auch zu tun.
Vorrangig kein Spielzeug
Was gleichzeitig bedeutet, dass Mindstorms der Idee Lego tatsächlich eine völlig neue Dimension hinzufügt. Normalerweise geht es darum, sich ein Modell auszudenken und solange Plastikteile zusammenzustecken, bis das Erträumte vor einem steht. Das allein kann Menschen Jahre beschäftigen: beispielsweise, wenn sie den Kölner Dom im Legomaßstab nachbauen.
Wem das noch nicht Herausforderung genug ist, der kann sich Mindstorms zulegen. Damit sind dann zwar optisch vielleicht nicht so grandiose, dafür aber sehr viel nützlichere Modelle möglich. Hier beispielsweise löst ein EV3 einen Rubic Zauberwürfel und sortiert ihn aus jeder beliebigen Verwürfelung wieder in den Auslieferungszustand zurück.
Über den Nutzen lässt sich streiten, aber es zeigt die Möglichkeiten. Der Farbsensor erkennt zuerst die Position der einzelnen Felder auf dem Würfel, der ARM-Prozessor im Brick berechnet dann die notwendigen Züge, die Motoren erledigen schließlich die Sortierung. Programmiert wurde der Roboter allerdings nicht mit der legoeigenen bausteinartigen Software. David Gilday hat das Programm dazu in C++ geschrieben – was nur beweist, dass sich der Brick hacken lässt. Er basiert auf Linux, einem offenen Betriebssystem.
Einen etwas praktischeren Ansatz wählte Peter Purgathofer, Professor der Wiener TU. Er nutzte Mindstorms um zu zeigen, dass jeder Kopierschutz umgangen werden kann, auch der von einem Kindle E-Book-Reader. Sein Lego-Roboter hält einen Kindle und blättert durch dessen Seiten, während eine Kamera sie abfotografiert und ein Computer die Buchstaben in den Bildern erkennt und wieder in ein E-Book umwandelt.
Auch eine formschöne Digitaluhr lässt sich damit bauen. Ziemlich vielseitig also. Außerdem gibt es noch eine App, um seine Roboter via Smartphone oder Tablet zu steuern. Diese Software ist ebenfalls riesig. Ist sie installiert, können verschiedene Steuerbausteine auf einer Oberfläche angeordnet werden. Das Gerät verbindet sich via Bluetooth mit dem Brick im Roboter. Über die App ist es auch möglich, die Modelle mit gesprochenen Befehlen zu lenken.
Mindstorms ist also nicht vorrangig zum Spielen gedacht. Ingenieure nutzen es, um schnell Lösungen für Probleme zu finden. Für ein Spielzeug wäre es auch ziemlich teuer. Der Basiskasten Robotik von EV3 kostet 350 Euro. Wer Spaß daran hat, will schnell mehr. Im normalen Legoladen gibt es die Teile dafür nicht und auch noch nicht auf der deutschen Legowebsite. Kaufen kann man das Zubehör derzeit nur auf der Website von Lego Education. Dort muss man für die Sensoren und Motoren dann zwischen 25 und 45 Euro bezahlen, für den programmierbaren Brick gar 240 Euro.
Adult Fans Of Lego
Interaktivität kostet. Dafür bekommt der Käufer eine ziemlich umtriebige Gemeinschaft gratis dazu. Lego ist längst nicht mehr nur in Kinderhand. Die AFOL, wie sie sich selber nennen, die Adult Fans Of Lego, stellen einen großen, stetig wachsenden Teil der Nutzer. Naturgemäß sind sie bei Mindstorms gut vertreten.
Lego nutzt diese Fanbasis schon lange und lässt sich von seinen Kunden neue Modelle entwickeln. Bei den bunten Steinen geschieht das inzwischen auf einer professionellen, von Lego zur Verfügung gestellten Plattform namens Cuuso. Wer will, kann dort sein selbst gebautes Muster einstellen und andere darüber abstimmen lassen. Bekommt es zehntausend positive Bewertungen, schaut Lego es sich an und überlegt, ob es in das offizielle Programm aufgenommen wird. Zuletzt schaffte das ein Nachbau des DeLorean aus dem Film Zurück in die Zukunft.
Auch bei Mindstorms dürfen Fans mitentwickeln. Neben den fünf von Lego gebauten Modellen für EV3 gibt es zwölf, die ein "Expert Panel" beigesteuert hat. Die Mitglieder wurden von Lego handverlesen. Sie haben bereits erste Bücher über weitere Modelle und Programme für das Legoset geschrieben.
Das ist auch nötig. Wie es im Werbetext für das Buch heißt: "Ohne die Hilfe eines Auskenners kann es monatelanges Experimentieren brauchen, um den Umgang mit den vielen Mechanismen und Programmierungsmöglichkeiten zu erlernen." Kinderspielzeug? Nicht wirklich.
Dieser Artikel ist zuerst auf zeit.de erschienen.