Dynamische Tarife Wird Vivi-Power zum günstigsten Stromanbieter?

Als erster Stromanbieter lässt Vivi-Power seine Kunden von Preisschwankungen an der Strombörse profitieren.

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Pünktlich zur Adventszeit haben viele Stromanbieter ihren Kunden Briefe geschickt. Briefe, die sich wie eine Aufforderung zum Anbieterwechsel lesen – denn mit ihnen kündigen die Stromversorger steigende Preise an. Bei 276 Stromanbietern kommen um bis zu 13,7 Prozent höhere Preise auf die Kunden zu.

Gründe dafür gibt es viele. In der einen Region sind es steigende Netzentgelte, die meisten Anbieter argumentieren mit der höheren EEG-Umlage, die zum kommenden Jahr auf 6,24 Cent pro kWh steigen wird. Zu Wochenbeginn warnte der Bundesverband der Verbraucherzentralen vor weiter steigenden Kosten wegen des Offshore-Ausbaus.

Die Energiewende, so scheint es, treibt die Stromrechnungen der Privatkunden in die Höhe – ein schlagkräftiges Argument gegen den rasanten Umbau unseres Energiesystems. Doch so einfach ist es nicht. Denn je mehr Ökostrom im Netz ist, desto geringer ist der Preis an der Leipziger Strombörse. Sinkt der Börsenpreis, steigen gleichzeitig die Umlagekosten für Ökostrom.

Theoretisch könnte sich das auf der Stromrechnung ausgleichen. Tut es aber nicht, was Umweltverbände und grüne Politiker immer wieder anprangern: Weil die Versorger in der Regel Jahresverträge anbieten und ihren Strom lange im Voraus einkaufen, kommen sinkende Börsenpreise – wenn überhaupt – nur verzögert bei den Verbrauchern an.

Bundesweit erster dynamischer StromtarifEin kleiner hessischer Stromanbieter schickt sich nun an, das zu ändern: Vivi-Power bietet den bundesweit ersten dynamischen Stromtarif an. Das Tochterunternehmen der Stadtwerke Bad Vilbing und Viernheim berechnet Monat für Monat neue Preise – wenn im Sommer besonders viel Solarstrom im Netz ist und die Börsenpreise sinken, reicht das Unternehmen die Entwicklung viel kurzfristiger als die Konkurrenz an seine Kunden weiter. Im Jahresverlauf sind Differenzen von zwei Cent und mehr pro Kilowattstunde keine Seltenheit.

Die Arbeitspreise kündigt Vivi-Power seinen Kunden immer drei Monate im Voraus an. Das Unternehmen kauft überwiegend kurzfristige Terminkontrakte, deren Preise im Jahresverlauf schwanken – jeweils zum nächsten Monat steht dann der endgültige Preis fest. „Es besteht die gute Chance, dass die Marktpreise weiter unter Druck stehen und noch etwas nachgeben“, erwartet Ralph Franke, Geschäftsführer des Anbieters, für das kommende Jahr.

Kunden des Unternehmens müssen bereit sein, sich monatlich mit ihrem Stromverbrauch zu beschäftigen. Alle vier Wochen können sie online ihren Zählerstand eingeben und zahlen nur das, was sie tatsächlich verbrauchen. Vivi-Power berechnet nur eine Grundgebühr und den kWh-Preis – Vorauszahlungen, fragwürdige Boni oder freie Kilowattstunden gibt es nicht. Und der Vertrag ist monatlich kündbar. „Von dem Angebot geht ein geringes Risiko aus - vor allem zahlt man nie Geld im Voraus und ist nicht mindestens ein ganzes Jahr an seinen Versorger gebunden“, sagt Peter Blenkers, Energieexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

Stiftung Warentest bescheinigt hohe TransparenzDas sieht auch die Stiftung Warentest so, die den ungewöhnlichen Stromtarif im Mai analysiert hat. „Die Kosten sind trans­parent, die Geschäfts­bedingungen sind fair“, lautet das Urteil der Tester. Ein Preisvergleich in Berlin und Frankfurt wies Vivi-Power zudem als günstigsten Anbieter aus.

Für Geschäftsführer Franke ist der Zuspruch der Verbraucherschützer die beste Werbung. "Mit unseren Preisen haben wir beim Marketing kaum Spielraum. Wir setzen auf Mund-zu-Mund-Propaganda“, sagt er und erinnert damit indirekt an die Stromanbieter-Pleiten der vergangenen Jahre, nach denen viele Kunden lieber zweimal überlegen, ob sie zu einem jungen Stromanbieter mit besonders günstigen Tarifen wechseln: Im laufenden Jahr mussten sich 500.000 Kunden nach der Pleite des Stromdiscounters FlexStrom einen neuen Anbieter suchen. Bei der Insolvenz von Teldafax waren 700.000 Kunden betroffen, von denen die meisten ihren Strom für ein Jahr im Voraus bezahlt hatten.

Zeit Online zitierte nach der Flexstrom-Pleite den Insolvenzverwalter Christoph Schulte-Kaubrügger: "Die FlexStrom-Kunden sind jung, dauernd online und wechselfreudig", sagt der Jurist der Wirtschaftskanzlei White & Case, die auch Teldafax abwickelt.

Genau jene Kunden sind es, auf die Franke es abgesehen hat: „Es gibt Kunden, für die unser Konzept nicht geeignet ist“, sagt er. So sieht das auch Verbraucherschützer Blenkers. „Für die breite Masse halte ich das aber für zu kompliziert“, sagt er.

Wer sich am liebsten überhaupt nicht mit seiner Stromrechnung beschäftigt oder höchstens einmal im Jahr, bleibt lieber bei den traditionellen Tarifen. Ohnehin wollen einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung zufolge gerade einmal 14 Prozent der Stromkunden ihren Anbieter wechseln. Rund 45 Prozent der Kunden leisten sich immer noch die teure Grundversorgung.

Wette auf sinkende PreiseWer zu den Wechselwilligen gehört und sich für den dynamischen Stromtarif entscheidet, geht auch eine Wette auf sinkende Preise ein. In einem stichprobenartigen Preisvergleich von WiWo Green ist Vivi-Power in keiner Stadt der günstigste Anbieter (siehe Tabelle). Dabei haben wir nur Tarife berücksichtigt, die die EEG-Umlage für 2014 schon berücksichtigt haben und wenigstens annähernd mit dem Angebot der Hessen vergleichbar sind – ohne Vorkasse, ohne Neukunden- oder Wechselboni:

 

Auf der Suche nach dem günstigsten Tarif landet Vivi-Power in keiner der ausgewählten Städte in den Top Zehn – unter der Annahme, dass die für Januar festgelegten Preise während des ganzen Jahres gelten. Im Winter ist der Strom jedoch am teuersten. "Wenn man sich die Quartalspreise ansieht, kann man von deutlich günstigeren Preisen im Jahresverlauf ausgehen", sagt Franke. Sinken die Preise im Frühjahr und Sommer, konkurriert Vivi-Power stets mit den günstigsten Wettbewerbern.

Stetiger KundenzuwachsBislang haben sich allerdings nur wenige Kunden darauf eingelassen. Vivi-Power macht keine genauen Angaben, gibt aber zu, die Zahl der Verträge liege noch nicht im vierstelligen Bereich. Dafür gebe es einen stetigen Kundenzuwachs, sagt Franke. Und der Tarif ist in immer mehr Städten verfügbar.

Wozu ein allzu rasantes Wachstum führen kann, zeigt das Beispiel Care Energy: Binnen eineinhalb Jahren gewann das Unternehmen aus Hamburg mehr als 250.000 Kunden. Nun hat die Firmengruppe deutlich die Preise erhöht – aus den 19,90 Cent pro Kilowattstunde bei 6,99 Euro monatlicher Grundgebühr wurden nun 24,90 Cent bei einem Grundpreis von 9,90.

Als Gründe nannte Care Energy höhere staatliche Abgaben und Unsicherheit über die Entwicklung der Energiepreise nach der Regierungsbildung. Zweifel an dem schwer zu durchschauenden Geschäftsmodell gibt es schon seit geraumer Zeit. Viele Zweifler dürften sich jetzt bestätigt fühlen.

Von denen gibt es bei Vivi-Power noch keine. Nur wird es vielen unbequem erscheinen, sich zwischen Tankquittungen, Kassenbons und Handyrechnungen noch ständig mit Zählerständen zu beschäftigen. Und gerade für Kernkraft- und Kohle-Gegner hat das Angebot dann doch einen Haken: Der Strommix enthält gerade einmal 30 Prozent Ökostrom.

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