Es ist noch ruhig an diesem Morgen im Gugak-Museum in Südkoreas Hauptstadt Seoul. In einem Raum aber drängen sich Schulkinder, zücken Erwachsene ihre Handykameras. Sie wollen etwas über die Geschichte der koreanischen Musik erfahren; doch was sie dort entdecken, scheint direkt aus der Zukunft zu kommen.
Ein Roboter namens Gugak-i rollt – ein Volkslied abspielend – durch den Raum, bis er vor einer Vitrine mit alten Instrumenten hält. „Die frühen koreanischen Musiker spielten Zithern, Flöten und Trommeln“, erklärt die brusthohe Maschine den Besuchern. Dann schaltet der Roboter einen Projektor in seinem Kopf ein und wirft ein Video zu koreanischen Musiktraditionen an die Wand. „Die Kinder lieben ihn“, sagt Moon Jooseok, Musikwissenschaftlerin am Gugak-Center, „ihm hören sie besonders aufmerksam zu.“
Was in „Star Wars“ noch wie Science-Fiction aussieht – die direkte Kommunikation von Mensch und Maschine –, wird nicht nur in Korea Realität. Die Zeiten, in denen Roboter nur in Fabriken schufteten, sind vorbei. Jetzt erobern sie den Alltag. „Sensoren und Steuerungstechnik sind so leistungsstark und günstig“, sagt Martin Hägele, Leiter Roboter- und Assistenzsysteme am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart, „dass sie nun daheim und auf der Straße Aufgaben übernehmen.“
Rund fünf Millionen Serviceroboter wurden 2014 bereits verkauft – bei den Industrierobotern waren es im gleichen Zeitraum nur 230.000 Stück. Von 2015 bis 2018, prognostiziert der Branchenverband International Federation of Robotics (IFR), werden 35 Millionen Dienstleistungsroboter ihren Job aufnehmen. Der größte Teil, fast 26 Millionen, wird in Haushalten arbeiten.
Jobkiller und Jobmaschine zugleich
Der Trend wird unseren Alltag verändern: Daheim überlassen wir das Fensterputzen cleveren Maschinen. In Schulen bringen Androiden Kindern Rechnen oder Fremdsprachen bei, in Altersheimen turnen sie Senioren Übungen vor. Und auf der Straße liefern Computerdienstboten Pakete aus.
Viele Arbeiten in Haushalt oder Büro können wir autonomen Automaten übertragen.
Nicht jeder wird darüber glücklich sein, denn die Bequemlichkeit hat ihre Schattenseiten: Wenn Maschinen malochen, werden Jobs von Menschen überflüssig. Der US-Hersteller Aethon etwa, dessen Lieferroboter in Hospitälern umherfahren, wirbt damit, seine Maschine koste weniger als eine Vollzeitstelle – und erledige die Arbeit von 2,8 Mitarbeitern.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Denn zugleich schafft der Robotikboom auch Arbeitsplätze in Forschung und Produktion. Laut einer Studie der Londoner Marktforschung Metra Martech entstehen so von 2017 bis 2020 bis zu zwei Millionen ganz neue Jobs.
Androiden im Anmarsch
Im Jahr 2000 wurden 7,4 Milliarden Dollar für Maschinen ausgegeben. Etwa 50 % für Industrie- und die andere Hälfte für Militärroboter.
Innerhalb von 5 Jahren stiegen die Ausgaben auf 10,8 Milliarden Dollar, darunter auch Kosten für Maschinen, die im Service-Bereich eingesetzt wurden.
2010 wurden bereits 15,1 Milliarden US-Dollar in schlaue Maschinen investiert, der größte Anteil in Industrieroboter.
26,9 Milliarden Dollar werden im Jahr 2015 voraussichtlich in Maschinen investiert, so die Prognose der Boston Consulting Group.
Die Prognose für das Jahr 2020 sagt voraus, dass in 5 Jahren 42,9 Milliarden Dollar für Maschinen ausgegeben werden.
Bis 2025 sollen die Ausgaben voraussichtlich auf 66,9 Milliarden Dollar ansteigen, darin eingeschlossen sind Kosten für Heim-, Service-, Industrie- und Militärroboter.
Einer der größten Profiteure ist Deutschland, das sehr stark bei Industrierobotern ist. Aber auch in den USA und asiatischen Ländern sind Ingenieure derzeit erfinderisch, wenn es um neue Serviceroboter geht. Vor allem der Blick nach Südkorea lohnt. Das Land hat 2014 ein 2,6 Milliarden Dollar schweres Investitionsprogramm aufgelegt. Es soll bis 2019 die Entwicklung dienstbarer Roboter forcieren.
Schließlich werden Serviceroboter ein Riesengeschäft: 12,2 Milliarden Dollar sollen bis 2018 mit Haushaltsrobotern umgesetzt werden. Zu den Anbietern zählen iRobot aus den USA und auch Vorwerk aus Deutschland. Dank Kameras und künstlicher Intelligenz rollen Haushaltsroboter inzwischen effizient durch die Räume – und lassen, so versprechen die Anbieter, beim Hausputz keinen Winkel mehr aus.
Dialog mit dem digitalen Diener
Aber Roboter sollen nicht nur den Boden wischen, sondern auch für Unterhaltung sorgen oder Haus und Wohnung bewachen. Das US-Start-up Sensorsphere etwa entwickelt einen vernetzten Ball in der Größe einer Orange. Er rollt wie von einer unsichtbaren Hand angestupst durch die Wohnung und lässt sich per Handy steuern. Seine Videokamera soll erkennen, wenn sich Einbrecher im Raum bewegen, ein integrierter Rauchmelder via Handy Alarm schlagen, falls Feuer ausbricht.
Jibo, ein amerikanischer Tischroboter mit einem beweglichen, kreisrunden Bildschirm, der dieses Jahr auf den Markt kommt, kann noch mehr: Er trägt auf Zuruf Termine in den Kalender ein und bestellt Pizza, er fotografiert die Familienparty und erzählt Kindern bebilderte Gutenachtgeschichten. „Maschinen erkennen immer zuverlässiger gesprochene Sprache“, sagt Fraunhofer-Forscher Hägele. Die digitalen Diener fürs Haus führen schon Dialoge.
Roboter Pepper etwa, angeboten vom französischen Herstellers Aldebaran, einer Tochter des japanischen Telekomkonzerns Softbank, ist eine kindähnliche Maschine mit Gesicht, Armen und einem Touchscreen auf der Brust, die via Kamera sogar Gesichtsausdrücke erkennt. Traurige Menschen soll Pepper mit einem Spruch oder einem Lied aufmuntern. Die italienische Reederei Costa Crociere setzt Pepper ab Frühjahr auf zwei Kreuzfahrtschiffen ein. Dort begrüßen die humanoiden (menschenähnlichen) Maschinen die Gäste und informieren sie über Restaurants und Events an Bord.
Englischunterricht bei Mr. Robot
Bei so einfachen Dienstleistungen wird es nicht bleiben. Die Automatisierung definiert die Beziehung von Mensch und Maschine grundsätzlich neu. So testen etwa Pädagogen die schlauen Maschinen als virtuelle Dozenten: Das südkoreanische Start-up Robocare hat einen Roboter namens Silbot entwickelt, der helfen kann, den Lehrermangel zu bekämpfen. Mithilfe der Maschinen können etwa philippinische Englischlehrer aus der Ferne in koreanischen Schulen unterrichten: Sie steuern den Roboter, der mit seinen Flügelarmen an einen Königspinguin auf Rollen erinnert, durch den Raum und projizieren ihr Gesicht via Internet auf sein Display.
Die Technik kommt auch in der Pflege und der Medizin zum Einsatz: In koreanischen Altenheimen arbeitet Silbot als Vorturner. Er führt den Senioren Armbewegungen vor „und kann korrigieren, wenn jemand die Übung falsch nachmacht“, sagt Kim Chang Gu, Direktor bei Robocare. Der Care-O-Bot, den das deutsche Fraunhofer IPA entwickelt hat, kann sogar Flaschen greifen und sie Kranken ans Bett bringen.
Rund 12.400 solcher Helfer werden laut IFR-Prognose bis 2018 verkauft. Die Maschinen sollen das häufig überlastete Pflegepersonal von Routineaufgaben entlasten.
In der Logistik erfassen Lieferroboter wie der rund einen Meter hohen GoCart des südkoreanischen Herstellers Yujin mithilfe von Sensoren und 3-D-Kameras selbstständig ihre Umgebung. Sie navigieren um Hindernisse und finden so allein zum Ziel. Im Berliner Büro von Coca-Cola etwa liefert GoCart Mitarbeitern schon gekühlte Getränke. Beim Buchversender Sigloch im baden-württembergischen Blaufelden arbeitet jetzt ein Roboter des Münchner Start-ups Magazino im Versandlager mit. Per Laser und mit einer Kamera erkennt die Maschine Bücher im Regal, fasst sie mit einem Greifarm und bringt sie zur Versandstation.
Die größte Hürde: Menschliche Akzeptanz
Es bleibt nicht bei geschlossenen Räumen: Ahti Heinla und Janus Friis, zwei Mitgründer der Telefonsoftware Skype, wollen Lieferroboter bald schon auf die Straße schicken. Mit ihrem Londoner Start-up Starship Technologies haben sie eine autonom fahrende Box auf sechs Rollen entwickelt. In ihr ist Platz für zwei volle Einkaufstüten. Die kluge Kiste soll sich auf Bürgersteigen fortbewegen und Waren im Umkreis von fünf Kilometern ausliefern. Anders als Drohnen machen die Elektrowagen keinen Lärm und können nicht vom Himmel fallen. Kunden bestellen ihre Ware per App, geben Zeitpunkt und Ort der Auslieferung an und entriegeln schließlich den Lieferbot. Das soll die Kosten pro Fahrt, verglichen mit Lieferwagen, auf zehn Prozent senken. Zwei Pilotprojekte sollen dieses Jahr starten.
Trotz all dieser Fortschritte werde es noch Jahre dauern, bis Androiden komplexere Handwerkeraufgaben erledigen, sagt Oh Jun-Ho, Direktor des Humanoid Robot Research Center am Korea Advanced Institute of Science and Technology (KAIST) im südkoreanischen Daejeon.
Warum das so ist, zeigt ein Blick auf einen der besten Roboter der Welt – Hubio, einen Zweibeiner aus Stahl und Computerchips in Ohs Labor. Mit Hubio haben die Südkoreaner im Sommer die mit zwei Millionen Dollar dotierte Darpa Robotics Challenge in Kalifornien gewonnen – den weltweit renommiertesten Roboterwettbewerb, der vom Forschungsarm des US-Militärs finanziert wird. Ein Team der Uni Bonn erreichte immerhin den vierten von 23 Plätzen.
Hubo geht auf zwei Beinen, öffnet Türen und fährt sogar Auto. Im Wettbewerb musste er auch Treppen steigen, ein Ventil zudrehen und ein Loch in eine Holzwand sägen. Allerdings brauchte er 44 Minuten für etwas, das Menschen in Minuten erledigt hätten. Zu ungelenk sind noch die künstlichen Gliedmaßen, zu beschränkt ist die Intelligenz des Androiden.
Die Entwicklungsstufen Künstlicher Intelligenz
Der britische Informatiker entwickelt den nach ihm benannten Test. Er soll ermitteln, ob eine Maschine denken kann wie ein Mensch. Ein russischer Chat-Roboter soll ihn 2014 erstmals bestanden haben.
Experten einigen sich auf den Begriff "Künstliche Intelligenz". Der Rechner IBM 702 dient ersten Forschungen.
Katerstimmung bei den Forschern: Die Fortschritte bleiben hinter den Erwartungen zurück. Computer sind zu langsam, ihre Speicher zu klein, um die Daten von Bildern oder Tönen zu verarbeiten. Budgets werden gestrichen, erst ab 1980 geht es wieder voran.
Der Supercomputer von IBM siegt im Schachduell gegen Weltmeister Garry Kasparov. Die Maschine bewertete 200 Millionen Positionen pro Sekunde. 2011 siegt IBMs Software Watson in der Quizsendung "Jeopardy".
Der KI-Forscher sagt in einem Buch für das Jahr 2045 den Moment der "Singularität" voraus: Die Rechenleistung aller Computer erreicht die aller menschlichen Gehirne. Seit 2012 arbeitet Kurzweil für Google an KI-Systemen.
Ein Google-Programm beschreibt präzise in ganzen Sätzen, was auf Fotos zu sehen ist. Nahrungsmittelkonzern Nestlé kündigt an, 1000 sprechende Roboter namens Pepper in seinen Kaffeeläden in Japan als Verkäufer einzusetzen. Physiker Stephen Hawking warnt: KI könne eines Tages superschlau werden – und die Menschheit vernichten.
Computer sind schlau wie Menschen – und machen sogar Witze. Fabriken, Verkehr und Landwirtschaft sind nahezu komplett automatisiert.
Themenpark mit Kunstquallen
Südkoreas Technikeuphorie bremst das nicht: Vor den Toren Seouls plant die Regierung einen Roboterthemenpark, der rund 750 Millionen Dollar kosten soll. Bis 2020 entstehen zahlreiche Attraktionen: In einem Aquarium sollen künstliche Quallen und Maschinenfische schwimmen, in einem Ring Roboter gegeneinander boxen und auf einer Bühne tanzen.
Der Park soll dazu beitragen, die womöglich größte Hürde zu überwinden, die der breiten Einführung von Robotern noch im Wege steht: mangelnde menschliche Akzeptanz für die Maschinen. „In naher Zukunft schon leben wir alle mit Robotern zusammen“, trommelt Chu Sanghyun, General Manager des Robotland. „Im Themenpark können die Menschen dieses Miteinander schon einmal ausprobieren.“