Netzwelt Vom Wert der Vielen im Internet

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CeBIT 2009 - eine Quelle: AP

Aber auch gänzlich technologiefremde Branchen können von diesem sozialen Wissensaustausch profitieren. "Legal Onramp" heißt ein amerikanisches Online-Netzwerk, wo in öffentlichen Bereichen juristische Lösungen diskutiert werden. In geschlossenen, jeweils von einzelnen Kanzleien betriebenen Unter-Foren werden wiederum kollektiv und gemeinsam mit den Klienten konkrete Fallstrategien erarbeitet.

Zusätzlichen Rückenwind bekommt die moderne Wissensarbeit durch den jüngsten technologischen Großtrend: dem Cloud-Computing. Dieser Begriff beschreibt die Verlagerung von digitalen Arbeitsprozessen wie Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Präsentationen, Datenverwaltung auf einen kollektiv zugänglichen Server. Genau genommen ist trotz der flächendeckenden Einführung der elektronischen Datenverarbeitung in beinahe allen Branchen erst mit der Cloud eine echte Vernetzung von Arbeitsprozessen zu erreichen. Bisher fanden die meisten Prozesse auf dem persönlichen Computer statt und wurden anschließend an die Beteiligten per Mail versendet – letztlich die elektronische Variante des gleichen Vorgangs, der schon mit Schreibmaschinen und Botengängen langsamer, aber vergleichbar funktionierte. In der Cloud dagegen findet der Arbeitsprozess vor den Augen der anderen statt – in Realzeit. Aus der sequenziellen Arbeit wird so im besten Fall ein gemeinsam geschaffenes Werk, das durch die soziale Vernetzung an Qualität gewinnt.

Genau dieses kollektive, vernetzte Erarbeiten und Verteilen von Wissen mündet auch in der Transparenz, die Netzwerke so nachhaltig auf die verschiedenen Märkte wirken lässt. Auf der einen Seite stehen die Bewertungsplattformen, die die Leistungen der Anbieter transparenter machen. Auf der anderen Seite die Suchmaschinen und Preisvergleichsseiten, die zumindest bei leicht vergleichbaren Produkten eine fast vollständige Markttransparenz herstellen. Und in der Mitte steht der Konsument, der in seinen sozialen Netzwerken zudem zahlreiche Informationen von sich preisgibt, auch und gerade, was seinen Konsum betrifft. 

Eines der neuesten sozialen Netzwerke hat diese Entwicklung besonders konsequent zu Ende gedacht: Blippy.com lässt seine Nutzer auf ihren Profilen automatisiert veröffentlichen, was sie mit ihrer Kreditkarte und in verschiedenen Online-Shops gekauft haben. Dieses Netzwerk als Spinnerei abzutun, wäre zu kurz gesprungen. Hinter Blippy steckt der Finanzier Sequoia Capital – und der hat unter anderem schon Apple, Cisco*, Yahoo*, Google*, Electronic Arts, Paypal und Youtube groß gemacht und damit jedes Mal sein feines Gespür für marktumwälzende Trends bewiesen.

 Es ist kein Zufall, dass alle diese Technologieunternehmen die Vernetzung in ihre Geschäftsmodelle integriert haben. Denn aus der sozialen Vernetzung von Wissen entsteht Innovation. Selbst, wenn man dieses Wort nicht mehr hören kann, weil es seit Jahren zu seiner eigenen Verballhornung geworden ist: neue Entwicklungen im Bereich der Informationstechnik sind volkswirtschaftlich essenziell. Nun ist aber in Deutschland, dem Land der Denker, mit SAP trotzdem nur ein einziger Software-Konzern im DAX – und kein einziges Internetunternehmen. Schaut man sich die Rekordeingänge in deutschen Patentämtern an, dann liegt das offenbar nicht am fehlenden Ideenreichtum der hiesigen Ingenieure, sondern am Austausch des neugeschaffenen Wissens zwischen den an der Realisierung beteiligten Parteien. 

Wie aber können Unternehmen dieses Wissen für sich nutzbar machen? 

Indem Sie vom Internet lernen. Die eigenen Kenntnisse und Informationen innerhalb einer Gruppe weiterzugeben, muss abgesehen von der Anhäufung sozialen Kapitals einfach auch Spaß machen. Dafür müssen Unternehmen weniger in die Trickkiste der Unterhaltung greifen, als vielmehr die richtige Infrastruktur schaffen, denn die inhaltliche Interaktion mit den richtigen Menschen bereitet Freude genug. 

Konkret kann das bedeuten, ein soziales Netzwerk ins firmeneigene Intranet zu integrieren – für den Anfang. Manchmal kann es sogar schon reichen, die virtuellen Netzstrukturen Offline nachzuahmen: Auf der CeBIT zum Beispiel wurde mit der sogenannten Webciety* ein Messebereich geschaffen, der sich durch eine Wabenstruktur anfühlen soll wie ein begehbares Web. Zwar leidet im Vergleich zu den üblichen Messeaufbauten die Übersichtlichkeit darunter. Die Kommunikation zwischen Ausstellern und Besuchern ist aber intensiver, weil die sechseckigen, netzförmig angeordneten Messestände ohne Zwischenraum direkt ineinander übergehen. Wie im Internet sind so Knotenpunkte entstanden, an denen die Menschen zwangsläufig aufeinandertreffen. Die Besucherführung ist auf soziale Interaktion ausgerichtet. 

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