Wenn ein Artikel in der Zeitschrift "Nature" erscheint, dann ist dem Autor eines sicher: die große Aufmerksamkeit in der wissenschaftlichen Community, schließlich ist "Nature" das weltweit wohl angesehenste Fachjournal für Naturwissenschaften.
Oliver Geden wusste also, welches Echo und welche Anfeindungen sein aktueller Nature-Artikel nach sich ziehen könnte. Denn der Klimapolitik-Experte vom Berliner Think-Tank "Stiftung Wissenschaft und Politik" hat in der vergangenen Woche nicht weniger getan, als den politisch aktiven Klimaforschern kollektives Versagen vorzuwerfen. Und das sind nicht wenige: Allein mehrere Hundert von ihnen engagieren sich im Weltklimarat der Vereinten Nationen.
Klimaziel ist völlig unrealistischSeine These: Klimaforscher, die auch als Regierungsberater arbeiten - Geden selbst berät die Bundesregierung - schadeten ihrem Ruf und der Klimawissenschaft insgesamt, wenn sie weiterhin die Ansicht vertreten, das Zwei-Grad-Ziel sei noch zu erreichen. Der Begriff beschreibt das Ziel, die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf zwei Grad im Vergleich mit der Zeit vor der Industrialisierung zu begrenzen. Die Folgen des Klimawandels wären für die Menschheit dann noch verkraftbar.
Deshalb ist das Zwei-Grad-Ziel seit dem Klimagipfel in Kopenhagen 2009 zu einer Chiffre für ambitionierte Klimapolitik geworden. Denn es begrenzt auch die Menge an Treibhausgasen wie CO2, die Menschen in den kommenden Jahrzehnten noch ausstoßen dürfen.
Auch vor dem UN-Klimagipfel in Paris Ende des Jahres rufen teilnehmende Länder die Devise aus: Wir werden alles dafür tun, die globale Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Dabei werden sie tatkräftig von Wissenschaftlern unterstützt, die ihnen in Modellen vorrechnen, dass es noch möglich ist, das Ziel einzuhalten. Laut Geden ist das Augenwischerei.
Ausstoß von Klimagasen steigt und steigt
Geden wirft der Wissenschaft vor, sich mit der politisch gewünschten Zwei-Grad-Marke gemein zu machen, ohne der Öffentlichkeit zu sagen, dass sie rein physikalisch kaum noch zu halten ist - allein, weil der Ausstoß von Treibhausgasen in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen ist.
"Das zulässige Budget ist derweil so sehr geschrumpft, dass die Menschheit bereits nach dem Jahr 2044 kein CO2 mehr ausstoßen dürfte. Das ist vollkommen unrealistisch", erklärt Geden dazu in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Das Zwei-Grad-Ziel sei längst zu einem Ersatz für wirkliches politisches Handeln geworden.
"Ausgerechnet in einer Phase, in der die CO2-Emissionen stärker gestiegen sind als jemals zuvor, wächst also plötzlich der Optimismus, dass drastischere Einsparungen möglich wären", kritisiert Geden weiter. "Und das alles nur, um die Zwei-Grad-Story am Leben zu halten." Mit ihrem Optimismus würden die Klimaforscher eine verfehlte Politik verschleiern:
Scientific climate policy advisors must maintain integrity, shouldn't cover political failure: my @NatureNews comment http://t.co/Zce5PHkMh4 — Oliver Geden (@Oliver_Geden) May 6, 2015
Gedens Nature-Kommentar liest sich in Teilen wie eine Abrechnung: "Das Mantra der Klimapolitik - die Zeit für das Zwei-Grad-Ziel werde knapp, aber wir können es noch schaffen, wenn wir jetzt handeln - ist wissenschaftlicher Unsinn", schreibt er.
Problemverlagerung in die ZukunftUm doch noch gute Nachrichten zu verbreiten, hofften Politiker und Forscher laut Geden darauf, die Emissionen später "zurückzahlen" zu können. Ermöglichen sollen das "negative Emissionen": Dabei werde angenommen, dass sich durch eine Kombination von Bioenergie und CCS (die unterirdische Speicherung von CO2) der Atmosphäre CO2 entziehen lasse.
Das ginge in der Praxis beispielsweise so: Man pflanzt schnell wachsende Bäume an, die der Luft das CO2 entziehen. Später fällt man die Bäume, verbrennt sie zur Stromgewinnung und speichert die Klimagase unter der Erde.
Technisch ist das Verfahren realisierbar und in Pilotprojekten auch erprobt; aber ob es sich auch ökonomisch lohnt, steht in den Sternen. Zudem machen in Deutschland Bürgerinitiativen gegen die Speicherung von CO2 im Untergrund mobil.
Die beratenden Klimaforscher, Ökonomen wie Physiker, unterstützten die Politik aber bei der Verbreitung solch unrealistischer Szenarien, findet Geden. "Man könnte Negativemissionen auch politische Science-Fiction nennen", sagt er im "Spiegel".
Was die Befürworter des Konzepts außerdem verschwiegen, sei die Landfläche, die man benötige, um über negative Emissionen die Erderwärmung zu bremsen: Es seien rund 500 Millionen Hektar, eineinhalb mal die Fläche Indiens, sagt Geden.
500 mha (1.5 times size of India) needed for bioenergy-CCS only a question of political will? http://t.co/FJscUbV0Gx https://t.co/pTH8yG4PTh
— Oliver Geden (@Oliver_Geden) May 6, 2015Die wütenden Reaktionen der Klimaforscher auf Gedens Kritik ließen nicht lange auf sich warten. Der Klimatologe Bill Hare beschuldigte Geden, die Machbarkeit von Technologien zur Emissionsvermeidung herunterzuspielen. "Gedens Anschuldigungen könnten nicht verkehrter sein", sagte er.
Rechnerisch ist alles möglich
Das Zwei-Grad-Ziel sei aus physikalischer Sicht sehr wahrscheinlich noch einzuhalten, schrieb wiederum der berühmte Klimaforscher Michael Mann von der Penn State Universität auf der US-Webseite Buzzfeed. "Die einzigen Hindernisse sind an diesem Punkt der politische Wille, nicht die Physik", schrieb er.
Was die Auseinandersetzung zeigt? Ein halbes Jahr vor dem großen Klimagipfel in Paris scheint es unsicherer denn je, ob sich ein gefährlicher Klimawandel tatsächlich noch vermeiden lässt.
In Paris werden die Politiker und Klimaforscher aber gute Mine zum bösen Spiel machen. Sie werden CO2-Reduktionsziele verkünden, die auf den Modellrechnungen der Klimaforscher basieren und vorgeben, die Zwei-Grad-Marke zu halten. Dass die Modellrechnungen reines Wunschdenken sind, werden Forscher wie Politiker geflissentlich ignorieren.