Uwe Albrecht ist Geschäftsführer der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik (LBST), einem international tätigen Beratungsunternehmen für nachhaltige Energie und Mobilität in München. Bis 2008 arbeitete Albrecht für Siemens.
Der Ausbau erneuerbarer Energien, also von Wind- und Solaranlagen, wird fortschreiten und die fluktuierende Stromerzeugung aus diesen wird zunehmen. Deshalb ist für die künftige Energieversorgung Deutschlands der Zugriff auf leistungsfähige, effiziente und wirtschaftlich zu betreibende Energiespeicher von herausragender Bedeutung.
Wichtig sind dabei insbesondere auch Speicher, die große Energiemengen aufnehmen und über längere Zeiträume bereithalten können. Dies können außer großen Pumpspeicherkraftwerken nur chemische Speicher leisten, die Strom mit flexiblen Elektrolyseuren in Wasserstoff umwandeln, der in großen Mengen in unterirdischen Kavernen gespeichert werden kann. Dabei wird Wasser elektrochemisch in Sauerstoff und Wasserstoff getrennt.
Diese chemische Energie in Form von Wasserstoff kann zum Beispiel von Brennstoffzellenautos getankt werden (siehe Aufmacherbild) und außerdem mit stationären Brennstoffzellen in Häusern Strom und Wärme liefern. Die ersten Geräte dafür sind bereits auf dem Markt. Aber auch für die Industrie ist Wasserstoff ein wichtiger Rohstoff.
Bei einem hohen Anteil von Photovoltaik- und Windstrom kann es mittelfristig sinnvoll werden, diese Energiereserven auch ergänzend zur Stromerzeugung in lastreichen Zeiten einzusetzen. Dafür würde der Wasserstoff z.B. in Gaskraftwerken verbrannt.
Wie groß ist eigentlich das Potenzial?Die Möglichkeiten, Wasserstoff zu erzeugen und zu verwenden sind bekannt und getestet. Die Frage war bisher: Wie viel Potenzial gibt es eigentlich in Deutschland und wie könnte eine Wertschöpfungskette aussehen, die Wasserstoff im großen Stil nutzt?
Diese Frage haben der unabhängige Technologieberater Ludwig-Bölkow-Systemtechnik, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young und die Energierechtskanzlei Becker Büttner Held in einer umfassenden Analyse am Beispiel der Region Unterelbe untersucht. Auftraggeber waren die norddeutschen Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen sowie regionale Unternehmen, Verbände, Landkreise und Kammern unter Steuerung von ChemCoast e.V., einer länderübergreifenden Initiative zur Stärkung der Wirtschaftskraft an den norddeutschen Chemiestandorten Brunsbüttel, Seelze, Stade, Walsrode und Wilhelmshaven.
Die Ausgangsbedingungen sind sehr gut. Norddeutschland weist ein hohes Windpotenzial auf - der deutsche Netzentwicklungsplan weist im Jahr 2025 bereits im Szenario mit niedrigem Ausbau erneuerbarer Energien eine installierte Windleistung Onshore und Offshore von knapp 30 GW aus, fast das dreifache der heutigen Leistung.
Zusätzlich verfügt die Region aber auch über geologische Salzformationen, die eine notwendige Voraussetzung für die Errichtung von Kavernen zur günstigen Speicherung von Windwasserstoff sind. Damit eignet sich die Region ideal für die Erzeugung und Speicherung von Wasserstoff aus Windenergie. Darüber hinaus gibt es im Norden sowohl eine große Zahl von Firmen, die sich mit der Entwicklung und Herstellung von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien befassen, als auch Unternehmen insbesondere der chemischen Industrie, die Wasserstoff in signifikanten Mengen herstellen oder nutzen.
20 Prozent „grüner“ Wasserstoff bereits 2025Die Studie zeigt erstmals für Deutschland wie eine realitätsnahe Nutzung von in Wasserstoff gespeichertem Strom wirtschaftlich für eine Region erfolgen kann. Berücksichtigt wurden dabei sowohl die erwarteten Mengen erneuerbarer Energien als auch die Ausbaupläne des norddeutschen Stromnetzes und die daraus resultierenden Überschussstrommengen sowie die mit dem Wasserstoff verbundene Transport- und Speicherinfrastruktur.
Im Vordergrund stand die stoffliche Nutzung des Wasserstoffs. Die Analysen berücksichtigen dabei das gesamte Wasserstoffangebot in der Region Unterelbe, das heißt sowohl das Potenzial aus der Elektrolyse von Windstrom als auch die Mengen aus heute verwendeten Produktionsprozessen, die beispielsweise in der Chemieindustrie eingesetzt werden und auf fossilen Rohstoffen basieren.
Ebenso betrachtet wurde die gesamte Nachfrage in stofflicher Form für Industrie und Verkehr, um auf diese Weise mögliche Skaleneffekte für die Produktion und Infrastruktur zu untersuchen. Basis war eine Erhebung praktisch aller relevanten Erzeuger und Verbraucher von Wasserstoff in der Wertschöpfungskette der Region Unterelbe. Bereits heute wird Wasserstoff dort umfassend genutzt.
Der überaus größte Anteil der Nachfrage kommt dabei kurz- und mittelfristig aus der Industrie. Langfristig bestehen die größten Wachstumspotenziale aber für die Nutzung im Verkehr. Beim Einsatz als Kraftstoff kann Windwasserstoff eine ganz besondere Rolle spielen, da für den Verkehr nur wenige alternative Möglichkeiten der Treibhausgasreduktion zur Verfügung stehen.
Bereits heute ist Hamburg eine führende Pilotregion beim Einsatz wasserstoffbetriebener Brennstoffzellenfahrzeuge. So betreibt die Hamburger Hochbahn im Rahmen des Leuchtturmprojekts der Clean Energy Partnership derzeit sieben Brennstoffzellenbusse und damit die größte Flotte solcher Busse in Deutschland.
Strom für tausende Haushalte speichernDie regional hohe Konzentration von Erzeugern und Verbrauchern in unterschiedlichen Anwendungsbereichen bietet ideale Voraussetzungen für die Schaffung eines übergreifenden gemeinsamen Marktes.
Basierend auf der durchgeführten Erhebung würden bereits im Jahr 2025 etwa 100.000 Tonnen Wasserstoff zwischen Erzeugern und Verbrauchern in Industrie und Verkehr gehandelt und transportiert werden. Dabei könnte der Anteil von „grünem“ aus erneuerbarer Energie erzeugtem Wasserstoff schon 20 Prozent betragen.
Voraussetzung dafür ist die Bereitstellung der erforderlichen Erzeugungs-, Verteil- und Speicherinfrastruktur. Dazu gehört ein großer Kavernenspeicher für Wasserstoff mit 500.000 Kubikmeter Volumen, eine circa 160 Kilometer langen Rohrleitung, die Erzeugungs- und Verbrauchszentren verbindet sowie Elektrolyseanlagen mit über 350 Megawatt elektrischer Eingangsleistung.
Die Elektrolyseure wären in der Lage, über eine Million Megawattstunden Energie aufzunehmen (das ist der Verbrauch aller Haushalte der Region in 18 Tagen) und in Wasserstoff umzuwandeln. Damit könnte Wasserstoff bereits in gut 10 Jahren einen signifikanten Beitrag zur Integration erneuerbarer Energien leisten.
Die Errichtung dieser Infrastruktur kann durch eine gemeinsame Anstrengung von Industrie und öffentlicher Hand gelingen. Das Gesamtvolumen aller Investitionen in den kommenden zwölf Jahren für Elektrolyseure, Transportinfrastruktur und Speicher beträgt gut 500 Millionen Euro. Im Ergebnis entsteht in Norddeutschland Erzeugungskapazität und ein Marktplatz für einen zunehmend erneuerbar produzierten Rohstoff, der den Industriestandort Deutschland im Hinblick auf nachhaltiges Wirtschaften stärkt.
Vorteile überwiegenSolange die Kilowattstunde Strom jedoch deutlich teurer ist als die Kilowattstunde Erdgas, benötigt grüner Wasserstoff unterstützende regulatorische Randbedingungen, um außerhalb des Verkehrssektors wirtschaftlich attraktiv zu werden.
Dafür muss ein stabiler Rechtsrahmen geschaffen werden. Davon profitiert dann auch die Umwelt - jedes in Substitution verbrauchte Kilogramm Windwasserstoff senkt die Treibhausgasemissionen um mehr als 11 kg CO2-Äquivalente gegenüber dem aus Erdgas hergestellten Wasserstoff
Im Ergebnis entstehen als Folge der Energiewende mit den richtigen Randbedingungen hochinteressante Perspektiven durch die Kombination und gegenseitige Verstärkung mehrerer zentraler Faktoren:
· Standortsicherung für die ansässige chemische Industrie
· Weiterer Ausbau der international führenden Aktivitäten beim Einsatz von Wasserstoff im Verkehrssektor
· Massive Unterstützung des Energiesystems durch die Verfügbarkeit relevanter Energiespeichermengen.
Mit dem richtigen Zusammenspiel von öffentlicher Hand und Industrie kann Norddeutschland so zu einer Vorzeigeregion mit weltweitem Pilotcharakter werden: Sowohl hinsichtlich der Erzeugung und Nutzung von grünem aus Windenergie erzieltem Wasserstoff als auch hinsichtlich der Integration großer Windenergiemengen in das Energiesystem.