Gérard Denariaz im Interview „Krankheiten vorbeugen“

Danone-Forschungsdirektor Gérard Denariaz über die Geheimnisse der menschlichen Darmflora, über die Wirkung von Joghurt auf die Gesundheit und die Forschung an übergewichtigen Mäusen.

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Leiter der mikrobiologischen Forschung beim weltgrößten Joghurthersteller in Paris

WirtschaftsWoche: Monsieur Denariaz, haben Sie heute morgen schon etwas für Ihre Gesundheit getan?

Denariaz: Ja sicher.

Was haben Sie denn gegessen? Einen Joghurt, der die Verdauung verbessert, die Abwehr stärkt, den Cholesterinspiegel senkt und die Haut verschönert?

Ich habe einen Activia-Joghurt mit Feige gegessen, der mir gut schmeckt und zudem meine Verdauung natürlich reguliert.

Sie glauben also tatsächlich an Ihre eigenen Werbeversprechen?

Ich glaube nicht, ich weiß es. Danone hat in vielen klinischen Studien wissenschaftlich bewiesen, dass es funktioniert.

Das trifft sich gut: Die Health-Claims Verordnung der Europäischen Union, die seit dem 1. Juli 2007 gilt, schreibt vor, dass alle Aussagen zur Gesundheit eines Lebensmittelprodukts belegbar sein müssen. Verändert das ihre Arbeit?

Nein. Unsere Entscheidung, vermehrt auf gesundheitsfördernde Produkte zu setzen, liegt zehn Jahre zurück. Die ersten Forschungsarbeiten für probiotische Joghurts haben wir sogar schon vor über 20 Jahren gestartet. Wenn wir mit Gesundheit werben, dann können wir die Effekte sehr gut mit klinischen Studien belegen.

Dann befürworten Sie die neuen EU-Regeln, die den Verbraucher auch vor einer irreführenden Werbung schützen sollen?

Durchaus, denn solche Regeln haben wir schon immer gefordert. Unser Joghurtdrink Actimel kam 1994 auf den Markt. Heute belegen 23 klinische Studien an Menschen und 16 veröffentlichte Forschungsberichte eine positive Wirkung auf die Abwehrkräfte des Organismus. Uns ärgert aber, wenn Wettbewerber probiotische Bakterien von Zulieferern kaufen, damit Joghurts herstellen und dann behaupten, die Produkte wären gesund. So einfach geht das nicht.

Warum nicht?

Es fehlen meist klinische Untersuchungen über die Langzeitwirkungen eines neuen Produkts auf Menschen. Die Testpersonen müssen dazu vorher genau untersucht werden. Und erst im Vergleich mit einer Kontrollgruppe zeigt sich, ob der Joghurt tatsächlich eine positive Wirkung auf die Gesundheit hat. Diesen großen Aufwand betreiben heute nur wenige Hersteller.

Das wird sich als Folge der neuen Regeln sicher ändern, wodurch der Konkurrenzdruck steigen dürfte. Wie stellt sich Danone darauf ein?

Indem wir schneller arbeiten, um noch mehr Gesundheitsvorteile zu identifizieren. Unsere Produkte sollen die natürlichen Abwehrkräfte und das Herz-Kreislauf-Systems stärken, die Verdauung erleichtern, das kindliche Wachstums fördern und den Menschen bei der Gewichtskontrolle helfen.

In Zukunft soll es also immer einen passenden Joghurt für Menschen jeden Alters und alle möglichen Gesundheitsprobleme geben?

Das hoffe ich.

Brauchen Sie dann nicht eine Zulassung von Joghurt als Arzneimittel, wenn er tatsächlich Menschen von Krankheiten kuriert?

Nein. Wir stellen keine Arzneimittel her. Wir heilen auch keine Krankheiten. Es geht uns darum, die Gesundheit zu erhalten und Krankheiten vorzubeugen.

Woran denken Sie dabei?

Ein neugeborenes Kind besitzt noch keinerlei Darmbakterien. Bei einem gesunden Erwachsenen hingegen zählen wir zwischen 10 und 100 Billionen Bakterien im Darm. Zudem finden wir im Darm bis zu zwei Drittel der Immunzellen, die das menschliche Abwehrsystem bilden sowie rund 100 Millionen Nervenzellen. Dieses empfindliche Gleichgewicht können die Joghurt-Bakterien erhalten. Wenn wir krank sind, oder nach einer Behandlung des Menschen mit Antibiotika, ändert sich die Zusammensetzung der Darmflora. Joghurt kann in der Situation das Wachstum der gesunden Bakterien fördern.

Wie finden Sie heraus, welche Bakterien gut und welche schlecht für den Menschen sind?

Wir haben in unserem Forschungslabor einen Schatz von 3500 Bakterienstämmen. Und ständig kommen aus der ganzen Welt neue hinzu. Wir untersuchen die Stämme genetisch und mikrobiologisch, schauen nach, welche Abbauprodukte bei der Joghurtherstellung entstehen und wie sie schmecken. Manche Stämme erzeugen zwar gesunden Joghurt, lassen ihn aber so bitter schmecken, dass er unverkäuflich wäre. Wir fahnden derzeit zum Beispiel nach Bakterien, die helfen, jene Moleküle aus dem Darm herauszuspülen, die einen Krebs auslösen könnten.

Nach Untersuchungen amerikanischer Forscher hat die Zusammensetzung der Darmflora auch Auswirkungen auf das Körpergewicht.

Ja, aber die genauen Zusammenhänge kennen wir noch nicht. In den Versuchen zeigte sich, dass die Darmbakterien übergewichtiger Mäuse aus der Nahrung mehr Energie herausholen. Übertrugen die Forscher die Darmflora von übergewichtigen auf normalgewichtigen Nager, stieg deren Körperfettanteil von normalen 25 auf knapp 50 Prozent. Das Ganze ist so spannend, dass die Europäische Union im April das Metahit-Projekt startete, an dem Danone mitarbeitet. Es soll in den nächsten vier Jahren das Erbgut und die Funktion aller Bakterien entschlüsseln, die den menschlichen Darm bevölkern.

Dann werden Dünne und Dicke künftig im Kühlregal Joghurts finden, die auf ihre Darmflora zugeschnitten sind?

In fünf oder zehn Jahren könnte es durchaus Joghurts oder andere Milchprodukte geben, die sich daran orientieren, wie Menschen die in der Nahrung enthaltene Energie verwerten. Dazu testen wir gerade im Labor ein neues Gerät, das innerhalb von drei Tagen die Zusammensetzung von Darmbakterien von 50 Menschen analysieren kann.

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