Biofasern Startup-Gründerin macht aus Milch Kleidungsstoffe

Das Startup QMilch aus Hannover nutzt Rest-Milch für die Herstellung von Kleidungsfasern.

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Ökologische Kleidung ist längst massentauglich geworden. Man kann sie überall kaufen, sie ist erschwinglich und erinnert kaum noch an die Filzpuschen und Aladinhosen von früher.

Die Öko-Mode von heute besteht aber nicht mehr nur aus Bio-Baumwolle, recycelten PET-Flaschen oder alten Stoffresten. Die Modeschaffenden haben mittlerweile ganz außergewöhnliche „Zutaten“ für sich entdeckt, die eher an ein Mittagessen erinnern, als Rohstoffe für Pullis und Accessoires: Milch, Lachshaut und Rhabarberwurzeln.

Beispiel Milch: Derzeit werden pro Jahr in Deutschland rund 1,7 Millionen Tonnen davon entsorgt. Dazu zählt etwa die Kolostralmilch, also die Erstmilch gerade kalbender Kühe, oder das bei der Käseherstellung anfallende Milchfiltrat.

Anke Domaske, Mikrobiologin und Gründerin des Startups QMilch aus Hannover, hat jetzt gemeinsam mit dem Faserinstitut Bremen ein Verfahren entwickelt, um aus Milch, die nicht zur Lebensmittelherstellung genutzt wird, Kunststoff-Fasern herzustellen.

Milchfasern aus dem FleischwolfGanz neu ist das Verfahren allerdings nicht: Milch wurde bereits in den 30er Jahren zu Textilien verarbeitet, doch die Fasern entstanden nur in einem aufwendigen Prozess und unter Zugabe von 75 Prozent Chemiefasern.

In einer kleinen Küche und einem Equipment aus dem Supermarkt im Wert von gerade mal 200 Euro fing Domaske an, Biokunststoffe auf Basis von Milchproteinen und anderen natürlichen und nachwachsenden Rohstoffen – komplett ohne Zusätzen von Chemie – zu entwickeln.

Das pulvrige Milcheiweiß Kasein, das normalerweise zu Käse wird, bildet die Grundlage der QMilk-Fasern. Es wird aus der Rohmilch gewonnen, indem diese durch eine speziell geformte Spinndüse fließt.

In einer Art Fleischwolf wird das Milchpulver erhitzt und durch eine Düse in Fäden gezogen. Da die Prozesstemperatur unter 100 Grad Celsius liegt, bleiben die besonderen Eigenschaften der Milch erhalten.

Hautpflegend und essbar

So können die Proteine im Stoff später sogar die Haut pflegen – als Kleidungsstück, Matratze, Bettdecke oder als medizinischer Verband. Für ein Kilogramm des Biopolymers benötigen die Hersteller nur fünf Minuten und zwei Liter Wasser.

Der Clou: Es fallen dabei keine Abfälle an und die Biofaser lässt sich komplett kompostieren – ja sogar essen.

Mit qmilk-collect.com hat Domaske ein Sammelsystem eingerichtet. Über die Internet-Platform motiviert sie Milch-Lieferanten, die auf artgerechte Tierhaltung achten, ihr Startup mit der Non-Food-Milch zu versorgen.

„Die ganze Kette muss eben stimmen - sonst wäre es ja kein nachhaltiges Produkt“, sagt sie. Vier Cent erhalten die Lieferanten pro Kilogramm Milch. So können sich die Bauern mit einer Kuhherde von 100 Kühen etwa 800 Euro im Jahr dazu verdienen.

Eigentlich wollte Domaske schon im vergangenen Jahr mit der Produktion beginnen, doch der Start verzögerte sich. Derzeit arbeiten zwölf Mitarbeiter bei QMilch. Mit Beginn der Produktion Anfang 2014 soll sich die Mitarbeiterzahl mehr als verdoppeln. Zunächst plant QMilch, 1000 Tonnen Fasern jährlich zu produzieren.

600 Unternehmen, vornehmlich aus Deutschland, haben schon Interesse gezeigt, die Milchfasern zu kaufen. Darunter Bekleidungsfirmen, Hersteller von Bettwaren, Raumausstatter, die Automobilindustrie oder Unternehmen aus der Medizinbranche.

Gerbung, die unter die Haut gehtAber nicht nur Milch dient als ungewöhnliche Mode-Ressource. Die Schweizer Designerin Jana Keller zum Beispiel nutzt Lachshaut als Ausgangsstoff ihrer Accessoires – sie stammen größtenteils aus Abfallprodukten der Lebensmittelindustrie. Mit ihrem Label Royal Blush fertigt sie Schmuck aus Lachshäuten, die aus zertifizierten Biolachsfarmen in Irland stammen.

Nanai-Leder ist das Ergebnis eines mehrjährigen Verfahrens, Fischhaut zu veredeln und auf ökologischer Basis zu gerben. Das Verfahren erhält die Pigmentierung und die charakteristische Struktur der Haut. Das besondere daran ist die schonende, rein pflanzliche und chromfreie Gerbung und Färbung durch Rinden und Wurzeln.

Die Gerbung von Lederprodukten - also die Verwandlung von Fellen in Leder - erfolgt nach wie vor zu 90 Prozent mit dem giftigen Chrom. Neben der Belastung des Grundwassers reagieren 2,5 bis 3 Millionen Menschen in Deutschland allergisch auf Chrom. Reizungen von Haut und Schleimhäuten sind die Folge der allergischen Reaktionen.

Auch das Bekleidungs-Unternehmen Deepmello hat daher ein Verfahren patentieren lassen, mit dem sich Leder besonders schonend und umweltfreundlich gerben lässt. Statt giftigem Chrom setzt das Label Extrakte aus der Rhabarberwurzel ein. Das Material ist im Gegensatz zu konventionell gegerbtem Leder sehr gut biologisch abbaubar.

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