Klimawissenschaftler "Nur Atomenergie kann Erderwärmung stoppen"

US-Klimaforscher fordern den Ausbau der Atomenergie, um den Klimawandel zu stoppen. Eine gute Idee?

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Die Region um das havarierte Atomkraftwerk Fukushima bleibt wahrscheinlich unbewohnbar. Ein Teil der evakuierten Bevölkerung werde wohl niemals zurückkehren dürfen. Das jedenfalls glaubt Shigeru Ishiba, Generalsekretär der Liberaldemokraten im japanischen Parlament.

Die Ereignisse in Japan werden Umweltschützer einmal mehr in ihrer Ablehnung der Atomkraft bestärken. Reaktorkatastrophen wie jene in Fukushima oder 25 Jahre zuvor in Tschernobyl sind seit jeher das Horrorszenario, das von Atomkraftgegner beschworen wird.

Mit der aufkommenden Diskussion um den Klimawandel, wurde die Atomkraft aber auch immer wieder als Heilsbringer gelobt. Vier renommierte US-Klimaforscher machen sich nun für die Atomenergie im Kampf gegen den Klimawandel stark. Um die Erderwärmung zu bremsen, würden Erneuerbare Energien wie Solar- und Windkraft nicht ausreichen, schreiben Ken Caldeira, Kerry Emanuel, James Hansen und Tom Wigley jetzt in einem offenen Brief, der bei CNN zu lesen ist.

Von keinem der Wissenschaftler lässt sich behaupten, dass sie bisher als große Atomkraftbefürworter bekannt gewesen wären. Hansen gilt als einer der ersten Wissenschaftler, die auf den bevorstehenden Klimawandel hingewiesen haben und kämpft seit Jahren für strengere Vorgaben beim CO2-Ausstoß. Caldeira war mehrfach Autor für den Bericht des Weltklimarates, zuletzt als koordinierender Leitautor für das Kapitel Ozeane des Spezialberichts von 2005. Emanuel wurde 2006 vom Time Magazine zu den 100 einflussreichsten Menschen gezählt. Der Meterologe prägte den Begriff vom Hyperkan, einem extrem zerstörerischen Wirbelsturm. Wigley ist ebenfalls seit Jahrzehnten in der Klimaforschung aktiv.

"Erneuerbare Energien wie Solar, Wind und Biomasse werden künftig eine wichtige Rolle spielen, aber diese Energiequellen können derzeit nicht schnell genug ausgebaut werden, um den weltweit wachsenden Energiehunger zu decken", heißt es in dem Brief der Wissenschaftler. Atomkraft sei dagegen eine der günstigsten und saubersten verfügbaren Energieressourcen.

"Der Planet erwärmt sich und die CO2-Emissionen steigen weiter rasant an. Wir können es uns nicht leisten, auf eine Technologie wie die Atomkraft zu verzichten", schreiben die Autoren. Deshalb sollten wir sie verstärkt nutzen, fordern die Forscher.

Die vier Wissenschaftler sehen aber auch die Risiken bei der Nutzung: "Wir wissen, das die heutigen Kraftwerke weit entfernt davon sind, perfekt zu sein." Neue Kraftwerke müssten sicherer werden und Krisenszenarien standhalten.

Gehen Umweltschutz und Atomenergie in Zukunft Hand in Hand?Gegenüber dem amerikanischen Fernsehsender CNN erklärte James Hansen, dass der Appell für die Atomenergie wohl bei vielen Umweltschutzgruppen nicht sehr populär sein wird: "Es ist wie mit einer Art Religion. Sie schauen nicht besonders objektiv auf die Vor- und Nachteile." Die vier Wissenschaftler hingegen sind sich darin einig, dass ohne die Weiterentwicklung und den Bau von sicheren Atommeilern der Klimawandel nicht aufzuhalten ist.

Frances Beinecke, Der Präsident der Umweltschutzgruppe National Resources Defense Council,  erwiderte: "Die Atomenergie ist kein Allheilmittel für die Probleme, die der Klimawandel mit sich bringt." Er ist überzeugt: "Der bessere Weg wäre in Energieeffizenz und Erneuerbare Energien zu investieren."

Derzeit werden rund 13 Prozent des weltweiten Energiebedarfs durch erneuerbare Energien, vor allem durch Wasserkraft, gedeckt. Nur sechs Prozent entfallen auf die Atomenergie. Den Rest erledigen Kohle, Gas und Öl. Dass diese Art der Energieproduktion Probleme für das Klima mit sich bringt ist klar - zuletzt wurden weltweit pro Jahr vor allem durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas rund 32 Gigatonnen CO2 ausgestoßen. Geht es so weiter, ist spätestens im Jahr 2034 das CO2-Budget der Menschheit aufgebraucht. Sprich, ab diesem Zeitpunkt dürfte die Menschheit kein Kohlendioxid mehr in die Atmosphäre pusten, wenn der Klimawandel nicht allzu verheerend ausfallen soll. Eine schnelle Reaktion ist also nötig.

Deshalb sind die vier Klimaforscher überzeugt: "Die Zeit ist reif für einen neuen Ansatz der Atomkraft im 21. Jahrhundert".

Kalte Fusion im KellerAn einem dieser neuen Ansätze arbeitet zum Beispiel der Wissenschaftler Joe Zawodny von der US-Weltraumbehörde NASA derzeit. Seine Vision: Ein neuartiger Reaktor soll die Energiefrage der Zukunft lösen.

In dem LENR genannten Reaktor (LENR steht für Low-Energy Nuclear Reactions) findet auf dem Papier weder Kernspaltung noch heiße Kernfusion statt, sondern eine Art kalte Fusion. Zudem soll sich Energie mit unterschiedlichen Elementen erzeugen lassen. Radioaktive Strahlung gäbe es nicht, und auch Explosionen sind ausgeschlossen, glaubt Zawodny. Würde die Vision Realitität, eigne sich ein solcher Reaktor auch als Kleinkraftwerk im Keller eines Hauses.

In der Theorie funktioniert das Kellerkraftwerk so: Der Energieerzeugungsprozess beginnt mit einem sehr langsamen Neutron. Ein Metallatom nimmt dieses Neutron in seinem Kern auf. Dadurch wird es instabil. Um zur Stabilität zurückzukehren spaltet sich das Neutron in ein Elektron und ein Proton, also ein negativ und ein positiv geladenes Atombauteilchen. Ein Nickelatom verwandelt sich so in ein Kupferatom. Bei diesem Prozess wird Wärmeenergie frei, die zur Stromerzeugung, zum Heizen und zur Warmwasserbereitung genutzt werden kann.

Derzeit erinnert der Prozess noch an die Träume von Alchemisten, die aus Blei Gold machen wollten. Denn die Technologie konnte bisher in keiner praktischen Anwendung nachgewiesen werden. Das sorgt auch für enorme Skepsis gegenüber den LENR-Kraftwerken. Auch Zawodny selbst schreibt auf seiner Homepage, dass von einem kommerziellen Einsatz der Technik noch lange nicht die Rede sein könne.

Theoretisch jedoch, sagt Zawodny, würde ein Prozent des Nickels reichen, das derzeit pro Jahr gefördert wird, um die ganze Welt mit Energie zu versorgen - und das für ein Viertel des Preises von Kohlestrom.  Zawodny glaubt, dass der Prozess auch mit Kohlenstoff funktionieren könnte.

Der Nasa-Forscher dämpft allerdings zu hohe Erwartungen. Ehe man daran denken könne, das Phänomen zu nutzen, müsse noch viel wissenschaftliche Arbeit geleistet werden, um den Prozess bis ins Detail zu verstehen. Erst dann könne man daran gehen, ein solches Kraftwerk zu bauen. „Ich würde eins dieser Dinger kaufen und in mein Haus stellen“, sagt zumindest Zawodny. Ob sich damit tatsächlich der Klimawandel aufhalten lässt, sei dahingestellt.

Mitarbeit: Wolfgang Kempkens

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