Von Friedrich Schmidt-Bleek. Der Chemiker und Umweltforscher lebt in Frankreich und Berlin. Er hält eine radikale Senkung des Ressourcenverbrauchs für machbar.
Ökologische Nachhaltigkeit bedeutet die permanente Erhaltung der Dienstleistungen und Funktionen der Ökosphäre, weil sie für den Menschen überlebensnotwendig und für die Stabilität der Biosphäre verantwortlich sind. Verschwenderischer Umgang mit natürlichen Ressourcen, unangemessene Technik und unsere grundsätzlich umweltfeindliche Wirtschaft verändern und zerstören diese Funktionen und Leistungen. Doch ohne die ökosystemischen Dienstleistungen und Funktionen, aus denen der Mensch hervorging, kann er auf dem Planeten Erde nicht überleben.
Die aktuelle Politik in vielen Bereichen, insbesondere aber in der Wirtschafts-, Finanz-, Wirtschaftshilfe- und Umweltpolitik, ist jedoch so ausgerichtet, dass die Funktionen der Ökosphäre zunehmend Schaden nehmen. Und was einmal verloren ist, kann Technik nicht ersetzen. Wenn man der wachsenden Zahl grüner Bezeichnungen von Gütern, Prozessen, Dienstleistungen und Handlungsweisen um uns herum trauen könnte, dann wären wir sicher unterwegs zur Zukunftsfähigkeit.
Sowohl der Begriff "grün" als auch die Bezeichnung "nachhaltig" sind aber leider zu werbungsdienenden Schlagworten verkommen. Trotz der "grüner" werdenden Welt entfernen wir uns in Wirklichkeit von der Zukunftsfähigkeit.
Erneuerbar ist nicht gleich nachhaltigAuch "nachwachsend" oder "erneuerbar" ist nicht dasselbe wie "nachhaltig". Ein richtungssicheres ökologisches Maß ist die Menge an natürlichen Ressourcen, die für die Herstellung und den Gebrauch der Technik eingesetzt werden muss, um eine bestimmte Leistung zu erzielen. Die Menge an genutzten Ressourcen wird immer von der Wiege bis zur Wiege (oder bis zur Bahre) aufsummiert.
Bezogen auf Material, wird dieser Indikator MIPS, der "Material Input pro Einheit Service", oder auch der "Materialfußabdruck" genannt. Ressourcenintensität und Ressourcenproduktivität sind Schlüsselkonzepte für Nachhaltigkeitsmessungen, weil sie die Entkoppelung von Ressourcenverbrauch und Umweltzerstörung beschreiben. Ihre Stärke ist, dass sie als Maß für wirtschaftliche wie auch für Umweltkosten dienen.
Auf der einen Seite beschreibt die Ressourcenproduktivität das Ergebnis, das durch den Einsatz einer bestimmten Menge an Ressourcen erreicht wird. Andererseits wird durch Ressourcenintensität der Verbrauch von Ressourcen pro Ergebnis angezeigt. Ziel der Nachhaltigkeit ist die Maximierung der Ressourcenproduktivität und die Minimierung der Ressourcenintensität. MIPS, der materielle Fußabdruck, ist ein Intensitätsmaß. Mit MIPS kann man weltweit alles in eingesetzter Masse pro erzeugten Nutzen messen, ob Güter, Prozesse, Infrastrukturen oder Dienstleistungen.
Das wirkliche grüne ZielDas wirklich grüne Ziel unseres Wirtschaftssystems muss es demnach werden, den absoluten Verbrauch an Material pro erzeugten Nutzen zu senken, dafür aber aus dem genutzten Material zumindest zehnfach größeren Nutzen zu erzeugen. Zurzeit verbraucht die Industrie noch zwischen 30 und 300 Kilogramm Masse pro Kilo Produkt. Experten sind der Auffassung, bis zur Mitte unseres Jahrhunderts dürfe der globale jährliche Pro-Kopf-Verbrauch an materiellen Ressourcen sechs bis acht Tonnen nicht mehr überschreiten, um eine Zukunft mit Zukunft für Menschen auf dem Planeten Erde sicherzustellen.
Diese Menge schließt den Verbrauch fossiler Brennstoffe mit ein. Sie erlaubt aber gleichzeitig armen Ländern Raum für materiellen Zuwachs. Schauen wir das Auto von heute näher an. Ein typischer Vertreter der Mittelklasse beansprucht etwa 450 Gramm Material pro Kilometer Fahrleistung, gerechnet für 200 000 Kilometer. Werden 20 Prozent an Treibstoff eingespart, so sinkt der Naturverbrauch pro Kilometer um weniger als fünf Prozent. Ein Schelm, der das als "grün" bezeichnet!
Die Verdoppelung der Lebenszeit des Fahrzeugs würde sehr viel kräftiger zu Buche schlagen. Die seinerzeit von der Bundesregierung als nachhaltigkeitsfördernd hoch subventionierte "Abwrackprämie" war ein typischer (Umwelt-)Flop, weil man eine geringfügige Minderung der CO2-Gesamtemission mit dem Einsatz von Millionen Tonnen Natur bezahlte. Und beim Hybrid-Pkw verschlechtert sich die Kilometerleistung pro Materialeinsatz absolut betrachtet enorm, obschon der "CO2-Fußabdruck" deutlich sinkt.
Hier wird deutlich, dass dieser Fußabdruck kein verlässliches Maß für "ehrlich grüne" Verbesserung der Wirtschaft bedeutet. Aber ist die Emission von Kohlendioxid nicht ein wesentlicher Beitrag zum Klimawandel? Natürlich ist sie das. Aber wer wagt zu sagen, das sei die einzig wichtige Folge unseres Umganges mit Ressourcen? Zum Beispiel gehören dazu auch der Verlust lebenswichtiger Funktionen der Ökosphäre und der biologischen Vielfalt, die Degradierung unserer Böden, weltweite Wüstenbildungen, Wassermangel und Wasserverschmutzung.
Die Umweltpolitik hat unsere Probleme nicht gelöstDeutschland und praktisch alle anderen Staaten haben ein Dilemma: Die Umweltpolitik der letzten 40 Jahre hat unser Grundproblem mit der Ökosphäre nicht gelöst. Sie verlässt sich noch immer auf die nachsorgende Beseitigung einzelner Symptome, zum Beispiel den Klimawandel. Für eine verlässliche Zukunft müssen wir aber in vorsorgender Weise die Ursachen von Fehlentwicklungen erkennen und eliminieren. Und dies keineswegs nur in der Umweltpolitik.
Wir müssen lernen, aus radikal weniger Naturverbrauch mehr Energie und Wohlfahrt für eine wachsende Weltbevölkerung zu schaffen. Technik kann das. Aber nur dann, wenn die Rahmenbedingungen der Marktwirtschaft die hierfür notwendigen Anreize bieten, was heute nicht der Fall ist. Der Preis von Ressourcen muss künftig ein "full cost"-Preis werden.
Dies kann zum Beispiel durch die Besteuerung natürlicher Ressourcen erreicht werden – im Austausch mit der stufenweisen Abschaffung von steuerlichen und sozialen Abgaben auf Arbeit. Vielleicht wäre es aus heutiger Betrachtung der beste Weg, die "Umweltkosten" von Dingen in die Marktpreise zu integrieren, zum Beispiel nach Maßgabe ihrer Materialintensität. Möglich wäre es auch, die Marktpreise in Kilogramm Natur anzulegen.
Als ein außerordentlich fortschrittliches Beispiel industrieller Umweltschutzplanung und Berichterstattung sei das vom VW-Konzern vor kurzem aufgelegte "Think Blue Factory"-Programm erwähnt. Es betrifft weltweit alle VW-Herstellungsorte von PKW, Komponenten und Nutzfahrzeugen. Einsparungsziele von 25 Prozent für fünf Indikatoren (Wasserverbrauch, Energieverbrauch, Abfall zur Beseitigung, CO2-Emission, Lösemittelemissionen) wurden für die Zeit von 2010 bis 2018 festgelegt. Das Programm wird zentral begleitet und überwacht.
Dem Leser fällt natürlich auf, dass diese Angaben nicht erlauben, "Das Auto" mit vergleichbaren Produkten der Konkurrenz im Hinblick auf sein Umweltschädigungspotenzial zu vergleichen. Die Angabe von MIPS für alle Fahrzeugtypen wäre hingegen geeignet, Pkws aller Marken ökologisch zu vergleichen und zusätzlich mit Fahrrädern, der S-Bahn und dem Airbus A380.
Ich halte es für unabdingbar, dass Umweltberichte ("Sustainability Reports") die Veränderungen der Ressourcenproduktivität von Gütern, Prozessen, Konstruktionen, Anlagen, Infrastrukturen, Dienstleistungen und Handlungsweisen mitteilen. Wie sonst sollte es je gelingen, Fortschritte in Richtung Zukunftsfähigkeit und die ökologische Vergleichbarkeit von wirtschaftlichen Leistungen zu erkennen? Nachhaltigkeit allein macht die Welt nicht unbedingt zukunftsfähiger.