Etwa 300 erblindete Menschen weltweit können mit Hilfe eines Netzhaut-Chips im Auge wieder etwas sehen. Die Technik, die seit mehr als zehn Jahren angewendet wird, hilft Patienten mit der erblich bedingten Augenkrankheit Retinitis pigmentosa
Dabei sterben die Sehzellen ab, die in der Netzhaut Licht in elektrische Impulse umwandeln. In Deutschland leben etwa 30.000 bis 40.000 Menschen mit dieser Krankheit, wie Augenarzt Armin Scharrer sagt. Pro Jahr erblinden knapp 1000. Die noch teure Technik kann ihnen helfen – doch es gibt noch einiges zu verbessen. Darüber diskutieren Experten beim Internationalen Kongress der Deutschen Augenchirurgen in Nürnberg.
Zwei Arten von Chips werden derzeit genutzt – ein US-amerikanischer und ein deutscher. „Alle Entwickler arbeiten intensiv an der Verbesserung – vor allem, was die Haltbarkeit und Handhabbarkeit betrifft“, sagt Kongress-Präsident Scharrer. Ziel sei, dass der Chip 20 bis 30 Jahre lang im Auge bleiben könne, denn die Patienten seien bei Ausbruch der Krankheit erst 30 bis 40 Jahre alt. Derzeit kann der deutsche Chip bis zu fünf Jahre im Auge bleiben, das amerikanische Patent etwas länger. Auch die Qualität des Sehens soll künftig besser werden - durch eine höhere Pixelzahl auf dem Chip.
Mensch 2.0 - Welche Techniken und Implantate uns besser leben lassen
Ein Mikrochip im Innenohr (38.000 Euro) lässt Taube wieder hören.
Hirnschrittmacher (ab 31.000 Euro) senden elektrische Impulse ins Gehirn, um epileptische Anfälle, das Zittern von Parkinson-Kranken und Depressionen zu heilen.
Ein Chip erfasst Nervenreize. Denkt ein Proband "Greifen", kann er eine Prothese fernsteuern.
Werden kleine Magnete unter die Haut der Fingerkuppen implantiert (200 Euro), können Menschen elektromagnetische Felder wahrnehmen.
Mit einer vollelektronischen Orthese (60.000 Euro) können Menschen gelähmte Gliedmaßen wieder benutzen.
Mikroelektronik in modernen Prothesen (30.000 bis 40.000 Euro) kontrolliert und steuert innerhalb von Millisekunden die Position des Kunstbeins beim Gehen, Rennen oder Treppensteigen.
Mit superleichten Karbonfedern (8.000 Euro) spurten Sportler besser als mit normalen Fußprothesen.
Implantate nahe dem Rückenmark (etwa 20.000 Euro) stoppen die elektrischen Nervensignale - und damit das Schmerzempfinden.
Elektronische Schrittmacher kontrollieren die Funktion von Magen, Blase und Darm (ab 14.400 Euro).
Der Brustmuskel wird in mehrere Segmente unterteilt, mit denen Arm und Kunsthand präzise gesteuert werden (60.000 Euro).
Schrittmacher (ab 5.100 Euro) und implantierbare Defibrillatoren (ab 15.500 Euro) halten geschädigte Herzen mit elektrischen Impulsen auf Trab.
Exakt geschliffene Kunststofflinsen (je 3.000 Euro) heilen den grauen Star. So erreichen viele Patienten anschließend 180 Prozent Sehschärfe.
Blinde können mit einem Computerchip (73.000 Euro ohne Operation), der in die Netzhaut implantiert wird, wieder sehen. Eine Kamerabrille überträgt Bilder zum Chip, der das Signal an den Sehnerv weiterleitet. Der Akku am Gürtel liefert den Strom.
Grundsätzlich sei die Technik jedoch für die Betroffenen „ein großer Schritt in die richtige Richtung“. Sie können damit zumindest wieder grobe Umrisse, Menschen oder große Gegenstände und Bewegungen erkennen. Dabei können die Patienten nur in Grau-Tönen sehen.
Auch die Anpassung an die Umgebungshelligkeit müssen die Betroffenen mit Hilfe eines kleinen Geräts steuern. Im Vergleich zur Sehkraft eines Gesunden sei das zwar nicht immens, sagt Scharrer. „Aber wer blind ist, für den bedeutet ein wenig zusätzliche Sehkraft schon sehr viel.“ Drei von vier Patienten sagten: Der Eingriff sei zwar kompliziert und schwierig, aber er habe sich gelohnt.
Chip funktioniert bei drei von vier Patienten
Das von Tübinger Forschern entwickelte deutsche Implantat (Alpha IMS) wird unter die Netzhaut gesetzt. Der drei mal drei Millimeter große Chip ersetzt dort die abgestorbenen lichtempfindlichen Sehzellen, die sogenannten Zapfen. Wie bei einem Kamera-Chip nehmen 1500 Fotodioden einfallendes Licht auf und wandeln es in elektrische Signale um. Diese werden über den Sehnerv ans Gehirn weitergegeben, wo dann wieder Bilder entstehen können. Das funktioniert bei etwa 75 Prozent der operierten Patienten. Die Technik kann nur bei Menschen genutzt werden, die einmal sehen konnten.
Der rund siebenstündige Eingriff werde inzwischen an 17 deutschen Augenkliniken vorgenommen. 50 Patienten haben den Chip aus Baden-Württemberg demnach bereits im Auge. Nach der OP müssen die Patienten mehrere Monate üben, um die neuen Seheindrücke verarbeiten zu können.
Für den Eingriff nötig sind ein Augenarzt und ein Neurochirurg. Denn das Energiemodul – die Batterie – wird am Hinterkopf unter die Haut gesetzt. Ein Kabel führt von dort zum Auge. „Das ist also wirklich eine komplizierte Sache“, sagt Scharrer. Alles in allem kostet die Behandlung rund 100.000 Euro. In Deutschland seien mittlerweile einige Krankenkassen bereit, die Kosten zu übernehmen.
Die US-Technik (Argus II) hat im Gegensatz zur deutschen nur 60 Elektroden und liefert damit kein so gutes Bild, wie Scharrer sagt. Dafür ist die OP deutlich unkomplizierter: Der Patient trägt hier eine Brille mit einer Kamera. Die Bild-Signale werden drahtlos an den Chip im Auge übertragen, der nicht unter, sondern auf der Netzhaut sitzt. Auch die Batterie wird nicht implantiert, sondern steckt in einem Kästchen in der Tasche.
Dass der Netzhaut-Chip in Zukunft auch bei anderen Augenerkrankungen eingesetzt werden kann – etwa bei der sehr häufigen Altersblindheit oder altersabhängigen Makula-Degeneration – ist bisher eher unwahrscheinlich. In Amerika sei dazu bereits eine erste Studie gemacht worden, sagt Scharrer. Die Ergebnisse seien zwar noch nicht veröffentlicht – „aber wie es scheint, sind sie nicht ermutigend“.