IKEA und die Kreislaufwirtschaft Kaufst du noch oder nutzt du schon?

IKEA hat Selbstbaumöbel groß gemacht - nun müssen sich die Schweden weiterentwickeln.

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Anna Handschuh ist Marken-Innovationsberaterin und Trend-Analystin. Nach ihrer Tätigkeit am Schweizer Trendforschungs Think Tank Gottlieb Duttweiler Institut gründete sie die Unternehmensberatung Elephant Strategy in Amsterdam. Das Innovationspotenzial der Circular Economy war bereits früh ihr Forschungsthema.

Wir leben "peak stuff". So hat es vor kurzem Steve Howard, Chief Sustainability Officer von Ikea, formuliert. Von allem haben wir wenigstens genug, wenn nicht gar zuviel. Und wer könnte das besser überblicken als das Einrichtungshaus, in dem wir die Schränke und Regale kaufen, in die wir unseren ganzen "Stuff" möglichst geschickt zusammenpferchen?

"Take, make, waste" – Rohstoffe nehmen, Produkte erschaffen, nutzen und wegschmeißen – das funktioniert nicht mehr. Eben auch, weil wir alles haben, was wir brauchen. Der Markt für Gebrauchtwaren wächst und wächst, das zeigen Internetportale wie eBay und ReBuy oder das Revival der Antik- und Flohmärkte. Selbst Einrichtungen, die von Sachspenden leben, sind in der Spendenflut wählerisch geworden.

Es gilt: Wer nicht neu erfindet, wird erfunden. Handel und Konsumgüterhersteller können nun den Weg zu einem ressourcenbewussteren Konsum ebnen. Ein Beispiel ist Ikea: Das "Circular Concept" des schwedischen Einrichtungsriesen stützt sich auf drei wesentliche Pfeiler: Erstens Verlängerung des Produktlebenszyklus, zweitens kreislauffähiges Design und drittens die Verwendung von Sekundärrohstoffen in der Produktion.

Das bedeutet, dass Ikea nicht nur Händler, sondern auch Plattform für lange nutzbare Produkt-Service Angebote wird. Denn die Zukunft gehört Produkten, die über die Jahre verändert, neu angepasst und individualisiert werden können. Das gilt auch für Produkte, die geleast, gemietet oder geteilt werden. Oder deren Kauf gleich die Option zum Wiederverkauf im markeneigenen Online-Shop mit beinhaltet. Repair Cafés sind die neuen Bio-Läden - heute noch belächelt, morgen Teil des Stores. Reuse, Resale, Redesign oder Recycling – was im Englischen das "Re" ist, ist im Deutschen das "wieder": Wieder und wieder sollen Produkte und Rohstoffe zurück in den Wirtschaftskreislauf.

Was Howard für den Einrichtungsriesen auf einer Veranstaltung des britischen Guardian formulierte ist nicht neu und doch könnte Ikea damit allen einen Schritt voraus sein: "Wir denken, dass es unsere Verpflichtung ist, dass unseren Kunden gute Möglichkeiten zur Verfügung stehen, ihre Produkte wieder zu verkaufen und sie dann auch recyceln lassen zu können, wenn sie wirklich am Ende ihres Lebenszyklus sind", so Howard zu Beginn des Jahres.

Warenhaus zum Selbstbauen und -reparierenDie Zukunft von Ikea sieht Howard im "circular store", der nach Prinzipien der Kreislaufwirtschaft arbeitet. Dort können Kunden Produkte reparieren oder recyceln. Denn "Peak stuff" gibt es wirklich: In deutschen Haushalten schlummern durchschnittlich 217 ungenutzte Gegenstände, ergibt eine von eBay bei TNS Infratest in Auftrag gegebene Studie.

Immer weniger Händlern gelingt es überhaupt noch, Kunden ohne attraktives Gastronomieangebot zu gewinnen - auch wenn das zunächst noch nichts mit dem Kerngeschäft zu tun hat. Was also, wenn Ikeas „circular store“ Do-It-Yourself-Kurse und mehr anbietet? Und das auch in zentralen, ganz ohne Auto erreichbaren Lagen, wie in Hamburg Altona, wo die Menschen bei Ikea bisher mehr essen als Möbel  zu kaufen.

Im Falle von Ikea hat sich ein lebendiges Innovationsökosystem des "Design Hacking" rund um das Produktangebot des Einrichtungsgiganten entwickelt. So bieten heute viele kleine Hersteller oder Designstudios Optionen der Individualisierung für Ikea Einrichtungen an.

Etwa das dänische Studio Reform, das Ikea-Küchen mit einem eigenen Design versieht. Das neue Design verändert Ikea Produkte oft so deutlich, dass aus dem ursprünglichen Massenprodukt ein besonderes Designerstück wird.Ikea selbst macht (noch) keine Erbstücke, seine Design-Hacks aber haben das Potenzial dazu. Die Pläne des Möbelhauses, die eigene Design Hacking-Szene als externe Berater in Teile des Entwicklungsprozesses zu integrieren, sind daher nur logisch.

Herausforderungen: DIY und 3D-DruckAuf dem Weg zu geschlosseneren Produktions- und Nutzungskreisläufen werden bislang recht statische Warenhauskonzepte zu Plattformen, über die nicht nur Dinge, sondern auch dazu passende Dienstleistungen ge- und verkauft werden können.

Ikea ist mit dem Do-It-Yourself-Möbelaufbau groß geworden. Umso mehr erstaunt der Nachholbedarf des Unternehmens bei DIY Angeboten, die eben über den Aufbau der Möbel hinausgehen. Da steht man noch ganz am Anfang. Das soll sich laut Howard ändern, auch wenn das noch dauernd wird.

Makerbot bietet bereits seit 2013 3D-Drucker für den Hausgebrauch an. In zehn Jahren will Ikea es spätestens möglich gemacht haben, mit 3D-Druck kleinere Ersatzteile zu drucken. Mindestens bis dahin bleibt es dem Ökosystem aus kleinen und mittelständischen Betrieben rund um Ikea überlassen, dies als Entwicklungsfeld zu nutzen - und dem großen Konkurrenten etwas mehr Wasser abzugraben.

Ein Möbelstück mit Ersatzteilen zu reparieren, verlängert seinen Nutzungszyklus unter Umständen erheblich. Nicht grundlos ist das ein Teil der Kreislaufwirtschaftsstrategie der Schweden. Bei der Verfügbarkeit von Ersatzteilen jedoch hat Ikea noch erhebliches Entwicklungspotenzial. So kann man heute zwar einzelne Teile wie beispielsweise Schrauben oder Schubladenschienen nachkaufen, aber geht am Holz eines Möbel etwas kaputt, empfiehlt die Kundenberatung den Gang zum Schreiner oder die eher aussichtslose Suche in der "Resterampe" des jeweiligen Möbelhauses. Dort findet sich mit sehr viel Glück das, was man braucht. Ansonsten, so der Ikea Kundenberater, bleibt Stand heute nur, das Produkt neu zu kaufen.

Ikea Belgien macht hier einen Anfang: Inhaber der Ikea Kundenkarte können in den dortigen Möbelhäusern DIY-Workshops rund um Ikea Produkte besuchen.

Resale statt ResterampeVor dem Hintergrund des "Circular Concept" wirkt die "Ikea Fundgrube" eher wie eine ungeliebte Resterampe, ein Überbleibsel des linearen Denkens. Hier finden sich ausrangierte Sortimentsstücke und Schnäppchen, denen man mit viel Phantasie und handwerklichem Geschick ein zweites Leben schenken kann. Der "circular store" jedoch braucht ein gut sortiertes Ersatzteillager - schließlich beginnt dieser bei längeren Produktnutzungszyklen.

Ikea Norwegen griff die Thematik der Nutzungsdauer in einer Kampagne 2013 auf. Die Norweger wurden einfach kurzerhand zum Vermittler ihrer alten Möbel, die - entsprechend in Szene gesetzt - wieder verkauft wurden. Bisher bieten die meisten Händler derartige Aktionen nur an, wenn die eigenen Kunden Neues kaufen möchten.

Howard stellt fest, dass Kunden günstigen Möbeln leichter unterstellen, dass diese auch schneller zu entsorgen wären. Hier den Gegenbeweis anzutreten braucht nicht nur eine Qualität, die über Jahre erhalten bleibt, sondern auch den Nachweis in der Nutzung.

Welche Wirkung könnte es da für das Einrichtungshaus (und andere Hersteller oder Händler) haben, wenn sie den Wiederverkauf ihrer Möbel unterm eigenen Markendach über eine eigene Plattform gezielt für die Botschaft nutzen könnten: Schaut her, unsere Möbel haben ein Leben nach dem Umzug.

Start-ups wie Moove Loot aus den USA verzeichnen bereits eine rege Nachfrage von Möbelhändlern, die über den Dienstleister ihre Retourenware wieder vertreiben möchten. Aber auch zwischen einzelnen Kunden vermittelt Moove Loot: Der Dienstleister kauft die Möbel nach Auswahl und Prüfung Privatleuten ab und verkauft sie über die eigene Plattform wieder. Dabei sind Abhol-, Liefer- und Aufbauservice inbegriffen. Das gibt Käufern und Verkäufern Sicherheit, dass bei der Transaktion alles korrekt abläuft, was bei Online-Einkäufen von gebrauchten Möbeln nicht immer der Fall sein muss. Außerdem spart es beiden Seiten Aufwand.

Rücknahmeprogramme und RecyclingIkea arbeitet nicht nur an einem Produktdesign, das Produkte möglichst leicht und mehrfach wieder recycelt lässt, sondern auch an einem Rücknahmeprogramm für die eigenen Matratzen. 2015 implementierte das Unternehmen in 20 Ländern ein Matratzenrücknahmesystem. Was mit den Matratzen geschieht, hängt jedoch von den jeweiligen lokalen technischen Voraussetzungen ab. Und nicht zuletzt bleiben erfolgreiche Rücknahmesysteme auch eine Herausforderung auf der Seite der Infrastruktur, die die Nutzer einbinden soll. Ein Beispiel hierfür ist der Erfolg von Abholservices.

Spätestens das Konzept der Kreislaufwirtschaft kennt im Grunde keinen Konsumenten mehr – es soll ja nichts mehr verbraucht werden. Der "circular store" schafft einen Ge-Braucher anstelle eines Ver-Brauchers und der Kunde wird zum Partner für den Handel. Schließlich gilt, je besser der Zustand, indem ein Produkt bleibt, desto besser lässt dieses sich recyceln, wiederverkaufen und damit länger in der Nutzung halten.

Kreislaufwirtschaftsbasierte Geschäftsmodelle verändern auch Marketing und Kundenkommunikation. In der linearen Welt von "take, make, waste" musste man mit stets mehr Marketingbudget die immer gleichen Produkte in die Märkte drücken. Das Ergebnis war eine lineare Kundenkontaktkette, die hauptsächlich in Pre- und After-Sale funktionierte.

"Peak stuff" bedeutet das Ende des Hyperkonsum. Die Umsetzung von Kreislaufwirtschaftskonzepten in Handel und Konsum braucht völlig neue Geschäftsmodelle. Aber schon die ersten Versuche zeigen: Auch weniger Konsum kann neue Wirtschaftsbereiche der Nutzung schaffen.

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