Agrophotovoltaik Kartoffeln unter dem Kollektor

Gemüse- und Getreideanbau unter Solarpanelen - Forscher der Uni Hohenheim untersuchen in einem Pilotprojekt, welche Pflanzen für doppelte Flächennutzung am besten geeignet sind.

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Unter manchen Solarmodulen können sogar Mähdrescher durchfahren. (Fraunhofer ISE)

Oben Solarpanele, unten Nutzpflanzen – das ist die Idee hinter der Agrophotovoltaik (APV). Die Nutzung einer Fläche auf zwei Etagen soll die Produktion von Nahrungsmittel und Energie kombinieren. Eine Pilotanlage am Bodensee erforscht jetzt das neue Konzept.

"Flächenressourcen stehen nicht unbegrenzt zur Verfügung“, erklärt Professorin Dr. Petra Högy vom Fachgebiet Pflanzenökologie und Ökotoxikologie an der Universität Hohenheim. Flächen für die Nahrungsmittel- und für die Energieproduktion zu nutzen, findet die Forscherin daher sinnvoll.

Bisher ist das wissenschaftliches Neuland. Anlagen gibt es zwar weltweit – in Japan, Italien und Frankreich. Erforscht wurde das Prinzip bisher aber nicht, obwohl einiges berücksichtigt werden muss. Denn unter den Solarmodulen verändert sich das Mikroklima – es ist wärmer, dunkler und es kommt weniger Regen auf dem Boden an. Die Solarpanele müssen daher so geschickt angeordnet werden, dass die Pflanzen weiterhin gut wachsen können.

Idee stammt aus dem Jahr 1981

Unter dem Titel „Kartoffeln unter dem Kollektor“ hatte Professor Adolf Goetzberger bereits 1981 die Idee für eine besonders günstige Anordnung für Solarenergieanlagen in Verbindung mit der landwirtschaftlichen Nutzung. Nachdem das Konzept einige Jahre in der Schublade verschwunden war, beschäftigen sich Forscher des Fraunhofer-Instituts für Solar Energiesysteme ISE in Freiburg seit 2011 wieder intensiv mit der APV.

„Angesichts des dynamischen, weltweiten Wachstums der Photovoltaik im letzten Jahrzehnt und dem damit verbundenen steigenden Flächenbedarf für PV-Anlagen, erlauben innovative Konzepte wie die Agrophotovoltaik eine Doppelnutzung agrarischer Flächen und helfen so dem weiteren, raschen Umbau des globalen Energiesystems“, sagt ISE- Institutsleiter Professir Dr. Eicke R. Weber.

Nach über einjähriger Vorbereitung ist jetzt in der Nähe des Bodensees eine Pilotanlage mit einer Spitzenleistung von 190 Kilowatt gestartet, die rund 62 Haushalte mit Strom versorgen kann und unter der gleichzeitig Nahrungsmittel wachsen. Der überschüssige Strom wird von den Elektrizitätswerken Schönau abgenommen.

Bifaziale Module nehmen auch rückseitig Strahlung auf

Die APV-Anlage ist mit sogenannten bifazialen PV-Modulen bestückt. Diese können nicht nur vorderseitig Sonneneinstrahlung in Strom umwandeln, sondern über die Rückseite auch die reflektierte Strahlung der Umgebung aufnehmen. Sie erhöhen den Energieertrag pro Fläche und sorgen für eine homogenere Lichtverteilung über den Pflanzen.

„Der Landwirtschaftssektor steht vor der Herausforderung, den starken Ausbau der erneuerbaren Energien und damit verbunden den Wandel von Kulturlandschaften hin zu Energielandschaften zu bewerkstelligen“, meint ISE- Projektleiter Stephan Schindele. „In diesem Kontext kann die Agrophotovoltaik ein wegweisender Lösungsansatz für die Zukunft sein.“

Auf einer Ackerfläche von insgesamt 2,5 Hektar eines Biobetriebs werden Weizen, Kleegras, Kartoffeln und Sellerie angebaut. Ein Teil unter Solarmodulen, die in fünf Meter Höhe installiert sind, was selbst einem Mähdrescher die Durchfahrt gestattet.  Damit soll herausgefunden werden,  welche Gemüsearten oder Feldfrüchte besonders für die APV-Anlage geeignet sind.

„Bei der doppelten Flächennutzung erwarten wir zwar unter unseren Klimabedingungen etwas geringere Pflanzenerträge, aber dafür werden gleichzeitig erhebliche Mengen an regenerativer Energie erzeugt“, erläutert Professorin Dr. Iris Lewandowski, Expertin für nachwachsende Rohstoffe an der Universität Hohenheim. Die doppelte Nutzung der Fläche dient aus ihrer Sicht nicht nur der Nachhaltigkeit, sondern schafft auch eine neue Einkommensmöglichkeit für die Landwirte.    

Wissenschaftler forschen drei Jahre lang 

Was bei der Umsetzung in die Praxis beachtet werden muss, wollen in den kommenden drei Jahren Wissenschaftler der Universität Hohenheim und ihre Kooperationspartner in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit fast 600.000 Euro gefördertem Projekt erforschen.

„Wir prüfen, wie sich die verschiedenen Kulturen unter den Paneelen entwickeln und vergleichen sie bezüglich ihrer Eignung. Dazu bestimmen wir etwa die Pflanzenhöhe, die Blattfläche, die Gesundheit der Pflanzen, die Erträge und die Ertragsqualität“, erklärt Professorin Dr. Högy.
Außerdem im Fokus: die Auswirkungen auf Umwelt und Biodiversität. „32 Mikroklima-Stationen sind auf der Versuchsfläche verteilt, so dass wir Strahlung, Niederschläge, Beschattung, aber auch Temperatur und Feuchte in Luft und Boden bestimmen können“, sagt die Expertin.

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