"Bio am Limit" Riesen-Höfe retten die grüne Landwirtschaft

Biolandwirte hatten einst den Nachteil, geringere Erträge zu erzielen als ihre konventionellen Gegenspieler. Das ist immer noch so. Aber dank Größe, High-Tech und cleverer Vermarktung holen sie auf.

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Blick ins Innere des Westhofs - oder zumindest einen kleinen Teil davon. (Alle Fotos: Schlenk/Gerding)

An manchen Tagen blickt selbst Rainer Carstens unzufrieden auf sein Gewächshaus. Dabei findet sich in Deutschland kein größeres, in dem Biotomaten wachsen. Die Äste der 70.000 Tomatenpflanzen, jeweils etwa 16 Meter lang, hangeln sich an Gerüsten empor. Rohre und Schläuche beliefern sie mit der optimalen Dosis Kohlenstoffdioxid und der nötigen, warmen Luft. Die angrenzende Biogasanlage speist die Energie dafür ein und ein Bassin sammelt den Regen für die feine Tröpfchenbewässerung.

Mit ausgeklügelter Technik gaukelt der Geschäftsführer des Westhofs seinen Rispentomaten vor, dass sie sich in mediterranem Ambiente befinden - und nicht in Friedrichsgabekoog im windigen Schleswig-Holstein, nur wenige Kilometer hinter den Deichen, die das flache Land vor den Wellen der Nordsee schützen.

"Ein konventioneller Betrieb würde einfach Chemie spritzen"

Und nun darf er nicht einmal einen Fuß in sein eigenes Gewächshaus setzen. Der 58-Jährige tritt nah an die Glasscheibe heran und deutet auf einige Reihen Tomaten, die mit einer Plane abgedeckt sind. Ein Schädling hat sie befallen.

Damit sich nicht noch mehr unerwünschte Parasiten breitmachen, führt die notwendige Handarbeit ein Kernteam durch, das sich strengen Hygienekontrollen unterziehen muss. “In so einer Lage sind uns die Hände gebunden“, gesteht Carstens zerknirscht ein. Er, der es gewohnt ist mit der Technik an seiner Seite die Dinge zu kontrollieren, lässt nun ein wenig Naturgewalt zu, damit seine Tomaten das begehrte Biosiegel tragen dürfen. “Ein konventioneller Betrieb würde einfach Chemie spritzen und schon wäre er das Problem los", sagt Carstens, der damit rechnen muss, dass er zehn Prozent der Pflanzen verlieren wird.

Foto: Die Tomatenernte des Westhofs wird in einer hochmodernen Anlage abgepackt.

Es ist das scheinbar ewige Manko der biologischen Landwirtschaft: Zwar schont der Verzicht auf Pestizide und chemische Dünger das Grundwasser, Böden und Artenvielfalt. Allerdings hinken die Erträge der Ökobauern denen der konventionellen Konkurrenz weit hinterher. So ernten sie auf der gleichen Fläche beispielsweise nur etwa halb so viel Getreide oder Kartoffeln, was auch am biologischen Saatgut liegt, das nicht in Hochleistungslabors gekreuzt und genetisch manipuliert wurde.

Bio landet im Mainstream

Trotz jenen gelegentlichen Rückschlägen zeigt Carstens Betrieb, dass Bio längst nichts mehr mit kitschiger Hofidylle zu tun haben muss. Im Gegenteil: Wenn Landwirte wie er sich mit dem Vokabular der konventionellen Gegenspieler anfreunden, eifrig skalieren und rationalisieren, dann holen sie mehr aus jedem Hektar Land - und machen Bio zukunftsfähig. Für eine wachsende Weltbevölkerung, die mit weniger Ackerflächen ernährt werden muss.

Die Geschichte des Westhofs ist die des Aufstiegs einer Branche. Rainer Carstens war 19 Jahre alt, als er den Hof 1978 von seinen Eltern übernahm. Erst bewirtschaftete auch er den mittelgroßen Betrieb konventionell, bevor er sich 1989 dazu entschloss, die gesamten 110 Hektar auf Bio umzustellen.

Früher ein kleiner Betrieb, muss der Westhof heute tonnenweise Waren in kurzer Zeit transportieren können. Ein Vorteil, findet Carstens.

Das war eine echte Hausnummer in den ungewissen Zeiten der damaligen Ökopioniere, die durchschnittlich weniger als 50 Hektar Land bestellten. “Da gab es schon eine Diskussion darüber, ob ich überhaupt Mitglied werden dürfe beim Anbauverband Bioland”, erinnert er sich. “Ich glaube, da hat die Angst mitgespielt, dass jemand die Strukturen mit den Wochenmärkten und Hofläden kaputt machen würde”.

Heute ist das längst kein Thema mehr. Bio ist im Mainstream angekommen, stapelt sich in den Regalen der Discounter und wird zwischen den Brötchenhälften eines McDonald’s Burgers serviert. Seit dem Jahr 2000 hat sich der Umsatz der Biobranche auf etwa acht Milliarden Euro vervierfacht. 35 Millionen Euro davon verbuchte der Westhof, der mittlerweile zehnmal so groß ist wie zu Beginn.

Viele Flächen, weniger Risiko

Das macht ihn zu einem Giganten im Gemüsegeschäft. Mit einem angrenzenden Konkurrenten hat sich Carstens zusammengeschlossen, mit einem anderen kooperiert er. Weil ohne künstlichen Dünger auf einem Bioacker nicht jedes Jahr die gleichen Pflanzen sprießen können, muss Abwechslung her. Daher lässt er regelmäßig vom Partner Biogetreide säen, während er bei ihm Gemüse anbaut. So könne sich jeder auf seine Kernkompetenz konzentrieren, argumentiert Carstens: “Wenn man etwas nur halb macht, macht man das eigentlich nie gut.”

An der Aussaat ist ein sechsköpfiges Team beteiligt. Vier Arbeiter sitzen hinter dem Traktor und stecken das Saatgut so ein, dass es punktgenau im Feld landet.

Auf weiten Flächen und in akkuraten Reihen wachsen bei ihm die Möhren oder der Kohl. Schädlinge haben es daher leicht, sich auszubreiten. Einen Nachteil gegenüber kleinen Betrieben sieht er allerdings nicht: “Die Chance ist bei uns geringer, dass die gesamte Betriebsfläche befallen ist.” Dafür bewirtschaftet er insgesamt zu viele Felder auf einem zu großen Areal, teilweise durch Straßen und Dörfer voneinander getrennt. Den Verlust kann er gut wegstecken. Ihm bleiben die anderen Betriebszweige, auf die er sich stützen kann.

Weder Kühe, Schweine noch Hühner leben auf dem Bauerngut. Und überhaupt, den zentralen Hof, von eigenen Feldern umgeben, gibt es zwar noch. Wenn Carstens jedoch nach dem Rechten sehen will, trennt er das Ladekabel seines Teslas von dem mit Biogas betriebenen Stromnetz und begibt sich hinter das Steuer des Elektroautos. Er schnurrt vorbei an seinen Feldern, auf denen Erbsen, Möhren und Kohl wachsen, um zum sechs Kilometer entfernten Gewächshaus, den Büroräumen, Biogasanlagen, den Wohnungen der Saisonarbeiter oder der Frosterei zu gelangen. Dort wird das Bio-Gemüse unter den Gefrierpunkt heruntergekühlt und für die Eisschränke der Supermärkte verpackt.

Ein bisschen Öko-Luxus muss sein: Carstens mit seinem Tesla.

Carstens selbst hat sein Büro nach wie vor im Hauptgebäude des Hofs. Die meiste Arbeitszeit verbringt er dort, verhandelt am Telefon oder dem geräumigen Konferenztisch mit Abnehmern wie Edeka und Aldi. Anpacken muss er nicht mehr. Ein Familienunternehmen im Büro: Auch von seinen Kindern geht nur einer der Söhne der beschwerlichen Feldarbeit nach. Der andere und die beiden Töchter kümmern sich ebenfalls um das Betriebliche oder das Marketing. Und dann hat er noch einen selbstfahrenden Rasenmäher.

Spaß an der Technik: Der Westhof hat einen großen Fuhrpark.

Der Mäh-Automat ist eigentlich Spielerei. Aber den Eindruck möchte Carstens relativieren: “Vielleicht haben wir immer die schnellsten und effektivsten Maschinen, weil ich selber so technikaffin bin”, erklärt er. Für die besonderen Ansprüche der Biolandwirtschaft mussten sie früher oft erfinderisch sein und in der Werkstatt selbst Hand anlegen an die Maschinen. Mittlerweile sind jedoch auch die klassischen Hersteller auf dem Bio-Boom aufgesprungen.

Smarte GPS-Systeme lassen tonnenschwere Traktoren heute in akkuraten Linien über seine Felder ziehen. Gemeinsam mit Bosch und den Fachhochschulen in Osnabrück und Heide entwickelt der Westhof einen chemiefreien Unkrautvernichter, der mit der neuesten Kameratechnik ausgerüstet ist: den Bonirob. In Zukunft soll der Roboter auf vier Rädern durch die Furchen der Felder rollen und das mühsame Herausreißen per Hand ersetzen, begeistert sich Carstens für den Prototyp: “Mit einem Stößel soll dem Unkraut eins auf den Kopf gegeben werden, denn das mögen die nicht.” Nur die Möhren würden am Leben bleiben nach dem rabiaten Vorgehen des Bonirobs, den er mit einem Schlag auf den Konferenztisch nachahmt.

High-Tech im Garten: Die Kamera (2) unterschiedet das Unkraut von den jungen Pflanzen. Der Stößel (1) zerstört Unkraut. Per GPS lässt sich der Bonirob über sein Schaltzentrum (3) steuern.

Sein Hightech-Fuhrpark ist vor allem dann ein Trumpf, wenn das Wetter umschlägt und die Ernte schnellstmöglich ins Trockene gebracht werden muss, um sie vorm Verwelken zu retten, erklärt Carstens: “Wo andere nicht die Schlagkraft haben, sind wir termingerecht fertig und gucken beim Regen entspannt aus dem Fenster”. Dass er sich die teuren Maschinen überhaupt leisten kann, liegt auch an der Größe des Betriebs. Denn dementsprechend viel Kapital kann er für Neuanschaffungen aufbringen.

"Modern, groß und fortschrittlich"

Der Landwirt mag die Gummistiefel gegen modische Halbschuhe eingetauscht haben. Seine ökologischen Ansprüche vertritt er nach wie vor, etwa wenn er sich aufregt über intransparente TTIP-Verhandlungen, von Pflanzenschutzmitteln verseuchte Brunnen und konventionelle Landwirte, die nur einen Teil ihrer Felder umstellen, um Bio-Prämien zu kassieren. Es geht ihm um mehr als seinen Betrieb. “Ihr wollte schon immer zeigen, dass Bio modern, groß und fortschrittlich sein kann“, sagt Carstens. Bio ist für ihn die Landwirtschaft der Zukunft, die die Massen ernährt, ohne den folgenden Generationen einen ausgelaugten Planeten zu hinterlassen.

Passend: Der Westhof ist von Windanlagen umgeben.

Noch sieht er seinen Betrieb nicht am Limit des Wachstums. Kommen Betriebsleiter in der Gegend ins Rentenalter oder geben auf, ist Carstens zur Stelle und pachtet die Flächen. Ein Viertel seines Ackerlands in einem Umkreis von etwa 15 Kilometer gehört ihm. Die Biostandards gelten immer - egal, wie groß ein Betrieb ist. Die Qualität von Bio würde daher nicht unter großen Strukturen leiden. “Meiner Ansicht nach kann es da schon einmal Managementschranken geben”. Zum Beispiel bei Fragen, ob das Personal dann noch sinnvoll eingesetzt werden könne.

Flächen zu klein

Der Westhof bestätigt den Trend: Auch in der biologischen Landwirtschaft schlägt der Strukturwandel voll durch. In einer Studie hat das Thünen-Institut des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung nach den Gründen gefragt, weshalb Bauern die biologische Landwirtschaft wieder zugunsten der konventionellen aufgeben. Ein Drittel antwortete, dass ihre Flächen zu klein seien um mit ihnen profitabel wirtschaften zu können.

Wachsende Biobetriebe müssen dank moderner Maschinen nicht zwangsläufig auch entsprechend mehr Personal einstellen. “Auch wenn unsere Mitarbeiter das vielleicht gar nicht bemerken, haben wir laufend rationalisiert“, sagt Carstens. “Durch ständiges Wachstum können wir sie einfach in anderen Bereichen einsetzen”. Noch hält dies die Zahl von 120 Angestellten und etwa genauso vielen Saisonarbeiter stabil.

Kein kleiner Hofladen, sondern moderne Möhren-Abpackung.

Als Big Player, vor dem sich Öko-Pioniere mit ihrem Hofläden damals noch gefürchtet hatten, kann Westhof der Bio-Branche nun helfen. Denn Carstens hat einen geschickten Vermarktungsapparat aufgebaut. In seine Produktpalette hat der Westhof auch Brokkoli, Kürbisse, Erbsen, Salate und Kartoffeln aufgenommen, die er gar nicht selber anbaut.

Er kauft sie von anderen, meist kleineren Landwirten der Region auf. Normalerweise wären sie auf einen Zwischenhändler angewiesen. Denn ihre Mengen sind so gering, dass sie mit den großen Ketten gar nicht erst verhandeln können. Carstens Westhof hingegen schon. Er bündelt deren Ernte daher, um sie dann frisch oder tiefgekühlt in sein Lager aufzunehmen.

Mit der Größe und seinem Marketing will der Biolandwirt vor allem für faire Preise sorgen.

Das verschafft ihm das nötige Gewicht, um mit den Einkäufern der Fachhändler und Discounter auf Augenhöhe zu verhandeln. Der Westhof ist somit selbst zu einem Zwischenhändler gewesen; mit einem so großem Umschlag, dass Carstens schon einen neuen Plan hat: “In Zukunft wollen wir eine eigene Marke für die Lebensmittel schaffen”, sagt er. Produkte, die vom Westhof kommen, könnten dann mit Logo und Slogan beworben werden - und vermitteln, dass Bio und Größe sich nicht ausschließen müssen. Im Gegenteil.

Mit der Größe und seinem Marketing will der Biolandwirt vor allem eins erzielen: faire Preise. Und genau das stellt eine Herausforderung für die Biobranche dar, die zwar wächst, sich dadurch aber auf das hart umkämpfte Terrain der mächtigen Einzelhändler begibt.

*** Dieser Text ist der erste Teil der Reihe "Bio am Limit" und entstand im Rahmen des Journalisten-Stipendiums Nachhaltige Wirtschaft. Alle Informationen zum Stipendium erhalten Sie unter diesem Link.***

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