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Luftfahrt Flugbranche will sich von Klimagas freikaufen

Die Luftfahrtbranche will ab 2020 ihren CO2-Ausstoß konstant halten - trotz wachsendem Flugverkehr. Möglich macht das ein moderner Ablasshandel.

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Der Flugverkehr hat nicht den besten Ruf, wenn es um die Umwelt- und Klimaverträglichkeit geht. Immer wieder gibt es heftige Proteste gegen Nachtflüge und Fluglärm. Zudem ist die Branche als einer der schlimmsten Luftverpester verschrien: Laut einer Analyse des Bundesumweltministeriums aus dem Jahr 2008 etwa stoßen Flugzeuge pro Person und Kilometer vier Mal mehr Kohlendioxid aus als Bus oder Bahn.

Solche Statistiken sind auch der Flugbranche bekannt. Mit Hilfe der Initiative "Carbon Neutral Growth 2020" will der weltweite Verband der Fluglinien, die Internationale Flug-Transport-Vereinigung (IATA), den Ruf der Branche aufpolieren. Ab 2020 soll der internationale Flugverkehr klimaneutral wachsen. Das heißt: mehr Flüge bei gleichbleibenden CO2-Ausstößen.

Der CO2-Plan der Fluggesellschaften bekommt nun wissenschaftlichen Beistand von einer Studie, die die Marktanalysten von Bloomberg New Energy Finance (BNEF) gemeinsam mit der amerikanischen NGO Environmental Defense Fund am Dienstag veröffentlicht haben: Laut der Untersuchung ist CO2-neutrales Wachstum im Flugverkehr machbar.

Allerdings sei das Ziel nicht in erster Linie durch technische Innovationen zu erreichen, sagt Guy Turner, Chef-Ökonom von BNEF und leitender Autor der Studie, sondern vor allem durch die Einbeziehung des Flugverkehrs in den Emissionshandel. "Nur so kann die Branche ihre Emissionen kompensieren."

Immerhin hat der Konkurrenzkampf unter den Fluglinien zumindest bei der deutschen Flugzeugflotte den Kerosinverbrauch pro Passagier und 100 Flugkilometer seit 1991 um zwei Fünftel gesenkt - von 6,2 Liter auf 3,9 Liter. Und auch künftig wollen Lufthansa & Co Jahr für Jahr eineinhalb Prozent weniger Treibstoff verbrauchen. Das aber reicht nicht aus, um die ambitionierten Emissionsziele der IATA zu erreichen. Biosprit wiederum wird bereits getestet, ist für die Flugindustrie momentan aber noch zu teuer.

Flug nach New York wird nur zwei Dollar teurerEs bleibt also nur der Emissionshandel, um die Abgas-Bilanz aufzupolieren. Bis 2020 werden laut der Bloomberg-Studie genug CO2-Zertifikate auf dem Markt sein, um 30 bis 50 Prozent der Abgase aus dem Flugverkehr bis 2050 zu kompensieren. Bis zu 4,6 Milliarden Dollar müsste die Luftfahrtbranche jährlich für die Emissionsrechte berappen. Auf den Ticketpreis eines Fluges von Paris nach New York gerechnet, käme der CO2-Aufschlag einer Preiserhöhung zwischen 1,50 Dollar und zwei Dollar gleich.

Mit dem Zertifikatekauf könnte die Flugbranche ihre CO2-Bilanz also vergleichsweise günstig verbessern. "Dadurch bleibt genügend Geld, mit dem die Fluglinien technische Innovationen vorantreiben können", sagt Bloomberg-Ökonom Turner. Schließlich sei der Handel mit Zertifikaten kein Anlass sich zurückzulehnen. Vielmehr sei der Wettbewerb unter den Fluglinien Anreiz genug, durch technische Fortschritte wie Treibstoffeinsparungen günstigere Angebote auf den Markt zu bringen.

Ganz anders sieht der Verkehrsexperte Werner Reh vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) die Klimaziele der CNG2020. "Wer glaubt, dass die Emissionsziele so leicht erreicht werden, muss ziemlich viel Optimismus haben", sagt Reh. "Die tatsächlichen Umsetzungschancen des Konzepts liegen bei nahe null." So sei in den Planungen der IATA das Wachstum des internationalen Flugverkehrs ab 2020 von aktuell fünf Prozent auf knappe zwei Prozent herunter manipuliert worden. Das läge deutlich unter dem aktuellen Wert: Im Jahr 2012 ist der Flugverkehr insgesamt um 5,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gewachsen.

Nötig wäre ein weltweiter CO2-HandelZudem zerstöre sich der Markt für Emissionshandel gerade selbst. Bisher können Fluglinien Zertifikate aus dem Europäischen Emissionshandel auch auf internationale Flüge anrechnen. Schon auf ihrer nächsten Versammlung Ende September könnte die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO), ein Zusammenschluss von 191 Staaten, diese Option eingrenzen: Den Plänen zufolge sollen europäische Emissionszertifikate dann nicht mehr auf den globalen Flugverkehr übertragbar sein. Damit, sagt Reh, breche einer der Stützpfeiler für das Konzept CNG2020 weg - weil es nicht mehr genügend Zertifikate auf dem Markt gebe.

Wolle die Flugbranche den CO2-Handel nutzen, um klimaneutral zu wachsen, dann müsse es ein weltweites Emissionshandelssystem geben, sagt Reh. "Wie man diese international gültigen Zertifikate generieren kann, wird ganz sicher ein Thema bei der nächsten Versammlung der ICAO-Mitgliedsstaaten Ende September." Schließlich ist die Organisation laut Artikel zwei des Kyoto-Protokolls für den Klimaschutz im Flugverkehr verantwortlich. Sie kann also ein solches System entwickeln.

Langfristig muss sich die Branche allerdings auch über technische Innovationen Gedanken machen, um umweltfreundlicher zu werden. Denn laut einer Prognose der EU-Kommision wird das internationale Passagieraufkommen bis zum Jahr 2050 um mehr als das Sechsfache ansteigen - von 2,5 Milliarden Fluggästen im Jahr 2011 auf 16 Milliarden zur Mitte des Jahrhundert. Und damit wüchse der Anteil des internationalen Flugverkehrs am globalen CO2-Ausstoß auf vier Prozent.

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