Uhrenproduktion Handgemachte High Tech

Eine Industrie macht sich unabhängig: Wer kann, gründet eine Manufaktur. Der Wunsch nach Exklusivität und die Angst vor Lieferengpässen von Rohwerken beschleunigen die Entwicklung.

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Uhrmacher arbeitet an einer Uhr Quelle: ZBSP

Es wird eng in Glashütte. Im ehemaligen Bahnhof werden Schrauben für Uhren der Marke Nomos gedreht und im Glaskubus nebenan Firmengäste empfangen. In die ehemalige Sternwarte über dem Dorf fahren morgens die Mitarbeiter von Wempe die 20 Prozent starke Steigung hinauf. Am Fuße dieses Hangs gegenüber vom Bahnhof schmiegt sich ein Neubau, hier möchte die neue Marke Moritz Grossmann vom kommenden Jahr an Werkplatinen schneiden, Schrauben färben und Uhren montieren.
Am Ortsausgang führt in fünfter Generation Thilo Mühle die Geschicke des Unternehmens Nautische Instrumente Mühle. Die beiden Großen der örtlichen Uhrenindustrie, A. Lange und Söhne und Glashütte Original, dominieren mit ihren historischen Gebäuden wie den Neubauten die Hauptstraße des Nests. Die Familie Delecate aus Ganderkesee 20 Kilometer östlich von Bremen kann also von Glück sagen, dass sie noch die ehemalige
Bahnmeisterei erwerben konnte für ihr Unternehmen Tutima. Umgeben von Hauptstraße, Bahngleisen, Busbahnhof und Parkplatz, hat die Familie seit 2008 den einst maroden Bau in eine todschicke Uhrenproduktion
verwandelt, mit Glasboden im Foyer, der den Blick auf eine telefonzellengroße CNC-Maschine im Keller freigibt.

Uhren aus neuen Manufakturen
Patravi EvoTec Power Reserve Quelle: Pressebild
Masterpiece Double Rétrograde Quelle: Pressebild
Benu von Moritz Grossmann Quelle: Pressebild
Uhr von Armin Strom Quelle: Pressebild

Sie fräst unter einem dicken Ölstrahl aus Messingblöcken runde Platten für die Uhrwerke. Eine Treppe aus Stahl, Holz und Glas führt ins erste Geschoss, dort schleifen die Uhrmacher Metallflächen, bringen beim Anglieren Kanten zum Glänzen oder montieren Uhrwerke zur Kontrolle zusammen und wieder auseinander. Ein Haus für ein Modell. Nicht mehr als 25 Stück werden gebaut, 20 in Roségold, fünf in Platin. 168 000 Euro kostet die Uhr in Roségold, 179.000 Euro im optisch dezenteren Platin. Es ist eine Minutenrepetition. Eine Uhr, die auf Knopfdruck die Kraft einer Feder loslässt, die zwei Hämmerchen gegen Klangfedern schlagen lässt.

Wer sauber mitzählt, kann so hören, wie spät es ist. Noch experimentieren die Uhrmacher unter der Leitung von Uhrmachermeister und Entwickler Rolf Lang an den Federn, um den schönsten Ton zu erhalten. Noch ist die Uhr nicht fertig, doch die ersten Interessenten haben schon eine bestellt. Dass die Tutima Hommage Minutenrepetition sich vor allem bei Sammlern gut verkaufen wird, da ist sich Alexander Philipp, der Vertriebs- und Marketingleiter von Tutima und Chef am Standort Glashütte, sicher. In ihr tickt ein Werk, das ersonnen, entwickelt und erschaffen wurde unter einem Dach. In einer Manufaktur.

Alles aus einem Haus


Cartieruhren in Glasvitrinen Quelle: REUTERS


Manufaktur – das ist das Zauberwort, das derzeit die Hersteller von mechanischen Zeitmessern umtreibt. Das Wort, das sich aus den beiden lateinischen Begriffen für "Hand" und "Erschaffen" zusammensetzt. Mit dem Begriff sollen Kunden den Wunsch nach einem Produkt verbinden, das in möglichst viel Handarbeit zu einer exklusiven feinmechanischen Preziose geformt wird. Von den kleinsten Uhrmacherbetrieben bis zu den Großen der Branche rühmen sich die Marken ihrer "Manufakturwerke".
Ihre Produkte sollen sich absetzen von jenen, die Uhrwerke, Gehäuse und Bänder von Lieferanten einkaufen, sie zusammenfügen und mit einem eigenen Logo versehen. Richemonts Luxusmarke Cartier etwa begnügte sich lange Jahre damit, fremde Uhrwerke aufwendig zu verfeinern; in den vergangenen Jahren investierte die Tochter der Richemont-Gruppe in mehrere Produktionsstandorte für Uhrwerke. Wo Cartier draufsteht, soll auch immer öfter nur Cartier drin sein. Ganz freiwillig beschreiten einige Hersteller den teuren Weg in die eigene Produktionsstätte nicht.

Zeitlose Neuheiten
Hermes arceau pocket Quelle: Pressebild
Wempe Zeitmeister Quelle: Pressebild
Victorinox Alpnach Quelle: Pressebild
Swatch Touch Quelle: Pressebild
Rolex Cosmograph Daytona Quelle: Pressebild
Patek Philippe 5235 G Quelle: Pressebild
Panerai Radiomir 3 Days Quelle: Pressebild

Das Gros der Uhrenmarken bezieht seine Rohuhrwerke von der schweizerischen ETA, einer Tochter der Swatch Group. Der Mutter, die eine monopolartige Stellung hat, gefällt es nicht, dass sie per Gesetz dazu gezwungen
wird, Rohuhrwerke zu liefern. Sie klagt derzeit dagegen bei der Schweizer Wettbewerbskommission: Zum einen benötigten die eigenen Marken der Swatch Group die Uhrwerke selbst – zum anderen ist dem von Nicolas Hayek gegründeten Unternehmen ein Dorn im Auge, dass mit ihren Werken die Mitbewerber ausgestattet werden. Bekommt die Swatch Group recht, darf sie in den kommenden Jahren die Anzahl an gelieferten Rohwerken sukzessive herunterfahren.
Gekniffen wären die, die keine eigenen Uhrwerke bauen. Die klassischen Manufakturen wie Patek Philippe, Rolex, Audemars Piguet oder Vacheron Constantin produzieren seit jeher eigene Werke, jüngere Marken wie Officine Panerai haben inzwischen eigene Werke für alle Kategorien ihrer beliebten großen Uhren, die peu à peu die zugekauften Rohwerke ablösen sollen. Für Sascha Moeri ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Er ist CEO der Bucherer Montres AG, einer Tochtergesellschaft der Bucherergruppe, die vor allem dank ihrer Juweliergeschäfte bekannt ist. Moeri weiß, dass auch die normalen Modelle mit zugekauften ETA-Werken vom Image profitieren, das die eigenen Entwicklungen ausstrahlen: "Wir entwickeln kontinuierlich neue Werke."

Es wird eng in Glashütte

Gangmodell eines mechanischen Uhrwerkes Quelle: AP

In Ste-Croix im hügeligen Hinterland von Lausanne belegt die eine Hälfte der Manufaktur zwei Etagen eines schmucklosen Gebäudes. Eine Werkhalle mit viel leerer Fläche ist Standort mehrerer CNC-Maschinen,
an denen sowohl Prototypen als auch später die Teile für die Serienproduktion der Uhrwerke entstehen sollen. Von Romantik keine Spur. Das klassische Klischee der Uhrmanufaktur wird erst in der zweiten Etage erfüllt, wo die Uhrmacher an den typisch hohen Bänken die Teile der hauseigenen Entwicklung CFB A1000 zusammenfügen.
Ein eigenes Uhrwerk hat Christine Hutter bereits, ihre Manufaktur mit 2500 Quadratmetern ist noch im Bau. Die ehemalige Managerin aus dem Uhrengewerbe konnte Schweizer Investoren für die Reanimation der Marke Moritz Grossmann gewinnen.100 Uhren des Modells Benu werden in den derzeitigen Ateliers und von 2012 an in den neuen Werkhallen gefertigt. Das Werk ist entwickelt, die Uhren im Prinzip schon verkauft. Mit Energie und Überzeugungskraft macht die Bayerin wett, was ihr an Tradition fehlt – denn bis auf den Markennamen, den sie sich vor einigen Jahren sicherte, hat sie keinen direkten Bezug zu Glashütte.


Das Unternehmen Tutima hat Tradition im sächsischen Uhrmacherdorf, aber die geriet nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Vergessenheit. Tutima wurde, zunächst unter dem Namen Urofa, 1926 von Ernst Kurtz in
Glashütte gegründet. Nach 1945 führte er, zunächst in Franken und von 1951 an in Ganderkesee, das Unternehmen weiter. Nun hat Tutima mit seiner Manufaktur wieder einen Fuß in das Uhrendorf gesetzt. Langfristig planen die Eigner mehr Produktion nach Glashütte zu holen. Im fünf Kilometer entfernten Schlottwitz sollen für eine Übergangszeit noch Räume hinzugemietet werden, bis andere Kapazitäten im Dorf frei werden.
Doch nur Uhren, die in Glashütte produziert werden, dürfen den Schriftzug "Made in Glashütte" tragen. "Schlottwitz ist Teil der Stadt Glashütte", erklärt Alexander Philipp das Ausweichmanöver. Es wird eng in Glashütte.

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