Klimafreundlicher Atomstrom Neuer Anbieter erzählt altes CO2-Märchen

Ein Energieanbieter will ausgerechnet Klimaschützern Atomstrom verkaufen. Denn der sei umweltfreundlicher als Solarstrom.

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"Pünktlich zur UN-Klimakonferenz in Lima bringt Maxatomstrom den ersten Atomstromtarif Deutschlands auf den Markt." So startet die Pressemeldung von Maxatomstrom, einer Marke der Maxenergy GmbH, die sich mit ihrem "reinen Atomstrom" kurioserweise an Klimaschützer wendet. Denn damit, so das Argument, könnten sie ihren CO2-Fußabdruck massiv reduzieren - auf die Folgen von Rückbau und Endlagerung für die Umwelt geht die Firma dabei allerdings nicht ein.

Es ist auch eher ein ungünstiger Zufall, dass es einen Tag vorher zu einem Brand im belgischen AKW Thinge kam – doch das tangiert das Verkaufsargument nicht: "Der Tarif besteht ausschließlich aus Atomstrom und ist klimaschonender als Solarstrom."

Mehr oder weniger namenhafte Klimaschützer dienen dem Unternehmen als Testimonials, preisen Kernkraft als klimaschonend und verbreiten damit eine Aussage, die höchst zweifelhaft ist. Denn so leicht lässt sich gar nicht kontrollieren, wie viel CO2-Ausstoß eine Kilowattstunde Atomstrom verursacht.

Die Kraftwerke selbst arbeiten nahezu emissionsfrei. Doch über den Bau lässt sich das nicht sagen. Das gilt freilich für alle Arten von Kraftwerken, vor allem die Konstruktion von Solarzellen ist energieintensiv. Am problematischsten für das Klima ist allerdings der für die Kernenergie notwendige Uranabbau. Der Schweizer Energieexperte Ulf Bossel schrieb bereits 2007, dass die geförderten Erze immer weniger Uran enthalten – im Schnitt 0,15 Prozent. Weil an den Förderorten vor allem mit Kohlestrom gearbeitet werde, sei "zwischen Erzbergbau und Brennelement [der] CO2-Ausstoss nicht mehr vernachlässigbar."

Studien zu Atomkraft und CO2-Emissionenkommen zu unterschiedlichen ErgebnissenDennoch: "Eine Kilowattstunde Atomstrom belastet die Umwelt mit gerade mal 31 Gramm CO2", wirbt Maxatomstrom, leider ohne [genauere] Angabe der Quelle.* Die wäre interessant, denn Eine Reihe von Studien kommt zu anderen Ergebnissen. Eine umfangreiche Untersuchung der University of Sidney errechnete 2006 pro Kilowattstunde Atomstrom eine Gesamtbelastung von 65 Gramm CO2 – vor allem durch die Urangewinnung. Damit wäre Kernenergie auch für das Klima eine größere Belastung als jeder erneuerbare Energieträger. Die Rechnung bezieht sich wohlgemerkt auf besagte 0,15 Prozent Uran, die Kraftwerke in vielen Regionen schon damals, vor fast zehn Jahren, kaum erreichten.

Das deutsche Öko-Institut errechnete wenig später, dass deutsche Atomanlagen, mit südafrikanischem Uran betrieben, 126 Gramm CO2 pro Kilowattstunde ausstoßen. Allgemein könnten Atomkraftwerke mit günstigen Importmischungen, also aus Ländern mit wenig Kohlekraft und ergiebigen Uranminen, allerdings auf unter 40 Gramm kommen. Zum Vergleich: Kohlestrom ist laut dem Öko-Institut für Emissionen von mindestens 620 Gramm CO2 verantwortlich - aber nur wenn es sich dabei um Steinkohlekraftwerke handelt, die auch Fernwärme produzieren. Alte Braunkohlemeiler pusten bis zu 1150 Gramm CO2 in die Atmosphäre.

Teils wesentlich geringere Atomkraft-Emissionen nennt ein Info-Brief der wissenschaftlichen Dienste des Bundestags von 2007 und wird deshalb gerne von Atomkraft-Befürwortern angeführt. Allerdings steht in dem Papier auch ausdrücklich, dass viele Szenarien betrachtet werden: Unter anderem die Möglichkeit, die Urangewinnung komplett mit Atomstrom zu bestreiten, was die CO2-Emissionen deutlich senkt, aber dafür die Menge des radioaktiven Abfalls erhöht. Ein seltener Fall. Ein weiteres Problem der meisten Studien sei, dass die Atommüll-Lagerung kaum beachtet würde - wie auch bei Maxatomstrom.

Die Studienlage zeichnet kein eindeutiges Bild: Der Info-Brief nennt verschiedene Kennziffern, die sich teils deutlich unterscheiden. Die Vereinigung der Nuklearbranche, die World Nuclear Association, kommt auf 20 Gramm CO2 pro Kilowattstunde Atomstrom, das Öko-Institut auf 126 Gramm. Andere Studien liegen zwischen diesen Polen. Die Beispiele zeigen, wie voraussetzungsreich es ist, die CO2-Belastung durch Atomstrom zu errechnen.

Uranabbau wird teurerEinen spannenden Vergleich zwischen zahlreichen Studien zog Benjamin K. Novacool von der National University of Singapore. Einige der von ihm untersuchten Studien zu Kernenergie-Emissionen kommen sogar auf über 100 und teils bis zu 200 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Der Durchschnitt liegt bei etwa 66 Gramm. Knapp 40 Prozent der Studien waren damals allerdings schon älter als zehn Jahre und gingen noch von weit niedrigeren Kosten für die Urangewinnung aus.

Doch solche Vergleichsstudien sind schwer zu interpretieren, schließlich können, je nach Kraftwerk, sowohl sehr hohe als auch niedrige Werte zutreffen. So ist die Urangewinnung in Kanada recht unkompliziert und die Kernkraft eher emissionsarm. Es ist durchaus möglich, dass eine europäische Kilowattstunde das Klima acht mal mehr belastet. Auch könnte Kernenergie in Deutschland, etwa aufgrund des hohen Anteils an Erneuerbaren und dank geschickter Importe, klimaschonender als im weltweiten Vergleich sein.

Das zumindest ergibt ein Vergleich der Ruhr-Universität Bochum (den wir hier vorgestellt haben). 25 bis 40 Gramm CO2-Emission wären möglich. Allerdings zeigen die Wissenschaftler auch manche Lücke in den Ergebnissen ihrer Kollegen. Der Energieaufwand des (Rück-) Baus und der Endlagerung radioaktiver Abfälle dürfte manche Studie erneut deutlich unterschätzen. Viele Daten seien zudem veraltet.

Eine neuere Studie aus Österreich erwartet schließlich einen solchen Preisanstieg beim Uranabbau, dass ein jetzt gebautes Kraftwerk vorzeitig stillgelegt werden würde. Schon vorher wäre die Energie nicht mehr CO2-arm: "Bei Erzgehalten um 0,01 Prozent steigen die CO2-Emissionen auf bis auf 210 Gramm CO2 pro Kilowattstunde an", heißt es darin. Da wären schon Erdgas-Heizkraftwerke klimaschonender.

Gewagte bis unseriöse VergleicheOb deutsche Kernkraftwerke nun 25, 60 oder sogar 126 Gramm CO2 emittieren – eindeutig lässt es sich nicht sagen. Die Werbeaussage von Maxatomstrom, dass "bei der Erzeugung von Solarstrom die dreifache, bei Steinkohle sogar die 30-fache Menge" CO2 im Vergleich zur Kernenergie emittiert werde, lässt sich daher kaum belegen. Bei Steinkohle dürfte es eher das acht- bis 16-fache sein, vorsichtig geschätzt.

Ein Vergleich zur Solarenergie ist fast schon unseriös, denn auch hier schwanken die Emissionsprognosen zwischen sechs und 100 Gramm CO2 – je nach Studie. Eine mit Kohlestrom gebaute Photovoltaikplatte auf einem schattigen norddeutschen Dach hat natürlich im Verhältnis zu ihrer Stromleistung eine schlechtere Bilanz als ein Solarkraftwerk in Südspanien.

Welche Probleme die nur schwer einzupreisende Lagerung, Überprüfung und im Zweifel Umverpackung der radioaktiven Abfälle verursachen, deutet sich in den Lagern des Atomkraftwerks Brunsbüttel an. Rostige und beschädigte Fässer müssen dort derzeit aus inadäquaten Lagerverhältnissen geborgen werden. Und da die Halbwertzeit vieler Abfälle bei weit über 10.000 Jahren liegt, sind die Emissionen, die sie verursachen, auch zukünftig schwer vorherzusagen.

Kernenergie auf diesem Informationsstand als klimafreundlich zu bezeichnen, sie über andere Formen der Energiegewinnung zu stellen, die weder einen kostenintensiven Uranabbau, noch ein vergleichbares Unfallrisiko und schließlich auch keine jahrtausendelange Endlagerung erfordern, ist mindestens gewagt. Vielleicht aber auch nur PR.

* Diese Aussage bezieht sich auf die Pressemeldung, in der ohne Jahr oder Publikation auf das Öko-Institut verwiesen wurde. Auf der Homepage verweist Maxatomstrom mittlerweile auf das konkrete Papier von 2007. Allerdings gelten die genannten Zahlen laut Institut lediglich für die "Vorketten" und den "Aufwand für Bau und Betrieb von AKW", Rückbau und Lagerung sind also nicht berücksichtigt. Drei Jahre später äußerte das Institut übrigens per Pressemeldung, warum "Atomkraft keine Alternative" für den Klimaschutz sei.

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