Klein, grün, nützlich In Zukunft wohnen wir mit Algen zusammen

Klimaanlagen oder Lampen aus Algen gibt es bereits, nun erobern Algen noch ganz andere Teile der Wirtschaft.

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Ein Blick ins Baumarktregal zeigt, wie negativ das Stichwort „Algen“ in Deutschland besetzt ist. Weder an der Hausfassade sind die kleinen grünen Nachbarn erwünscht, noch im Pool. Selbst der Hund soll bitte lieber im klaren Fluss baden als im algigen Tümpel.

Manch asiatischer Koch würde angesichts dieser Ignoranz die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. In Japan gelten Algen als gesunde Delikatesse. Auch hierzulande schwören Gesundheitsfans auf die Wirkungen von Algen: Spirulina, Chlorella, Blaualgen – in Reformhäusern und Bioläden kann man sie in Pulver- oder Tablettenform kaufen.

Darüber hinaus nehmen Algen in der Green Economy einen immer größeren Raum ein. Nicht nur als Nahrungsergänzung, sondern auch als Baustoff oder Einrichtungs-Element. Denn Algen sind eines der ursprünglichsten Lebewesen der Welt.

„Blaualgen sind Einzeller wie Bakterien“, erklärt Professorin Carola Griehl vom „Innovationslabor Algenbiotechnologie“ der Hochschule Anhalt in Köthen. Aus den einzelligen Algen haben sich aber nach und nach komplexere Zellformationen entwickelt, die Grünalgen.

Diese waren schließlich der Vorläufer der höheren Pflanzen. Vor ungefähr 3,5 Milliarden Jahren haben Blaualgen angefangen, mit Hilfe der Photosynthese Sauerstoff zu erzeugen „und damit höheres Leben auf der Erde überhaupt erst möglich gemacht“, so Griehl. „Algen haben uns das Dasein geschenkt. Ohne sie würden wir jetzt hier nicht sitzen. Aber Algen können noch viel mehr.“

Algen als BiomasseSolange sich die Algen nicht an, sondern vor der Fassade befinden, haben auch die Bewohner des „BIQ-Hauses“ im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg nichts gegen die kleinen grünen Lebewesen. 2013 im Rahmen der Internationalen Bauausstellung eröffnet, steht das BIQ-Haus in Nachbarschaft zu anderen visionären Bauten.

In sogenannten Plattenreaktoren vor der Fassade wuchsen bis zum Frühjahr dieses Jahres reichlich Algen. So reichlich, dass sie bis zu zweimal täglich geerntet und zum Beheizen des Hauses verwendet werden konnten.

Aufgrund von Ventilproblemen ruht die Anlage bis September. „Bis dahin hat sie gut funktioniert“, berichtet ein Bewohner des Hauses. „Wir haben hier drin nichts davon mitbekommen. Die Algenernte lief vollautomatisch.“ Im Winter seien sogar extra Algen aus den Polargebieten genutzt worden – die hiesigen sind zu temperaturanfällig.

Probleme mit den Ventilen kennt Carola Griehl an ihrer Forschungsanlage in Köthen nicht. „Wir haben sehr lange geforscht, um die optimale Reaktorform zu finden, die wartungsarm sowohl ganzjähriges Algenwachstum ermöglicht als auch der Sedimentierung vorbeugt“, also der Ablagerung von Teilchen.

Griehl forscht an verschiedenen Projekten rund um die kleinen grünen Photosynthesearbeiter. Mit Schülern backt sie Algenkekse und stellt Algeneis oder Algenhundefutter her. Sie braut Algenbier und weiß, wie man Gesichtscreme mit Algen macht. Vor allem aber forscht sie an ihren „Tannenbäumen“: neuartigen Photobioreaktoren, in denen Algen gezüchtet werden.

Bislang züchtete man Algen in Glasröhren-oder Plattenkollektoren. Im Gegensatz dazu sollen diese Tannenbäume besonders viel Biomasse erzeugen. Weiterer Vorteil: Das ist System gut steuerbar, und es gibt kaum Probleme mit Sedimentierung oder Falschbesiedelung. Durch eine ausgeklügelte Schlauchtechnik werden Algen in dem Reaktor konstant auf gleichmäßiger Temperatur gehalten und mit Licht versorgt. Das System funktioniert: „Seit sechzehn Monaten laufen diese Reaktoren jetzt durchgehend. Das ist Rekord.“ 2016 könnten die Reaktoren in Serie gehen.

Abnehmer sind vor allem die Pharma- und Lebensmittelindustrie. „Derzeit sind noch etwa 70 Prozent der Zuchtalgen für diese Märkte“, so Griehl. Der Rest diene als Futtermittel für Fische, Haustiere, Hühner, Kosmetikrohstoff oder zur Gewinnung von Lebensmittelzusatzstoffen. Doch auch eine ganz andere Branche hat einen Blick auf die nützlichen Algen geworfen.

Algen inspirieren Forscher weltweitNeben der rein technischen Nutzung haben Algen auch einen ästhetischen wert, glauben die Designer Jacob Douenias und Ethan Frier aus Pittsburgh in Pennsylvania. Sie untersuchen mit ihrem Projekt Living Things „die Symbiose zwischen Menschen und photosynthetischen Algen durch die Installation von Möbeln, die lebende Dinge kultivieren“.

Konkret heißt das: Ihre Möbel sind beispielsweise blubbernde Lampen, in denen Spirulina wachsen soll. „Nahrung und Biotreibstoff in einem“. Die Möglichkeiten scheinen unheimlich zu sein: Nahrungsproduktion, CO2-Bindung und Biomasse nur durch Lampen und andere Möbel?

Ganz so einfach ist es nicht, bremst Carola Griehl die Euphorie. Ob in der Wohnzimmerlampe oder im industriell gefertigten Reaktor: „Man muss schon sehr genau wissen, was man tut. Algen sind Lebewesen, man muss sie pflegen.“ Unter Laborbedingungen in geschlossenen Systemen ließe sich die Kontamination mit anderen Arten recht gering halten. Im offenen System dagegen sei das schwierig.

Doch um Algen als Mitbewohner zu haben, ist weder Lampe noch Zuchttümpel nötig: Algen sind überall. In einem Milliliter Regenwasser wurden 900 lebende Algenzellen nachgewiesen, und ein Kubikmeter Luft enthält ungefähr 3000 Zellen.

Algen binden CO2Der Biologe Pierre Calleja aus Libourne in Frankreich versucht dennoch, die Algenlampe zur Marktreife zu bringen. Er hat mit seinem Team eine Straßenlampe entwickelt, die mit Hilfe von Algen CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen soll. „Mikroalgen sind definitiv der beste Freund des Menschen – und niemand hat bisher drüber nachgedacht, sie zu nutzen“, sagt er.

Eine von Callejas Visionen ist, die Stadtbeleuchtung in Innenstädten mit Algen „anzureichern“, so dass neben der reinen Beleuchtungsfunktion CO2 gebunden und Biomasse erzeugt werden kann. Eine erste Lampe wurde bereits in einem Parkhaus in Bordeaux installiert. „Das ist die schlimmstmögliche Situation“, sagt er, „Autos, Abgase, Umweltverschmutzung. Aber es ist unsere Erde, und wir wollen zeigen, dass Mikroalgen ihren Anteil daran haben können, sie zu retten.“

Algen haben PotenzialDazu gehört auch, dass Algen fossile Brennstoffe ersetzen könnten. Griehl glaubt: „Algen könnten zum wichtigen Spritlieferanten aufsteigen und bei der Ölversorgung von morgen eine wichtige Rolle spielen.“ Algen verbrauchen weniger Fläche als klassische Treibstoff-Pflanzen und binden wesentlich mehr CO2.

Noch ist das Utopie, denn die Spritherstellung aus Algen ist noch lange nicht rentabel. Doch immer wieder gibt es Forschungsprojekte dazu. EADS stellte bereits 2010 das erste Flugzeug vor, das mit Biokerosin aus Algen betankt war.

Trotz des großen Potenzials: Bislang sind es kleinere Bereiche, in denen Algen den Markt erobern. Jonas Edvards und sein Kollege Nikolaj Steenfatt Thomsen aus Kopenhagen stellen beispielsweise Stühle und Lampenschirme aus Seetang her. Dazu trocknen sie den Tang und mahlen ihn dann fein. Mit Recyclingzellulose zusammen entsteht eine frei formbare Masse. Die Möbelmacher loben die Klebkraft und Stabilität des natürlichen Materials. „Vor allem ist es komplett recycelbar.“ Und im Idealfall können gewiefte Köche aus den Möbeln auch noch eine extravagante Vorspeise zubereiten.

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Dieser Text ist Teil der Reihe “Die Zukunft vor der Haustür: Grüne Innovationen aus den Regionen”, die im Rahmen einer Kooperation zwischen WiWo Green und dem Studium Nachhaltigkeit und Journalismus der Leuphana Universität Lüneburg entstanden ist. Eine Übersicht über alle Beiträge finden Sie hier.

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