Wenn sich die Bürger Pekings nach einem Sonnenaufgang sehnten, fanden sie ihn Anfang dieses Jahres auf dem Tiananmen-Platz. Dort, im Zentrum der Hauptstadt, schien eine künstliche Sonne von einem gigantischen LED-Bildschirm auf die Menschen herab. Gleich dahinter lag der dichte Smog schwer in der Luft.
Zwar war die Installation nur Tourismus-Werbung einer chinesischen Provinz. Dennoch wurde der Bildschirm schnell zu einem Symbol in einer der am schlimmsten versmogten Städte der Welt, in der Bewohnern regelmäßig die Sicht auf die echte Sonne fehlt.
Die Kohle elektrifiziert ChinaSo ein Bildschirm verbraucht einiges an Energie – er ist deshalb auch ein Symbol für den rasant steigenden Energiehunger der Volksrepublik. Denn seit etwa vier Jahren ist China der größte Energieverbraucher der Welt. Und damit ein gewaltiger Problemfall, was den Klimawandel angeht.
Wegen seines Energiehungers ist China inzwischen vor den USA der größte Treiber des Klimawandels. Ohne das Land wird es keinen wirksamen Klimaschutz geben; nur wenn Chinas Energieversorgung, sein Verkehr und seine Fabriken sauberer werden, gibt es überhaupt Hoffnung, dass der Erde eine Erwärmung von mehr als vier Grad mit gravierenden Folgen erspart bleibt.
China hat allein 2012 9,2 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre gepustet, und damit einen Anteil von rund 27 Prozent am weltweiten CO2-Austoß gehabt.
Das Image des Klimaschmutzfinks Nummer Eins hat dem Land vor allem seine Abhängigkeit von der Steinkohle eingebracht. Sie ist die wichtigste Energiequelle und im Boden beinahe unendlich verfügbar. Mehr als zwei Drittel der Energie in China kommen aus Kohlekraftwerken. Zwischen 2002 und 2012 trugen neue Kohlekraftwerke in China rund 50 Prozent zur Erhöhung des weltweiten CO2-Ausstoßes bei.
Derzeit sind weitere 360 der schmutzigen Boliden geplant oder im Bau. Weil bei der Kohleverbrennung neben dem klimaschädlichen CO2 auch Feinstaub, Ruß, Schwermetalle und weitere giftige Stoffe anfallen, ist der Himmel in China immer öfter dunkelgrau und die Luft zu giftig zum Atmen.
Doch das wird nicht ewig so bleiben. Denn derzeit mehren sich die Zeichen, dass das Riesenreich umschwenkt. China nimmt langsam aber sicher Abschied von der Kohle.
Die Anzeichen für diese Entwicklung sind vielfältig, ebenso wie die Gründe.
Wachstum ist nicht mehr allesBisher galt das Interesse der chinesischen Regierung vor allem dem Wachstum. Doch das ist nicht länger die alleinige Priorität der roten Machthaber.
Das wurde Anfang März deutlich, als Regierungschef Li Keqiang der Luftverschmutzung öffentlich den Krieg erklärte - und damit auch der Kohleverstromung.
Die Aussage überrascht umso mehr, da der chinesiche Wachstumsmotor zu stottern beginnt. Legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2010 laut Weltbank noch um 10 Prozent zu, waren es 2012 "nur" noch 7,5 Prozent.
Dass die Zukunft der Kohle in China düster ist, bestätigen auch führende Energieexperten. „Wenn die Nutzung von Kohle in China nicht bereits ihren Höhepunkt erreicht hat, wird der Höhepunkt in Kürze erreicht sein“, sagt Shuwei Zhang, Analyst am Energy Research Institute in Peking. Die aktuelle Politik der chinesischen Regierung bedeute eine tiefgreifende Veränderung für den Energiesektor des Landes. Die Reformen sorgen laut Zhang schon jetzt dafür, dass die Nutzung von Kohle unattraktiv werde.
Zuwachs bei Kohleverstromung bricht einDa ist beispielsweise der aktuelle Fünf-Jahres-Plan, der bis zum Jahr 2015 einen um 16 Prozent reduzierten Energieverbrauch pro BIP-Einheit vorsieht. Gleichzeitig soll der CO2-Ausstoß pro BIP-Einheit um 17 Prozent sinken. Beides führt dazu, dass der Kohleboom drastisch ausgebremst wird.
Nahm der Verbrauch des Rohstoffes im Jahr 2011 noch um mehr als neun Prozent zu, waren es 2012 nur noch 2,8 Prozent.
Während in China also deutlich weniger Kohlekraftwerke als noch vor ein paar Jahren ans Netz gehen, wachsen andere Energieträger immer stärker.
2020 könnte China Peak-Kohle erreicht habenSo hat das Reich der Mitte 2013 erstmals mehr Solarstromanlagen installiert als der bisherige Spitzenreiter Deutschland. Mit insgesamt zwölf Gigawatt neuer Leistung hat sich die Menge im Vergleich zu 2012 verfünffacht.
Auch die Windkraft legt kräftig zu - unter anderem mit Megaprojekten wie der Windfarm in Gansu, die bereits im nächsten Jahr eine Kapazität von zehn Gigawatt bereitstellen soll, was zehn Kohlekraftwerken entspricht. Hinzu kommt ein Boom bei Atommeilern und vergleichsweise sauberen Erdgaskraftwerken.
Laut der US-Energiebehörde liefern heute schon 28 Prozent der Kraftwerke in China erneuerbare Energie, vor allem Wasserkraftwerke.
Dass die Kohle im Energiemix an Bedeutung verliert, zeigen auch die Zahlen des nationalen Statistikamts. So betrug der Anteil von schwarzem Strom in den Jahren 2006 bis 2009 durchschnittlich rund 71 Prozent, mittlerweile liegt er bei 67 Prozent. Insgesamt wird heute freilich dennoch mehr Kohle verfeuert als 2009: Denn mit dem Wirtschaftswachstum steigt der Energieverbrauch um jährlich rund sieben Prozent.
Trotz des Bedeutungsverlustes der Kohle wird es laut Jost Wübbeke noch etwas dauern, ehe in China die Zahl an Kohlekraftwerken nicht mehr steigt. „Der Höhepunkt des Kohleverbrauchs wird frühestens 2020 eintreten", sagt der Analyst des Mercator Institute for China Studies in Berlin.
In den nächsten sechs Jahren werde der Verbrauch jedoch noch um weitere 13 Prozent steigen. 2050, glaubt Wübbeke, könnte Kohle aber nur noch ein Drittel zum Energiemix beitragen.
Einen ähnlichen Ausblick gibt auch eine Analyse des britischen Energiekonzerns BP. Zwischen 2000 und 2010 wuchs die Kohlenachfrage demnach um 9,6 Prozent pro Jahr – nach 2020 dürfte sie nur noch um weniger als ein Prozent jährlich steigen, erwarten die Experten.
Reihenweise Minen machen dichtDas gebremste Wachstum beim Kohleverbrauch zeigt sich auch an der chinesischen Bergbauindustrie: Mittlerweile wird zu viel Kohle im Land gefördert, die Preise brechen ein. Kleinere und mittlere Konzerne können nicht länger wirtschaftlich arbeiten. Hinzu kommen billig importierte Rohstoffe aus Indien, Australien, den USA oder Russland.
Viele Schließungen und Fusionen sind die Folge. Chinesische Medien schreiben von einer Krise. Der schwarze Rohstoff wird in China zunehmend unrentabel. Das trifft vor allem kleinere Kohleminen. Sie machen derzeit reihenweise dicht. Anfang April wurde bekannt, dass allein in diesem Jahr über 1.700 Minen schließen werden.
Der Grund für den langsamen Abschied von der Kohle ist einfach: Die Bürger finden sich immer weniger mit der horrenden Luft- und Umweltverschmutzung ab.
Bereits Ende 2011 hatte die US-Botschaft in Peking für landesweite Empörung gesorgt, als sie die Feinstaubwerte der Stadt veröffentlichte. Trotz der Internetzensur verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer: Die Werte hatten die Skala gesprengt (oben die Tweets der US-Botschaft). Seitdem sieht sich die chinesische Regierung gezwungen, selbst ungeschönte Zahlen der Luftverschmutzung zu veröffentlichen.
Hinzu kommt: Allein 2011 sorgte die Luftverschmutzung aus Kohlekraftwerken in China für rund eine viertel Million vorzeitige Todesfälle.
„Das Thema Luftqualität ist zu einem ernsten Anliegen in der Bevölkerung geworden. Es besteht ein hoher Erwartungsdruck zu raschen und nachhaltigen Lösungen“, sagt Peter Hefele, Leiter des chinesischen Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Aufgrund der dramatischen Verschlechterung der Luftqualität sei künftig mit immer strengeren Normen für den Ausstoß von Schadstoffen sowie schärferen Kontrollen von Kohlekraftwerken zu rechnen, glaubt der Experte. Schon jetzt haben 12 von 34 Provinzen angekündigt, den Verbrauch von Kohle zu senken.
Ein weiterer Grund, der die chinesische Regierung zur Abkehr von der Kohlekraft bewegen könnte, ist der zunehmende Wassermangel im Land. Denn die Energiegewinnung aus Kohle verbraucht große Mengen der Ressource.
Kohlekraftwerke in der WüsteVerschärft wird das Problem dadurch, dass die chinesischen Kohlekraftwerke auf einige wenige Provinzen des Landes verteilt sind. So soll die Mehrheit der derzeit geplanten Meiler in nur sechs der 23 chinesischen Provinzen ans Netz gehen. Ausgerechnet diese Provinzen haben aber nur einen Anteil von fünf Prozent an den landesweiten Wasserressourcen.
Weiterhin geht Greenpeace East Asia davon aus, dass sich mit einem noch ambitionierteren Ziel bis 2020 fast die dreifache Menge C02 einsparen ließe, die im gleichen Zeitraum in der EU angestrebt wird.
Diese Entwicklung käme einer historischen Zäsur gleich. Denn westliche Länder, vor allem die USA, Kanada und Australien, könnten nicht mehr auf China zeigen und argumentieren, Klimaschutz bringe ohnehin nichts, weil die Großmacht alle Anstregung mit ihrem Energiehunger konterkarierten.
Kurz: Wird China zum Klimaschützer, hat kein Staat der Erde eine Ausrede mehr, nicht selbst etwas zu tun.