Viele Verbraucher meinen - unterstützt von mancher Werbung - es gäbe nachhaltige Rohstoffe oder Produkte. Doch kein Material und kein Produkt ist per se nachhaltig. Die Umweltwirkungen hängen nicht nur davon ab, wie und wo die für das Produkt gebrauchten Rohstoffe produziert, konsumiert und rezykliert wurden.
Auch ein Zuviel des (relativ) Guten kann zu mehr Schaden als Nutzen führen. Das zeigen die sechs folgenden Beispiele besonders deutlich:
1. Beispiel Biokraftstoffe: Im direkten Vergleich mit erdölbasierten Treibstoffen versprechen sie, die Atmosphäre mit weniger klimaschädlichen Emissionen zu belasten. Bei näherer Betrachtung stellt man aber fest, dass dafür die Belastung von Gewässern mit Nährstoffen aus Landwirtschaft zunimmt.
Selbst wenn man geneigt wäre, diese Problemverlagerung zu tolerieren, schwindet der klimaentlastende Effekt im Zuge vermehrter Nachfrage nach Biokraftstoffen. Diese führt zur Ausweitung von Anbauflächen, vorwiegend in den Tropen. Und durch die Umwandlung von Grasländern, Savannen und Wäldern führt der steigende Verbrauch von Biokraftstoffen in Europa letztlich zu vermehrten Treibhausgasemissionen.
2. Beispiel Elektromobilität: Zwar setzen Elektromotoren keine Verbrennungsgase wie Kohlendioxid frei. Doch solange sie mit dem aktuellen Strommix, der hauptsächlich aus fossil befeuerten Kraftwerken stammt, betrieben werden, werden bei ihrem Betrieb insgesamt kaum weniger Treibhausgase freigesetzt als beim Einsatz von diesel- oder benzingetriebenen Verbrennungsmotoren.
Hinzu kommt, dass der abiotische Ressourcenaufwand (also zum Beispiel von Mineralen) für elektrisch betriebene Pkw steigt. Auch werden teilweise kritische Rohstoffe wie Dysprosium und Lithium eingesetzt, so dass der flächendeckende Einsatz von elektrisch getriebenen Pkw erhebliche Anteile der weltweiten Reserven dieser Rohstoffe benötigen würde. Eine wachsende Nachfrage hätte eine Ausweitung des Bergbaus zur Folge, da Recycling den Bedarf erst nennenswert decken kann, wenn die Produktbestände aufgebaut sind.
Der Umstieg auf Elektromobilität macht daher ökologisch nur in dem Maße Sinn, wie die gesamte Infrastruktur auf erneuerbare Energiequellen umgestellt wird und sowohl die Fahrzeuge als auch ihre Nutzung material- und energieeffizienter gestaltet werden.
Natürlich gibt es mehr oder weniger umweltbelastende Produkte, aber es gibt kein einziges zum ökologischen Nulltarif. Außerdem kommt es auf die Kriterien an, die man an ihre Bewertung anlegt.
3. Beispiel nachwachsende Rohstoffe: Sie werden häufig – auch amtlicherseits – als umweltverträglicher angesehen als nicht nachwachsende mineralische Rohstoffe.
Doch werden weltweit durch Land- und Forstwirtschaft wesentlich größere Flächen aus einem eher natürlichen Zustand in bewirtschaftete, artenarme Flächen umgewandelt als durch Bergbau und die Gewinnung von Steinen und Erden.
Die Nachwachskapazität von Feldfrüchten und Holz ist begrenzt. Mit der Steigerung der Hektarerträge auf dem Acker und in den Wäldern geht in der Regel eine Verarmung der Artenvielfalt einher, ganz zu schweigen von der Überdüngung intensiv genutzter Agrarlandschaften.
Nun könnte man meinen, dass – wenn schon nachwachsende Rohstoffe begrenzt zur Verfügung stehen – die menschgemachten „Kunststoffe“ wenigstens die gleichen Eigenschaften wie Naturstoffe haben sollten, um sich „in natürliche Kreisläufe“ zu integrieren. Hier wird häufig die biologische Abbaubarkeit als Kriterium angeführt.
In der Tat erscheint eine solche Forderung angesichts vermüllter Strände und diversem Treibgut auf Seen und Meeren nicht unbegründet. Doch haben zum Beispiel Kunststoff- und Metallrahmen bei Fenstern den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu Holz nicht von Pilzen und Insekten abgebaut werden und deshalb auch ohne giftiges Holzschutzmittel lange haltbar sind. Auch lassen sich Metalle und Kunststoffe rezyklieren, was bei nachwachsenden Rohstoffen häufig schwieriger ist.
Es kommt also auch auf die Einsatzbereiche und die Nachverwendung der Materialien an, um beurteilen zu können, welche Eigenschaften im jeweiligen Kontext vorteilhaft sind.
4. Beispiel biologische Abbaubarkeit:Dass sie für sich genommen ein unzureichendes Merkmal darstellt, wird an den Beispielen Gülle und Kohlendioxid deutlich. Gülle ist ein natürliches Ausscheidungsprodukt von Tieren und in seinen Hauptbestandteilen vollständig abbaubar.
Dennoch kommt es in weiten Landstrichen Norddeutschlands zur Überdüngung von Grund- und Oberflächenwasser, weil die Tierhaltung nicht flächengebunden erfolgt und die auf den Wiesen und Äckern konzentriert ausgebrachte Gülle von Futter stammt, das anderswo geerntet wurde. Es wird schlicht zu viel davon in einem bestimmten Zeitraum in einem bestimmten Raum ausgebracht.
Das Gleiche gilt für Kohlendioxid, das ein natürlicher Bestandteil des globalen Kohlenstoffkreislaufs ist, von jedem Menschen mit jedem Atemzug ausgeatmet und von Pflanzen als Hauptnährstoff aufgenommen wird. Von diesem Stoff wird weltweit schlicht zuviel in die Atmosphäre abgegeben. Da hilft es auch nicht, wenn er Bestandteil „natürlicher Kreisläufe“ ist.
5. Beispiel Ökolandbau:Es gibt Kennzeichnungen von Produkten, die verschiedene Eigenschaften und komplexe Produktionsbedingungen widerspiegeln. Informationen dazu werden in Form verschiedener „Label“ gebündelt, um Entscheidungen von umweltbewussten Käufern zu unterstützen.
So kann man sich in der Regel darauf verlassen, dass mit dem Kauf von Produkten aus Ökolandbau (z.B. nach EU Standards zertifiziert) die Umwelt weniger als bei konventionellen Produkten belastet wird, weil die Belastung der Landschaft mit Düngern und Pestiziden vermindert wird, die Tiere artgerechter gehalten werden usw.
Da der Ökolandbau tendenziell etwas mehr Fläche für die gleiche Produktionsmenge benötigt, würde die vollständige Versorgung der Bevölkerung damit freilich eine Ausweitung der insgesamt benötigten Agrarflächen bedeuten, wenn nicht gleichzeitig der Einsatz effizienter wird (z.B. weniger weggeworfen wird).
6. Nachhaltige Waldwirtschaft:Bei forstlichen Produkten wie Terrassenmöbeln und Papier gibt es Siegel wie zum Beispiel das des Forest Stewardship Council (FSC). Das signalisiert dem Käufer, dass das dafür genutzte Holz nicht aus Raubbau sondern aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern kommt.
Dies ist angesichts des immer noch hohen Anteils von illegalem Holzeinschlag, der auf verschiedenen Wegen häufig aus den Tropen auch nach Europa gelangt, sicher zu begrüßen. Doch könnte nicht zertifiziertes Holz aus heimischer Produktion eventuell günstiger als zertifiziertes Importholz zu bewerten sein.
Und wenn die Nachfrage nach holzbasierten Produkten weiter steigt, so könnte dies trotz – oder mittels – Zertifzierung eine Ausweitung der bewirtschafteten Wälder zu Lasten von Naturwäldern haben. Außerdem: wäre es nicht sinnvoller, wenn das Buch, das Sie gerade lesen, nicht aus FSC zertifizierten Wäldern sondern aus recyceltem Papier stammen würde?
Dafür gibt es hin und wieder den Blauen Engel. Noch ein wenig weiter gedacht könnte ein eBook sogar noch weniger umweltbelastend sein, – wenn unser Strom regenerativ und materialeffizient hergestellt wird.
Es stellt also die Frage: Woran soll man sich, kann man sich als Verbraucher orientieren?
Private Konsumenten sehen sich einer Flut von Warenkennzeichnungen gegenüber. Einige davon sind durchaus hilfreich, andere verleiten vielleicht zu einem Kauf aus gutem ökologischen Gewissen, ohne dass die Nebenwirkungen wirklich erkennbar sind.
Dabei sind Produktstandards zusammen mit Kennzeichnungen generell ein wichtiges Instrument, um technischen Fortschritt auch ökologisch und sozial nachhaltiger zu gestalten. Lärmarme Maschinen und energieeffiziente Geräte haben sich immer mehr durchgesetzt, auch weil diese Eigenschaften über Produktkennzeichnungen besonders ins Augenmerk von Kunden und Verkäufern gerückt worden sind.
Doch selbst für Produzenten ist es nicht immer einfach, hinter die jeweiligen Labels zu schauen. Palmöl wird für Nahrungsmittel (z.B. Margarine, Schokolade, Backwaren), Wasch- und Reinigungsmittel, Kosmetika und Biodiesel eingesetzt. Der Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl (RSPO) vergibt ein vom WFF unterstütztes Zertifikat, das Mindestanforderungen stellt und u.a. belegen soll, dass das Palmöl von Plantagen stammt, für die kein Naturwald gerodet wurde.
Doch solange die weltweite Nachfrage nach Palmöl steigt, werden die Anbauflächen hierfür ausgeweitet werden. Wenn dies auf Ackerflächen erfolgt, auf denen vormals oder aktuell Nahrungsmittel angebaut werden, so muss dieser Anbau woanders stattfinden. Man spricht von indirekter Landnutzungsänderung.
Bei steigender Nachfrage nach Nahrungsmitteln weltweit stehen letztlich keine Agrarflächen mehr zur Verfügung. Durch den steigenden Verbrauch von Palmöl wird der Tropenwald weiter weichen, das RSPO Label wird dadurch eher zum Feigenblatt.
Materialintensität als neues KritieriumAuch die Einführung von Produktkennzeichnungen, die auf die Produktionsbedingungen entlang der Produktionskette hinweisen, ist generell durchaus zu begrüßen. Es ist enorm wichtig, die Brücke zwischen denen herzustellen, die die Waren herstellen, und jenen, die sie kaufen.
Ob diese faire Löhne für Kaffeebauern oder angemessene Arbeitsbedingungen für Textilarbeiterinnen sind, es geht nicht nur um umweltbezogene Aspekte.
Insbesondere weltweit gehandelte Rohstoffe und Waren können über transparente, nachprüfbare Produktanforderungen zu verbesserten Produktions- und Umweltbedingungen in den Herstellungsländern beitragen.
Auch die Anforderungen an die lebenszyklusweite Performance von Produkten unterliegen einem Wandel. Während früher die schadstoffarmen Produkte („asbestfrei“, „kadmiumfrei“, „bleifrei“) im Vordergrund standen und danach der Energieverbrauch („energieeffizient“, „klimaschonend“) seinen Niederschlag in verschiedenen Buchstaben und Farbskalen fand, werden heute die Forderungen lauter, auch den Ressourcenaufwand in Form von Rohstoffen, Wasser und Landnutzung beim Design und der Kennzeichnung von Produkten einzubeziehen. Doch das Kriterium der Materialintensität hat selbst beim „Blauen Engel“ noch nicht wirklich Einzug gehalten.
Neben dem rein relativen Vergleich von Produkten, der solchen Produktkennzeichnungen meist zugrunde liegt, bleibt die Herausforderung bestehen, den Wachstums- oder Skaleneffekt in den Griff zu bekommen.
Letztlich führt kein Weg daran vorbei, auf gesamtwirtschaftlicher Ebene Rahmeneckwerte eines als akzeptabel erachteten Ressourcenverbrauchs festzulegen, wie das für Treibhausgase und ihre Obergrenzen seit längerem diskutiert und sowohl in Deutschland als auch der EU vereinbart worden ist.
Dabei ist es möglich, die Vorketten von Importen und Exporten einzubeziehen, um die „lebenszyklusweit“ beziehungsweise global anfallenden Aufwendungen, die mit dem Verbrauch von Gütern in Deutschland oder der EU verbunden sind, zu berücksichtigen.
Cradle to Grave reicht nicht mehrDiese Orientierungsmarken würden Obergrenzen nachhaltiger Ressourcennutzung angeben (welche das sein könnten, soll im nächsten und letzten Beitrag dieser Online-Reihe erläutert werden). Diese Zielwerte lassen sich mit dem jeweiligen Status quo vergleichen. Das wiederum zeigt die Lücke zur Erreichung des Ziels.
Auf dieser Basis lassen sich dann die spezifischen Anteile des Ressourcenverbrauchs von Produkten bei zu erwartender Marktdurchdringung ermitteln. So kann man bei Autos beispielsweise berechnen, welche Folgen die Übernahme neuer Technologien für den Aufwand an Materialien mit einem hohen ökologischen Rucksack zu Folge hätte, wie das für Platingruppen-Metalle durch die Einführung von Katalysatoren und Brennstoffzellen durchgeführt wurde. Dadurch lassen sich nicht nur zu erwartende Knappheiten sondern auch die Größenordnung des globalen Materialaufwands für die Autoproduktion abschätzen. Auf diese Weise ließe sich auch vergleichen, welche Produkte am ehesten zur Erreichung des Ziels beitragen.
So ließe sich auch manch böse Überraschung vor der Markteinführung von Produkten vermeiden, deren Risiken und Nebenwirkungen erst später zu Tage treten. Und es wäre möglich, die nötigen Kombinationen politischer Rahmensetzungen vorab zu erkennen. Denn eine Ausweitung des Ökolandbaus kann in ihren Nebenwirkungen begrenzt werden, wenn gleichzeitig effektive Programme zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen durchgeführt werden.
Welche Technologien, welche Produkte zukunftssicher und tatsächlich besser als die heutigen sind, lässt sich nur ermitteln, wenn die Lebenszyklusperspektive (Cradle to Grave) durch eine skalenübergreifende Systemperspektive ergänzt wird. Dadurch können Entscheidungen auf Firmenebene mit gesamtwirtschaftlichen Trends und globalen Erfordernissen frühzeitig abgestimmt werden.
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Stefan Bringezu leitet die Forschungsgruppe Stoffströme und Ressourcenmanagement am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Seit 2011 ist er außerdem Professor für Nachhaltiges Ressourcenmanagement beim Center for Environmental Systems Research (CESR) an der Universität Kassel. Stefan Bringezu beschreibt in einer Artikelserie bei WiWo Green, welche Herausforderung im Bereich der Rohstoffversorgung auf uns warten und wie wir sie meistern können.
Bisher ist von Stefan Bringezu auf WiWo Green erschienen: