Vor wenigen Tagen haben die Mitglieder des Umweltausschusses im EU-Parlament einen bemerkenswerten Brief erhalten. Nicht wenige dürfte er überrascht haben: Mehr als 60 Unternehmen stehen da mit ihrem Logo, darunter Ölkonzerne wie Shell, Stahlhersteller wie Ferrovial, Konsumgüterhersteller, Banken und Energieversorger.
Größtenteils sind das Unternehmen, die zumindest indirekt vom Emissionshandel der EU betroffen sind – die also für ihren Ausstoß des Klimagases CO2 oder den CO2-Ausstoß ihrer Geschäftspartner bezahlen müssen.
Unternehmen fordern ReformAuf den ersten Blick wollen sie dafür bald alle mehr zahlen. In dem Brief fordern sie, den Emissionshandel deutlich schneller zu reformieren, als derzeit in Brüssel geplant. Für eine Reform des Handels mit Verschmutzungsrechten bestehe „dringender Handlungsbedarf“.
So klingen normalerweise Bekanntmachungen von Umweltgruppen und grünen Parteien. So klingt aber auch dieser aktuelle Lobby-Ruf von Unternehmen, die sich für ihre Investitionen Planungssicherheit wünschen.
Um die geht es nämlich auch, wenn der Umweltausschuss an diesem Dienstag über einen wichtigen Teil der Emissionshandels-Reform entscheidet (Agenda als PDF): über die sogenannte Marktstabilitätsreserve. Hinter dem komplizierten Begriff verbirgt sich ein Mechanismus, der die Ausgabe von Emissionsrechten einschränkt, wenn zu viele zirkulieren und die Preise für Verschmutzungsrechte zu tief sinken (wie aktuell). Steigen die Preise, kommen neue Emissionsrechte auf den Markt.
CO2 kostet zu wenig. Und nun?Inzwischen bezweifelt kaum noch jemand, dass eine solche Reform überfällig ist. Seit Jahren bewegt sich der CO2-Preis kaum, eine Tonne Kohlendioxid ist derzeit für etwas mehr als sieben Euro zu haben. Große Sprünge bei Investitionen in energieeffiziente Produktionstechnik und neue, saubere Kraftwerke sind da nicht zu erwarten.
Seit Jahren sind mehr Zertifikate auf dem Markt, als die Unternehmen benötigen. Noch immer dürfen Regierungen einen Teil der Emissionsrechte verschenken, um die Unternehmen im Land nicht zu stark zu belasten.
Die Wirtschaftskrise in einem Großteil der teilnehmenden Staaten hat die Nachfrage über Jahre geschmälert. International handelbare Zertifikate haben das Überangebot zusätzlich vergrößert; der Ausbau der erneuerbaren Energien die Nachfrage gedämpft.
Die EU-Kommission will den Preis nun über die besagte Marktreserve stützen (hier der Gesetzentwurf als PDF). Dabei sollen ab 2021 automatisch Zertifikate vom Markt genommen und neue freigegeben werden.
Klima-Zentralbank soll Handel steuernDas Ergebnis wäre eine Art automatisierte Klima-Zentralbank, die über die Menge versucht automatisch den Preis zu steuern. Höhere Preise, so hofft die EU-Kommission, sollen dem Emissionshandel die Lenkungswirkung zurückgeben, sprich Investitionen in klimafreundliche Technik fördern.
Der erste Schritt dazu war das im Januar 2014 beschlossene „Backloading“, also das vorübergehende Zurückhalten von 900 Millionen Zertifikaten bis 2016. Diese Maßnahme verfehlt aber offenbar die gewünschte Wirkung, weil zu wenige Zertifikate vom Markt genommen werden und sie ab 2019 wieder in den Markt zurückgegeben würden.
Der angehäufte Überschuss an Verschmutzungszertifikaten beläuft sich inzwischen schon auf etwa 2,1 Milliarden Zertifikate. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sprach sich zuletzt dafür aus, den gesamten Überschuss dauerhaft vom Markt zu nehmen und die 900 Millionen Zertifikate aus dem Backloading direkt in die geplante Stabilitätsreserve zu überführen.
Seit dem Sommer wirbt die Chefin des Berliner Umweltressorts um Unterstützung anderer EU-Staaten für ihre Position, die Marktstabilitätsreserve früher einzuführen. Gemeinsam mit 13 anderen Ministern hat sich Hendricks' Ministerium auf eine Erklärung geeinigt, in der sie einen früheren Start der Stabilitätsreserve schon im Jahr 2017 fordern.
Unterstützung aus der Wissenschaft bekommt sie dabei unter anderem vom Forschungsverbund Climate Strategies, der in einer aktuellen Studie die Vorteile eines früheren Starts der Marktreserve aufzeigen (hier als PDF).
Ökonomen fordern MindestpreiseVon der heutigen Entscheidung im EU-Parlament wird abhängen, ob Europa mit einer schnelleren Reform des Emissionshandels rechnen kann. Und ob sie überhaupt erfolgreich ist. Einer Analyse des Branchendienstes Thomson Reuters Point Carbon zufolge könnte der Preis für eine Tonne CO2 auf 18 Euro steigen, falls die Marktreserve bis 2018 umgesetzt wird. Starte die Maßnahme erst später, also ab 2021, sei nicht mit dieser deutlichen Preissteigerung zu rechnen.
Andere Beobachter sind eher skeptisch. Ottmar Edenhofer, stellvertretender Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, kritisiert, dass die Marktreserve nicht den erhofften Preiseffekt haben werde. „Die Zertifikate sollen nur zum Teil und auch nur temporär aus dem Verkehr gezogen werden“, sagte er dem Berliner Tagesspiegel. „Investoren haben jedoch schon eingepreist, dass es auch künftig ein zu hohes Angebot an Zertifikaten geben wird.“
Edenhofer gehört zu den Befürwortern eines Preiskorridors: CO2 solle einen Mindestpreis von 20 Euro haben, um genügend Investitionsanreize für die Unternehmen zu bieten, und eine Preisobergrenze, um bei einer steigenden Konjunktur die Wirtschaft nicht zu stark zu belasten. Statt nur die Menge zu beeinflussen und die Preisfindung dem Markt zu überlassen, plädiert er also für eine Steuerung des Preises.
Von solchen Forderungen ist die europäische Wirtschaft weit entfernt. Den zentralen Satz in dem Brief an die EU-Parlamentarier dürfte so mancher überlesen haben: „Wenn nichts passiert, ist das Risiko groß, dass der EU-Emissionshandel nach und nach durch teurere nationale Maßnahmen zur CO2-Reduktion ersetzt wird.“ Teurere Maßnahmen, das wären etwa CO2-Steuern oder -Abgaben.
Die Unternehmen hoffen anscheinend auf eine Reform des Emissionshandels, die Kohlendioxid nicht zu teuer macht. Das klingt schon eher nach den Forderungen der energieintensiven Industrie: Klimaschutz ja – aber er darf bitte nicht zu viel kosten.
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Linktipp: Was beeinflusst den CO2-Preis in Europa? Das hat eine Forschergruppe um Nicolas Koch und Ottmar Edenhofer untersucht. Die Wirtschaftskrise und die erneuerbaren Energien haben demzufolge nur geringen Einfluss. 90 Prozent des Preisverfalls bleiben rätselhaft. Hier entlang.
Hintergrund: Im Oktober haben sich die Staats- und Regierungschefs in der EU auf die Klimapolitik bis 2030 verständigt. Das Papier lässt viel Raum für Interpretation. Hier zum PDF.
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