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Elektroautos Autofahrer haben überzogene Erwartungen

Wie gelingt die Energiewende auf der Straße? So wie Kunden an das Thema Elektroauto herangehen jedenfalls nicht, meint unser Gastautor Dieter Becker.

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Von Dieter Becker. Er ist Consulting Partner und Leiter des Kompetenzzentrums Automotive bei der Wirtschaftsprüfungs- und Consultinggesellschaft KPMG.

Wie kann die Energiewende auf der Straße gelingen? So wie Verbraucher und Politik aktuell an das Thema Elektroauto herangehen jedenfalls nicht, sagt KPMG-Partner Dieter Becker. Die meisten Autofahrer haben falsche, weil überzogene Erwartungen. Und auch die Unternehmen müssen umdenken, wenn sie Kunden für sich gewinnen wollen. Die Lösung lautet: Plug-in-Hybrids eine Chance geben.

Eine leistungsstarke Batterie, Hunderte Kilometer Reichweite, Platz für die ganze Familie, ausgestattet mit Klimaanlage und Sitzheizung – und das alles für unter 20.000 Euro. Verbraucher wollen beim Elektroauto alles gleichzeitig. Das ist ihr gutes Recht. Aber die Erwartungen sind überzogen.

Autofahrer in Deutschland sind wenig bereit, etwas dafür zu tun, dass sich Elektroautos auf breiter Front durchsetzen können. Verbreitet ist die Attitüde: Hauptsache, das Auto läuft. Woher die Energie kommt und wie viel davon im Auto wofür genau verbraucht wird, wird ausgeblendet.

Wir empfinden es als unkomfortabel, bisweilen sogar als lästig, dass wir im Elektroauto mit der Energie haushalten müssen. Das müssen wir aber, wenn wir der neuen Technologie eine Chance geben wollen. Denn Batterien mit großer Leistung sind teuer, und zu teuren Preisen mag kaum jemand kaufen. Deshalb sage ich: Wir müssen alle unseren Anspruch an Komfort und Leistung ändern – und senken. Verbraucher haben heute keine Vorstellung davon, wer die wahren Stromfresser im Fahrzeug sind. So erhöht sich der Spritverbrauch beispielsweise bei eingeschalteter Klimaanlage um bis zu zehn Prozent.

Kunden brauchen mehr InformationenDeshalb ist es dringend nötig, transparent zu machen, wo und wie viel Strom im Fahrzeug verbraucht wird. Nur so lassen sich Verbraucher sensibilisieren und motivieren, ihr Verhalten zu ändern. Hier sind die Hersteller gefragt. Sie müssen beim Thema Elektromobilität enger an den Kunden rücken und Verbrauchern mehr Informationen über die Effizienz und die gesamte Beschaffungs- und Produktionskette an die Hand geben.

Darüber hinaus wäre eine umfassende Energie- und Ökobilanz für jedes Modell sinnvoll, ebenso eine Einteilung in Effizienzklassen (ähnlich wie bei Kühlschränken). Aktuell sind Autokäufer auf absolute Angaben zum Verbrauch angewiesen – bei der Einschätzung, wie gut das Auto die Energie nutzt, werden sie allein gelassen.

Ein weiterer Hemmschuh: Das Angebot an reinen Elektrofahrzeugen ist überschaubar. Kein Wunder, dass sich Käufer zurückhalten. Nach wie vor sind viele Fragen offen – etwa die nach dem Nachschub an Seltenen Erden, die immer mehr gebraucht werden, je mehr neue Technologien im Auto eingesetzt werden.

Und dann ist da noch die Frage nach einer ökologischen Entsorgung alter Autos und Batterien. Viele Punkte, die alle zu einem Ergebnis führen: Es tut sich so gut wie nichts.

Das untermauert ein Blick in die Zulassungsstatistik: Die Forscher des Zentrums für Sonnenenergie und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg haben jüngst im Vorfeld der IAA die aktuellsten Zahlen zusammengerechnet. Und wie viele Elektroautos sind es heute? Etwas mehr als 7.000. Nimmt man Krafträder, Lastwagen und Busse hinzu, kommt man auf knapp 15.000 Fahrzeuge. 7.000? Ein exklusiver Kreis. Und auch wenn die Zuwachsraten hoffen lassen: Das Ziel der Bundesregierung – eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen im Jahr 2020 – wird schwer zu halten sein.

Deutschland hinkt seiner Rolle hinterherDas sollte auch die Automobilwirtschaft auf den Plan rufen. Die neuesten Modelle von deutschen Herstellern ließen jüngst zwar einmal mehr aufhorchen. Aber der Massenmarkt ist anderswo. Wenn die Entwicklung weiter so zögerlich vorankommt, hinkt Deutschland seiner Wunschrolle als Leitmarkt für Elektroantrieb im Auto hinterher. Die internationale Signalwirkung – unerfreulich.

Gefordert sind deshalb auch all jene, die das Thema nachhaltige Mobilität betrieblich oder durch indirekte Nachfrage befördern können – zum Beispiel Liefer- und Kurierdienste oder Taxiunternehmen. Und hier schließt sich der Kreis zum Verbraucher: Durch bewusste Nachfrage kann er mit seiner Entscheidung steuern, welcher Anbieter zum Zug kommt – der mit Elektroauto oder der ohne?

Was wird die kommende Bundesregierung tun, welche Schritte wird sie in dieser Sache unternehmen? Ich meine, sie muss mehr als bisher mithelfen, Autofahrer sanft an die neue Welt des Fahrens heranzuführen. Mein Ratschlag lautet, als ersten wichtigen Schritt die vorhandenen Übergangstechnologien zu akzeptieren. Zum Beispiel sollten im Rahmen des Regierungsprogramms Elektromobilität auch die Plug-in-Hybrids einbezogen werden.

Es lohnt sich, ihnen eine Chance geben: Sie sind für Verbraucher die sinnvolle Brücke auf dem Weg zur reinen Elektromobilität für alle. Denn sie geben uns die Möglichkeit, behutsam unsere Erfahrungen mit Elektroantrieben zu machen. Und nur durch Erfahrung lernen wir zu vertrauen, dass es möglich ist, in der Stadt elektrisch zu fahren – ohne Gefahr, nicht mehr nach Hause zu kommen.

Brückentechnologien in der ElektromobilitätDer schleppende Absatz bei Elektroautos zeigt: Wir brauchen eine solche Zeit des Übergangs. Zum einen ist der Normalverbraucher mit einer radikalen Gesamtumstellung überfordert. Zum anderen profitieren Hersteller direkt davon, wenn in den kommenden Jahren zunächst einmal mehr von den rollenden Forschungslaboren auf den Straßen unterwegs sind.

Denn sie nutzen die vorhandenen Verbrennungstechnologien und verschiedene Antriebsstoffe parallel und tragen so weiter zur Verbesserung der Verfahren bei. Außerdem sammeln wir im Übergangszeitraum weitere wertvolle Erfahrungen mit Elektromotoren.

Und wir gewinnen Zeit, uns über die wirklichen Anforderungen an die Ladeinfrastruktur klar zu werden. Hier werden Investitionen schließlich erst dann eingefordert werden, wenn auf dem Tisch liegt, was wirklich benötigt wird.

Kurz gesagt: Mit dem Fokus auf Hybride vermeiden wir, dass sich die breite Masse gänzlich vom Thema Elektromobilität abwendet. Für eine zukunftsorientierte, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete deutsche Wirtschaft, die vor allem in der Automobilindustrie neue Technologien präsentieren muss, wäre das ein düsteres Szenario. Große Sprünge bei der Leistungsfähigkeit bei Batterien für reine Elektroantriebe werden erst in einigen Jahren erwartet.

Warum also nicht die Zeit nutzen mit dem besten, das wir derzeit haben – die Hybridmodelle? Und in der Zwischenzeit in mehr Transparenz und Effizienzangaben bei Elektroautos investieren. Der Verbraucher wird es danken.

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