Alternativer Geschäftsbericht Öko-Versorger Polarstern zieht eine Gemeinwohlbilanz

Polarstern und andere Sozial-Unternehmen stellen künftig nicht nur trockene Zahlen, sondern auch eine Gemeinwohlbilanz vor.

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Die Geschäftsführer von Polarstern verstehen sich als Sozialunternehmer. Das haben auch das Wirtschaftsministerium und der europäische Sozialfonds so gesehen und die jungen Gründer dabei unterstützt, Ökogas mit in ihr Angebot aufzunehmen. So kann die 2011 gestartete Firma damit werben, als erster deutscher Energieversorger Strom und Gas vollständig aus erneuerbaren Energien anzubieten.

Das sorgte für viel Lob. Das Gründer-Trio um Simon Stadler, Jakob Assmann und Florian Henle will aber auch Kritik hören. Deshalb sind sie nun erneut Vorreiter - und haben als erster Energieversorger Deutschlands eine Gemeinwohlbilanz erstellen lassen.

Jetzt wissen sie beispielsweise, dass ihre Produkte vorbildlich abschneiden im Bereich "Sinn und gesellschaftliche Wirkung der Produkte". Schwarz auf weiß haben sie nun jedoch auch, dass sie in der Kategorie "innerbetriebliche Demokratie und Transparenz" noch etwas aufzuarbeiten haben. "Die Gemeinwohlbilanz ist eine gute Inspirationsquelle, um sich weiterzuentwickeln", formuliert es Jakob Assmann.

Ihr Schritt ist ein gutes Signal in einer Branche die durch Vorwürfe des "Greenwashings" in Verruf geraten ist. Denn mittlerweile tummeln sich viele pseudo-grüne Stromanbieter in der Nische, die weiterhin ihr Hauptgeschäft mit Kohle und Atomstrom verdienen. So lange dies auf politischer und rechtlicher Ebene nicht angepackt wird, ist es hilfreich, wenn sich Unternehmen wie Polarstern selbst zu mehr Transparenz verpflichten. 

Eine Vision im PraxistestDie Idee einer Gemeinwohlökonomie geht auf den österreichischen Wirtschaftspublizisten Christian Felber zurück. Seine Vision: Unternehmen dürften nicht länger nur die Profitmaximierung im Blick haben, sondern sollten stets an das gesamtgesellschaftliche Wohl denken. Die Organisation Ecogood aus Wien hat diesen Gedanken in die Praxis übertragen und zu einem Konzept entwickelt: Während bei der herkömmlichen Bilanz nur die Ein- und Ausgaben gegengerechnet werden, lassen sie in ihrer Gemeinwohlbilanz ökologische und soziale Aspekte bewerten.

Dabei wird der Wirkungskreis eines Unternehmen unter die Lupe genommen: Lieferanten, Geldgeber, Mitarbeiter und Kunden beispielsweise. Bewertet wird unter anderem, wie es in den jeweiligen Bereichen um die ökologische Nachhaltigkeit, die soziale Gerechtigkeit und die Menschenwürde steht. Je mehr Prozentpunkte sie in den einzelnen Kategorien erreichen, desto besser die Bilanzsumme. Abzüge gibt es für Negativ-Kriterien wie die Verletzung von Arbeitsnormen, Dumpingpreise oder eine exzessive Einkommensspreizung.

Die Bewertung übernehmen andere Unternehmen - jeweils gegenseitig. Bei Polarstern waren dies die Münchner Erntegemeinschaft Kartoffelkombinat, Impact HUB München, ein Co-Working-Anbieter im Bereich Social Entrepreneurship und Talents4good, der ersten spezialisierten Personalberatung für soziale, ökologische und nachhaltige Arbeitgeber. Gegenseitige Kontrolle ist besser, als wenn Polarstern dies wie bei den herkömmlichen Nachhaltigkeitsberichten selbst machen würde. Trotzdem: Unabhängige Auditoren würden möglicherweise strenger vorgehen als Unternehmen, die sich gegenseitig Zensuren geben.

Ökostrom aus WasserkraftSatte 90 Prozent bekommt Polarstern im Bereich "Sinn und gesellschaftliche Wirkung der Produkte". Denn: "Das Bedürfnis nach elektrischer Energie und Wärme kann für Industriestaaten wie Deutschland zweifelsfrei als Grundbedarf bezeichnet werden", wie es in dem Bericht heißt. Direkt in die einzelnen Haushalte wird der Strom allerdings nicht geliefert (auch wenn andere Betreiber nun Modelle dafür entwickeln). Der Strom, der aus der Steckdose kommt, ist normalerweise eine Mischung aus den gerade verfügbaren Quellen.

Wer von Polarstern Strom bezieht, der unterstützt dennoch die erneuerbaren Energien. Polarstern hat Verträge mit einem Betreiber eines Wasserkraftwerks im bayerischen Feldkirchen abgeschlossen. Andere Anbieter haben oft neben Ökostrom auch noch die herkömmlichen fossilen Energieträger im Programm - oder schieben sich mit ausländischen Unternehmen Zertifikate hin und her.

In Norwegen beispielsweise, wo ohnehin die meiste Energie aus der Wasserkraft kommt und das Angebot viel größer ist als die Nachfrage, verkaufen Stromanbieter die sauberen Zertifikate auf ihren Strom. Deutsche Stromanbieter nehmen diese dankbar an - und verkaufen ihnen im Gegenzug ihren schmutzigen Kohlestrom, um ihren Strommix aufzubessern.

Beim Ökogas hingegen arbeitet auch Polarstern mit einem vergleichbaren Lizenzsystem. Der Strom wird in ungarischen Biogasanlagen aus den Resten von Zuckerrüben hergestellt und nicht extra nach Deutschland transportiert. Polarstern rechtfertigt dies mit dem Argument, dass sie auch im Ausland die Verbreitung von erneuerbaren Energien fördern möchten.

Aus Fehlern lernenIn Kambodscha jedenfalls engagieren sie sich für dieses Ziel: Für jeden neuen Kunden geben sie dort 20 Euro an arme Haushalte, damit sie sich eine eigene Biogasanlage einrichten können. Dies mindert die Abhängigkeit von gesundheits- und klimaschädlichen Petroleumlampen und Holzöfen.

Nur 40 Prozentpunkte bekommt Polarstern hingegen in den Bereichen "gerechte Verteilung der Gewerksarbeit" und der "innerbetrieblichen Demokratie und Transparenz" eingeräumt. So gibt es beispielsweise keine Mitbestimmung der Mitarbeiter bei der Gewinnverteilung und keine Beteiligung am Eigentum des Unternehmens. Die Sprecherin des Unternehmens sieht dies "als Ansporn, noch 'besser' zu werden", in dem die Bereiche auf mögliche Korrekturen geprüft werden.

Im Vergleich zu anderen Unternehmen schneidet Polarstern mit 652 Punkten sehr gut ab. Rund 250 haben bislang eine Gemeinwohlbilanz erstellt. Darunter sind viele kleine und mittelständische Unternehmen - aber auch bekanntere Namen wie der Outdoor-Ausrüster VAUDE. Insgesamt fällt die Bewertung mit 502 Punkten etwas schlechter aus. Bei der "sozialen Gestaltung der Produkte und Dienstleistungen" bekommen sie beispielsweise nur 10 Prozent. Die Sparda-Bank München, in dieser Kategorie ebenfalls sehr verbesserungswürdig, zeigt jedoch, das auch Polarstern noch etwas dazu lernen kann: 100 Prozentpunkte erreichen sie bei der "Arbeitsqualität und Gleichstellung".

Bessere BilanzenModerate Arbeitszeiten, eine ökologische Gestaltung des Arbeitsplatzes, soziales Engagement und eine strenge Auswahl aller Kooperationspartner gibt es nicht zum Nulltarif - vor allem nicht in einem so umkämpften Markt wie dem mit Energie. Bislang hat Polarstern nicht profitabel gearbeitet. Als ihnen ein Investor abgesprungen ist, standen sie sogar schon einmal kurz vor dem Aus. Das hat sich gebessert, sagt die Sprecherin von Polarstern: "Wirtschaftlich sind wir 'im Plan' und werden 2016 operativ schwarze Zahlen schreiben".

Sozialunternehmen wie Polarstern würde es zugutekommen, wenn Felbers Vision eines Tages Realität werden sollte.  Denn er möchte das Konzept der Gemeinwohlökonomie in einen politischen und rechtlichen Rahmen einbetten. Wer in der Gemeinwohlbilanz gut abschneidet, würde dann Steuererleichterungen erhalten, leichter Kredite und Forschungsaufträge bekommen. Polarstern hätte dann neben einer vorbildlichen Gemeinwohlbilanz vielleicht schon länger ein weiteres, im Wirtschaftsalltag weit wichtigeres Resultat vorzuweisen: ein Plus vor der Zahl am Ende der herkömmlichen Bilanz.

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