Der Mann, der die vielleicht folgenschwerste Energierevolution der vergangenen Jahre angestoßen hat, ist tot: George Mitchell, der "Vater" des Frackings, starb Ende Juli im Alter von 94 Jahren.
Um die Bedeutung von Mitchell zu verstehen, muss man sich nur zwei Zahlen ansehen: Im Jahr 2000 hatte Schiefergas nur einen Anteil von zwei Prozent am US-Erdgasmix. Inzwischen macht es knapp 40 Prozent aus. Durch den Schiefergasboom sind die Erdgas-Preise in den USA mittlerweile wieder auf das Niveau der Achtzigerjahre gefallen.
In Zukunft, so schätzen viele Experten, werden die Schiefergasreserven in China, Russland, England und Argentinien den Weltmarkt für Erdgas aufmischen. Und auch beim Öl sorgt die Technik des Frackens, bei der Millionen Liter Wasser, Sand und Chemikalien mit riesigem Druck in die Erde gepresst werden, um die Rohstoffe aus dem Schiefergestein zu lösen, für einen Förderboom.
Es ist also nicht übertrieben, davon zu sprechen, dass Mitchell eine Energierevolution ausgelöst hat. Dachten viele Experten in den Neunzigerjahren noch, dass die weltweiten Öl- und Gasreserven schon bald zur Neige gehen, hat sich fossile Zeitalter durch das Fracking wohl um einige Jahrzehnte verlängert. Der Energiehistoriker Daniel Yergin nennt Mitchell deshalb "einen Steve Jobs" der Energiewirtschaft.
Und wie der Apple-Gründer zeichnete sich auch Mitchell durch Starrsinn, Kreativität und Mut aus.
Pionier mit richtigem GespürDenn über 17 Jahre trieb er die Ingenieure seines Unternehmens Mitchell & Energy Development an, einen Weg zu finden, die riesigen Erdgasreserven in Texas anzuzapfen. Genauer gesagt, hatte es Mitchell auf die sogenannte Barnett-Schieferformation abgesehen, die unter dem Land lag, das seinem Unternehmen gehörte. Experten hielten das Unterfangen damals für aussichtslos. Denn das Fracking an unkonventionellen Gasreserven, also im Schiefergestein, hatte noch niemand versucht.
Erstmals angewendet wurde Fracking (kurz für Hydraulic Fracturing) schon während des zweiten Weltkrieges in den USA. Verwendet wurde das Verfahren aber nur - und das wird es auch heute noch, auch in Deutschland - um bei herkömmlichen Erdgasfeldern die Produktion zu erhöhen.
Lange bissen sich Mitchells Ingenieure am dunklen Schiefer buchstäblich die Bohrer aus - denn zwar pumpten und pressten sie verschiedenste Mischungen an Wasser, Sand und Chemie in den Boden, um genug Risse zu schaffen, durch die mikroskopische Erdgasblasen aus dem Gestein entweichen können. Aber die Ergebnisse waren mager. Dann mischten sie probehalber Seifenwasser in ihre Frackingflüssigkeit - und siehe da: auf einmal funktionierte es. Einen weiteren Durchbruch brachte es, die Rohre unter der Erde abzuknicken und horizontal im Schiefergestein zu verlegen. Das war im Jahr 2000.
Ein Jahr später verkaufte er sein Unternehmen für 3,5 Milliarden Dollar an den Öl- und Gasmulti Devon.
Mitchell hatte sich schon nach seinem Studium in den Fünfzigerjahren einen Namen als erfolgreicher Entdecker von Öl- und Gasvorkommen in Texas gemacht. Kein Wunder vielleicht, dass er die Geduld aufbrachte, jahrelang dem Rohstoff im Schiefer nachzujagen. Er selbst wusste, was sein Streben wert war: "Fracking ist die wichtigste Entwicklung im amerikanischen Energiesektor seit Generationen", schrieb er einmal selbstbewusst.
Im Alter UmweltschützerAber Mitchells Erbe ist umstritten. Denn die Umweltbelastungen, die Fracking mit sich bringt, sind bis heute ungeklärt. So fürchten Umweltschützer, dass die Chemikalien aus der Tiefe nach oben ins Grundwasser dringen. Außerdem können Fehler bei der Verlegung und abdichtung der Rohre dazu führen, dass Gas und das Chemikaliengemisch unkontrolliert aus den Bohrlöchern dringt. Kritisiert wird auch der enorm hohe Wasserverbrauch des Verfahrens.
All das ist durchaus paradox. Denn Mitchell selbst entdeckte spät in seinem Leben einen Hang zum Umweltschutz. Noch im vergangenen August hatte er in einem Artikel in der Washington Post die Öl- und Erdgasindustrie dazu gedrängt, Fracking umweltfreundlicher zu gestalten. Die Industrie, so seine Kritik, ignoriere die Bedenken gegenüber der Technologie einfach, anstatt sie ernst zu nehmen und die Risiken zu minimieren. Außerdem forderte er strengere Auflagen und eine starke Regulierung durch die Aufsichtsbehörden. Unter anderem sollten die Unternehmen alle Chemikalien offenlegen, die sie verwenden. Nur dann könne Fracking neben einem ökonomischen auch zu einem ökologischen Erfolg werden.
So wurde George Mitchell, der Vater des Fracking, am Ende zu einer in beiden Lagern umstrittenen Figur. Denn die Gasunternehmen weigern sich bis heute offenzulegen, welche Chemikalien genau sie verwenden. Und Umweltschützer fordern immer noch lautstark, ganz auf Fracking zu verzichten, obwohl Gaskraftwerke zu den saubersten Energiequellen gehören.
Ob positiv oder negativ, eins ist sicher: Das Erbe von George Mitchell wird die Welt noch einige Zeit beschäftigen.
Nachtrag: Einige Unternehmen legen mittlerweile offen, welche Chemikalien sie beim Fracking verwenden. Auf fracfocus.org zum Beispiel sind die Stoffe für einzelne Bohrungen angegeben. Das Portal wird allerdings von Umweltschützern als unzureichend kritisiert. In Deutschland legt unter anderem ExxonMobil unter diesem Link offen, welche Stoffe es zur Erdgasförderung einsetzt.