Nachhaltigkeit Mode oder tiefgreifender Wandel?

Nachhaltigkeit wird das Schlüsselthema des 21. Jahrhunderts, schreibt Kolumnistin Iris Pufé. Gesellschaften und Unternehmen sollten lernen, das zu begreifen.

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Von Iris Pufé. Die Unternehmensberaterin für Nachhaltigkeit lehrt Corporate Social Responsibility (CSR) unter anderem an der Hochschule München. Sie hat mehrere Bücher zum Thema Nachhaltigkeit geschrieben. Iris Pufé erklärt in ihrer Kolumne bei WiWo Green regelmäßig die Grundlagen von Nachhaltigkeit und der Nachhaltigkeitsdiskussion. An dieser Stelle schreibt sie darüber, warum es für Unternehmen überhaupt wichtig ist, die Grundlagen der Nachhaltigkeit zu kennen.

Mit Hochgeschwindigkeit rast die Gesellschaft auf einen Tunnel zu. Weder Schienen noch Leitplanken können uns sicher durch ihn hindurch steuern. Ob wir heil am Ende des Tunnels hinauskommen ist ungewiss, der Spielraum für Entwicklung wird immer enger. Zwei Entwicklungen zwingen uns zum Wandel: die Erschöpfung der (fossilen) Energieträger und das globale Bevölkerungswachstum. Sie sind die bestimmenden Nachhaltigkeitstrends des 21. Jahrhunderts. Will nun eine ganze Gesellschaft den Tunnel passieren, braucht es System und Struktur dahinter. Andernfalls droht ein Teil der Reisenden hängen zu bleiben.

Noch immer steigt unser Bedarf an Energie. In aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie China und Indien ist der Energiehunger zwischen 1990 und 2008 um 146 bzw. 91 Prozent gestiegen. Auch industrialisierte Länder schaffen es nicht, weniger Energie zu verbrauchen. Für Deutschland bezeichnet Martin Pehnt vom Institut für Energie- und Umweltforschung die Energieeffizienz sogar als „vernachlässigte Säule der Energiewende“. Traurig, aber wahr: Die beste Energiesparpolitik in den letzten Jahren war die Finanz- und Wirtschaftskrise. Gleichzeitig verschlimmert sich durch unseren unstillbaren Energiehunger das Problem des Klimawandels.

Globale Trends sind vernetztWährend der Energiebedarf weltweit wächst, ist das Bevölkerungswachstum unterschiedlich verteilt. Die Anzahl der Europäer sinkt sogar; das einzige, was in Europa steigt, ist das Durchschnittsalter der Bevölkerung. Während heute bereits jeder fünfte Bundesbürger über 60 Jahre alt ist, wird der Anteil dieser Bevölkerungsschicht bis 2050 auf knapp 35 Prozent steigen. Die durchschnittliche Lebenserwartung wird von 75 auf 81 Jahre zunehmen.

Das tatsächliche Wachstum findet in den Entwicklungsländern statt. Ohne China wächst die Bevölkerung hier um 1,8 Prozent jährlich. Das heißt: Rund 95 Prozent des gesamten Bevölkerungswachstums der Erde entfallen auf die Entwicklungsländer. Bis zum Jahre 2050 wird allein die Bevölkerung der 50 ärmsten Länder um 0,8 Milliarden auf 1,7 Milliarden anwachsen. Für das Klima wird dieses Wachstum zum Problem. Im Überlebenskampf können die Menschen vor Ort keine Rücksicht auf die Umwelt nehmen, um die steigende Zahl hungriger Münder zu füttern.

Zudem wird sich die Bevölkerung verstärkt in Städten konzentrieren – Stichwort: Urbanisierung. Bis 2050 werden 2 von 3 Menschen weltweit in Städten leben. Schon heute ist es bereits die Hälfte. Die Frage: Wie werden diese Städte aussehen? Werden es Megacities mit Slumps und Ghettoisierung sein. Oder werden Bewegungen wie Slow Cities oder Transition Town beispielgebend sein? So verstärkt das Bevölkerungswachstum den Energiehunger, der Energiehunger den Klimawandel. Weder Facebook und Twitter erlauben uns als Gesellschaft so stark vernetzt zu sein wie die globalen Nachhaltigkeitstrends.

Diese Trends sind die raum- und zeitübergreifende Entwicklungen, die unser Leben für die nächsten Jahrzehnte prägen werden. Hört man das Wort Trend, setzt man es fälschlicherweise oft mit technologischem Fortschritt gleich. Genauso wichtig sind allerdings die Entwicklungen auf sozialer und ökologischer Ebene. Diese werden jedoch häufig als temporär oder räumlich begrenzt abgetan. Es herrscht die Annahme, dass tiefere gesellschaftliche Veränderungen heutzutage nur noch aus dem Computer kommen.

Unternehmen drohen den Wandel zu verschlafen

Deshalb wundert es nicht, dass das Gros der Unternehmen seine Geschäftsstrategie noch immer kurzfristig, markt- und technologieorientiert ausrichtet. Konzernchefs leben nach der Devise Helmut Schmidts: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen!“ Doch zeigen Beispiele wie Apple wie lukrativ es ist, die Märkte der Zukunft selbst zu erschaffen. So war Steve Jobs Mission keine geringere als Bedürfnisse zu befriedigen, die er selbst geschaffen hat.

In der Wissenschaft ist man immerhin ein kleines Stück weiter. In Szenarien veranschaulichen Forscher, wie die Zukunft mittel- bis langfristig aussehen kann, so wie dies z.B. die Deutsche Post AG in der Szenariostudie Logistik 2050 erarbeitet hat. Trends werden hier nicht mit Modeerscheinungen, wie in der Musik oder Design, gleichgesetzt, sondern als systemische Veränderungen wahrgenommen. Bei aller Dynamik und Komplexität die zukunftsbestimmenden Trends herauszufiltern, ist der erste Schritt, sich auf den Wandel einzulassen.

Diagnose statt Prognose Die wohl bekannteste Form von Trendforschung findet sich in den Kondratieff-Zyklen. Laut Kondratieff wird der Wandel unserer Gesellschaft durch Innovation vorangetrieben. Dabei ist dieser nicht immer technischen Ursprungs. Im Moment befinden wir uns an der Schwelle eines neuen Zyklus in dem der Mensch, seine Gesundheit und die Umwelt wieder mehr in den Fokus rücken. Wissenschaftler wie Kondratieff stellen Diagnosen, statt exakte Prognosen für die Zukunft abzugeben.

Trotzdem lassen sich aus Trends Handlungsempfehlungen für jeden Einzelnen wie für ganze Unternehmen und Branchen ableiten. „Zukunftsstudien, Szenarien, Roadmaps und Trendforschung sollten Unternehmen noch mehr Beachtung schenken, selbst für sich erarbeiten und konsequenter berücksichtigen. Denn sie stellen sich mit einem solchen Corporate Foresight besser auf mögliche Zukünfte ein und bereiten sich so auf neue Geschäftschancen vor", sagt Ralf Isenmann, Professor für nachhaltiges Zukunftsmanagement an der Hochschule München und langjähriger Forscher am Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe.

Mit den Trends lebenDie Anzeichen häufen sich, dass Nachhaltigkeit das Schlüsselthema des 21. Jahrhunderts wird. Je eher Akteure diesen Trend zu deuten wissen, desto eher kommen evolutionstaugliche Lösungen zustande. Wie Charles Darwin es ausdrückte: „Es ist nicht die stärkste Spezies die überlebt, auch nicht die intelligenteste, es ist diejenige, die sich am ehesten dem Wandel anpassen kann.“ Schon jetzt können sich Unternehmen die Erkenntnisse der Trendforschung durch den Einsatz verschiedener Methoden zu Nutze machen.

Das traurigste Missverständnis könnte darin liegen die Zukunft als reine Bedrohung, als Horrorvision und Leidensszenario samt Einbußen, Verzicht und Entbehrung zu begreifen. Immer wieder lehrte die Geschichte: die Not für Erfindungsreichtum nutzen – trotz und gerade auf einem überhitzten und überbevölkerten Planeten. Diese Erfindungen müssen nur dem Prinzip Nachhaltigkeit nachkommen, und das heißt: langfristig tragfähig, fair und für alle zugänglich. Ein iPhone ohne Obszoleszenz, ohne Blut in der Herstellung und zu faireren Preisen, die mehr Geld beim Kunden lassen und nicht bei Apple– das wäre ein faires massenmarktfähiges Produkt, für das sich noch (!) mehr Käufer finden ließen.

Der nächste Beitrag skizziert, wie sich anhand der wichtigsten Prinzipien, Positionen und Modelle eine Systematik in das Nachhaltigkeitskonzept bringen lässt.

Bisher erschienen von Iris Pufé:

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