Kurz vor Ende des Klimagipfels sind die Aussichten auf ein globales Klimaabkommen trübe. Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, mahnt die Industriestaaten dennoch zum Handeln: Statt auf internationale Beschlüsse zu warten, solle eine "Koalition der Willigen" schnell gegen die Erderwärmung vorgehen, fordert Edenhofer - und verrät, mit welchen Mitteln das Zwei-Grad-Ziel noch erreichbar ist.
Herr Edenhofer, während in Doha Politiker mühsam über ein Klimaabkommen verhandeln, kürt die UN-Wetterorganisation WMO das Jahr 2012 schon als eines der neun wärmsten seit Beginn der modernen Wettermessungen. Ist das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, überhaupt noch zu erreichen?
Edenhofer: Wir haben noch Zeit, das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen – aber wir haben keine Zeit mehr zu vertrödeln. Es dürfen nur noch 230 Gigatonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre gelangen. Die Weltgemeinschaft müsste sich darum sehr schnell auf eine Obergrenze für CO2-Emissionen einigen. Das Maximum der weltweiten CO2-Emissionen müsste 2020, spätestens 2025 erreicht sein.
Das dürfte schwierig werden. Die internationale Energieagentur IEA rechnet in ihrem jüngsten Ausblick vor, dass der weltweite Energieverbrauch 2035 um mehr als ein Drittel steigt und dass Kohle, Öl und Gas die wichtigsten Energieträger bleiben.
Edenhofer: Viele hoffen, dass fossile Energieträger knapp und teuer werden und uns deren Knappheit durch die Marktkräfte allein zum Klimaschutz zwingt. Doch diese Vorstellung hat sich in den letzten Jahren als Illusion erwiesen. Die Welt befindet sich in der größten Kohlerenaissance der Industriegeschichte. Weltweit werden zudem Schiefergas und Ölsande erschlossen. Die Knappheit des 21. Jahrhunderts liegt nicht in den fossilen Energieträgern, sondern im begrenzten Deponieraum für Treibhausgase – in der Atmosphäre, den Ozeanen und den Wäldern.
Glauben Sie denn noch daran, dass sich die Staatengemeinschaft auf ein wirksames internationales Klimaabkommen einigen wird?
Edenhofer: Es ist in den nächsten zehn Jahren nicht sonderlich wahrscheinlich. Die UN-Klimarahmenkonvention eignet sich zwar sehr gut dazu, Legitimation für Klimaschutzbeschlüsse herzustellen. Allerdings ist sie wenig geeignet, pragmatische Zwischenschritte und Kompromisse zu finden. Was wir darum jetzt brauchen, ist eine Koalition der Willigen.
Wer käme dafür in Frage?
Edenhofer: Die Staaten der G20, die für 80 Prozent der Emissionen verantwortlich sind. Sie sollten ihre Subventionen für fossile Energieträger einstellen und den vor zwei Jahren beschlossenen Green Climate Fund endlich umsetzen, der den Entwicklungsländern Geld für den Klimaschutz zur Verfügung stellen soll. Zudem sollten die G20-Staaten den Emissionshandel ausweiten.
Gerade der Emissionshandel funktioniert derzeit aber nur ansatzweise. CO2-Zertifikate gibt es in der EU zu Ramschpreisen, Branchen wie der Flugverkehr müssen gar nichts zahlen.
Edenhofer: Europas Industrie hat aber immerhin die erstrebte Obergrenze für CO2-Emissionen eingehalten – und wenn das zu geringeren Kosten geschehen ist, ist das doch umso besser.
Man kann das auch anders sehen: Die EU hat der Industrie bislang ein geringeres Einsparziel gesetzt, als diese verkraftet hätte.
Edenhofer: Dass die Preise jetzt gering sind, hat drei Ursachen: Erstens die schwache Konjunktur in Europa durch die Finanz- und Schuldenkrise. Mittelfristig wird der Preis für Emissonsrechte wieder steigen. Der Emissionshandel wird aber nur dann seine Kraft entfalten können, wenn alle Sektoren der Industrie einbezogen werden. Denn erst dann werden Suchprozesse in der Wirtschaft nach den günstigsten Vermeidungstechniken ausgelöst.
Und die anderen Ursachen für die geringen CO2-Preise?
Edenhofer: Zweitens sind zu viele so genannte CDM-Zertifikate in den Markt gekommen, die Unternehmen erhalten, wenn sie Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern finanzieren. Dieser Mechanismus war nur sehr begrenzt erfolgreich beim Klimaschutz, man sollte seine Wirksamkeit überprüfen. Drittens hat der Ausbau der erneuerbaren Energien dafür gesorgt, dass der Energiesektor weniger CO2-Zertifikate braucht – wodurch diese billiger werden.
Die erneuerbaren Energien behindern also den Klimaschutz?
Edenhofer: Natürlich werden wir den Klimawandel ohne neue Technologien wie die erneuerbaren Energien nicht stoppen können. Aber es gibt ein Problem: Energie aus Wind, Sonne oder Biomasse ist immer noch teurer als etwa die aus Kohle – und wird es noch für lange Zeit sein. Wenn wir nun die erneuerbaren Energien subventionieren, führt das nur dazu, dass der Preisanstieg der fossilen Energien geringer ausfällt. In Ländern wie China und Indien werden dadurch fossile Energieträger stärker genutzt, der CO2-Ausstoß steigt.
Wie ließe sich das verhindern?
Edenhofer: Indem CO2 in so vielen Ländern wie möglich einen Preis bekommt, der die Knappheit der Atmosphäre zum Ausdruck bringt. Wenn wir diesen ordnungspolitischen Rahmen nicht schaffen, sind erneuerbare Energieträger eine teure Angelegenheit ohne klimapolitische Wirkung.
Der Emissionshandel funktioniert also nur, wenn er weltweit etabliert wird?
Edenhofer: Ein weltweiter Handel mit Verschmutzungsrechten wäre das Ideal. Die internationale Staatengemeinschaft müsste sich über das globale Kohlenstoffbudget für die nächsten 50 Jahre einigen. Sie würde dann eine globale Emissionsobergrenze beschließen, nach bestimmten Regeln Emissionsrechte verteilen und sie handelbar machen.
Aber das werden wir in den nächsten Jahren nicht sehen. Was also tun?
Edenhofer: Wenn ein weltweiter Emissionshandel nicht von oben nach unten aufgebaut werden kann, dann eben von unten nach oben. In Europa gibt es ihn schon, ebenso in Neuseeland und seit dem Sommer auch in Australien. Und Australien hat nun an die Tür geklopft und schlägt vor, seinen Handel mit dem europäischen zu verknüpfen. Auf diesem Weg kann nach und nach ein internationales Emissionshandelssystem zusammenwachsen.
Sollte künftig sogar jeder Mensch sein eigenes CO2-Budget bekommen, wie es manche Klimaschützer vorschlagen?
Edenhofer: Die Idee klingt zunächst interessant: Alle Waren und Dienstleistungen werden nach ihrem Kohlenstoffgehalt bemessen. Dann gehen Sie als Kunde in den Supermarkt, kaufen Brot, Müsli, Fleisch und an der Kasse wird ihr Kohlenstoffbudget zusammengezählt und mit ihrem CO2-Konto abgeglichen.
Das Problem: Der Aufwand wäre gigantisch.
Edenhofer: Ja. Viel einfacher und genauso wirksam ist es, CO2 dort zu besteuern, wo es in den Wirtschaftskreislauf eintritt: So müssten die Ölimporteure nicht nur den Preis für Öl bezahlen, sondern bei der EU auch noch ein Zertifikat kaufen. Diesen Mechanismus kann man auch anwenden, wo Kohle aus dem Boden geschaufelt oder Gas aus dem Erdreich gefördert wird. Aber eines ist klar: Wir müssen im Verlauf dieses Jahrhunderts weiter mit den fossilen Energieträgern leben. Es steckt noch sehr viel Kohle im Boden und die Menschheit wird sie nutzen. Wenn der Ölpreis weiter steigt, wird in Ländern wie Südafrika und China sogar die Kohleverflüssigung rentabel werden. Das treibt die Emissionen weiter in die Höhe. Darum müssen wir dringend Techniken entwickeln, mit denen wir CO2 der Atmosphäre entziehen können.
Sie meinen die Abscheidung und Speicherung von CO2, kurz CCS – eine Technik, die auf breiten Widerstand in der Bevölkerung stößt.
Edenhofer: In Europa glauben wir, dass wir die CO2-Abscheidung wegen Akzeptanzproblemen aufgeben sollten – und trotzdem Klimaschutz betreiben können. Das erscheint mir fahrlässig. Spätestens ab 2060 müssen wir es schaffen, mehr CO2 aus der Atmosphäre zu holen, als wir emittieren, um die Erwärmung der Erde zu stoppen. Wir sollten diese Technik darum auf jeden Fall erforschen – ob sie am Ende tatsächlich funktioniert, muss sich noch herausstellen. Ich weiß, dass in Europa viele diese Meinung nicht teilen, aber ohne CCS werden wir den Klimaschutz nicht meistern.
In Kalifornien hat kürzlich ein Millionär die Meere mit Eisen gedüngt, um das Wachstum von Plankton anzuregen, das sich von CO2 ernährt. Andere Forscher wollen Aerosole in der Atmosphäre versprühen, um Sonnenlicht abzufangen. Sollten wir solche Ideen des Geo-Engineering ernst nehmen?
Edenhofer: Es sind interessante Ansätze. Wenn man sehr ambitionierte Klimaziele setzen würde – etwa, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken – dann ist es denkbar, dass dies nicht ohne Geo-Engineering funktioniert. Aber diese Techniken bergen enorme Risiken, die bislang kaum verstanden sind.
Laut der internationalen Energieagentur wird die globale Durchschnittstemperatur um 3,6 Grad steigen, wenn die Menschheit jetzt nicht entschlossen handelt. Müssten wir uns nicht längst damit beschäftigen, wie wir unter diesen Umständen künftig leben können?
Edenhofer: Diese Debatte wird geführt und manche Leute vertreten die Meinung, wir könnten uns ohne Schwierigkeiten an eine um vier Grad wärmere Welt anpassen. Aber das halte ich für fatal. In einer Vier-Grad-Welt gehen wir gewaltige Risiken ein, die Folgen kennt noch niemand genau.
Was stünde uns denn da bevor?
Edenhofer: Anzunehmen ist, dass in einer Vier-Grad-Welt Überschwemmungen zunähmen, auch Dürren träten häufiger auf als heute. Die Agrarproduktion in Entwicklungsländern bräche ein, die Nahrungsmittelpreise würden anziehen. Der Meeresspiegel steigt, die Ozeane versauern, Regenwälder können weniger CO2 aufnehmen. Wir wissen nicht genau, mit welcher Wahrscheinlichkeit diese Effekte eintreten. Aber was wir auf jeden Fall wissen ist, dass die globale Mitteltemperatur in den letzten 15 000 Jahre nie so stark und so schnell angestiegen ist wie in den vergangenen 150 Jahren. Seit der Industrialisierung ist das Klima um 0,8 Grad wärmer geworden. Schon heute müssen wir darüber nachdenken, wie wir mit mehr Überschwemmungen und Dürren zurechtkommen. Noch können wir aber die schlimmsten Folgen vermeiden. Wer behauptet, die Menschheit könne sich an eine 4°C Welt ohne Verwerfungen anpassen, hat keinerlei wissenschaftliche Evidenz für diese These. Das ist Spekulation, die bei derart großskaligen Risiken fahrlässig wäre.