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NGOs Bayer verschleiert tödliche Wirkung von Pestiziden auf Bienen

Mehrere Organisationen werfen Bayer vor, mit seinen Pestiziden das Bienensterben zu befördern. Der Konzern wehrt sich.

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Eigentlich soll es bei der jährlichen Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft um grundsätzliche Entscheidungen für das Unternehmen gehen. Die Aktionäre wählen Aufsichtsratsmitglieder, sie passen Statuten an und das Unternehmen gibt die Ausschüttung der Dividende bekannt. Einer der wichtigsten Tagesordnungspunkte: Die Entlastung des Aufsichtsrates und des Vorstandes.

Bei der diesjährigen Hauptversammlung der Bayer AG, die gestern (29.4) in Köln stattfand, konnte aber von einer Entlastung keine Rede sein. Denn gleich aus zwei Richtungen hagelte es lautstarke Kritik. Zum einen waren zwei Mitstreiterin von Erin Brockovich angereist, der Anwältin, die aus dem gleichnamigen Film mit Julia Roberts in der Hauptrolle bekannt ist. Im Handgepäck hatten sie die Klagen tausender Frauen, die in den USA unter der sogenannten Essure-Verhütungsmethode leiden. Der Hersteller: Bayer HealthCare, eine Tochter der Bayer AG.

Aber damit nicht genug. Auch von anderer Seite nutzten Kritiker die Gunst der Stunde und das Auditorium aller Bayer-Aktionäre. Michele Simon, Buchautorin und gelernte Juristin für öffentliches Gesundheitswesen, hatte vor der Hauptversammlung gemeinsam mit der international tätigen Nichtregierungsorganisation Friends of the Earth einen Bericht veröffentlicht.

Der Titel: Follow the Honey – 7 ways pesticide companies are spinning the bee crisis to protect profits. Und dann legte noch Greenpeace mit ihrem Report nach: Corporate Science Fiction kritisert die Pestizide von Bayer als gefährlich für Bienen.

Follow the Honey statt Follow the MoneyEs geht den beiden Umweltorganisation darum, wie Chemiekonzerne mit Hilfe geschickter Öffentlichkeitsarbeit ihren Anteil am Bienensterben verschleiern. Namentlich genannt werden in den Berichten von Greenpeace und Friends of the Earth der bereits erwähnte Bayer-Konzern, der US-Riese Monsanto und die Schweizer Firma Syngenta.

Der Vorwurf lautet: Verzögerung der Regulierungsvorhaben bei Neonicotinoiden und anderen Pestiziden. Denn diese hochwirksamen Insektizide stehen schon seit geraumer Zeit im Verdacht, einen beträchtlichen Anteil am Bienensterben zu haben.

Die Europäische Union hat drei der am weitesten verbreiteten Neonicotinoide bereits verboten. Zwar stehen weitere Verbote für Stoffe aus dieser Gruppe zur Diskussion, jedoch erweist sich die Beweisführung als äußerst schwierig. Die letale Dosis für Honigbienen liegt auf einem derart niedrigen Niveau, dass sie kaum messbar ist. Als sicher gilt jedoch: Neonics, wie sie umgangssprachlich bezeichnet werden, machen Bienenvölker anfälliger gegenüber Krankheiten.

Für die Hersteller dieser Pestizide bedeutet ein Verbot jedoch enorme wirtschaftliche Verluste. Die Studie von Friends of the Earth spricht hier von „Big Money in Neonics“. Deutlich wird das anhand der weltweiten Umsätze, die mit den Schädlingsgiften generiert werden.

2,6 Milliarden Euro waren es allein 2009. Das entspricht gut 25 Prozent am gesamten Umsatz der Bayer CropScience, der Ladnwirtschaftssparte des Unternehmens. Die Topseller sind der deutsche Bayer-Konzern sowie die Firma Syngenta aus der Schweiz.

Mit Kinderbüchern gegen das BienensterbenMichele Simon und Friends of the Earth haben sieben PR-Strategien ausgemacht, mit denen die Konzerne laut den Bienenschützern von den Tatsachen ablenken wollen:

1. Die Aufmerksamkeit von Pestiziden weglenkenDie Konzerne vertreten die „Es gibt eine Vielzahl von Gründen“ – These, um die Rolle von Pestiziden runterzuspielen.

2. Einflussnahme auf die Forschung und gezielte VerunsicherungMit aggressiven Methoden versuchen die Unternehmen, andere Gründe wie die Varroa Milbe als Hauptursache für das Bienensterben zu lancieren. Unerwähnt bleibt: Neonics schwächen Bienenvölker, so dass die Milbe und andere Krankheiten höhere Todesraten verursachen.

3. Bienen-Fürsorge als Blitz-PRBezahlte PR-Kampagnen, die den Eindruck vermitteln sollen, der Konzern kämpfe an vorderster Front gegen das Bienensterben. Pestizide werden auch hier nicht als Übel benannt.

4. Gekaufte GlaubwürdigkeitDie Finanzierung von Forschung, die strategische Bildung von Allianzen mit Landwirten und Imkern, um sich Glaubwürdigkeit zu verschaffen und sich als Bienenfreunde zu präsentieren.

5. SchuldzuweisungLandwirte und Imker, die sich nicht auf eine Partnerschaft mit den Unternehmen einlassen und stattdessen den Einsatz von Pestiziden rügen, werden diffamiert. Imkern wird beispielsweise falsche Haltung vorgeworfen. Landwirten der unsachgemäße Einsatz der Pestizide.

6. Firmen-PR getarnt als JournalismusSyngenta soll Interviews veröffentlicht haben, in denen die Kritik an Pestiziden zurückgewiesen wird. Die sachliche und scheinbar objektive Berichterstattung soll darüber hinwegtäuschen, dass es sich um Öffentlichkeitsarbeit und nicht um Journalismus handelt.

7. Kinder als ZielgruppeÖffentlichkeitsarbeit um die Herzen der Kinder zu gewinnen. Der Bericht nennt das Kinderbuch „Tobi und die Bienen“ des Bayer-Konzerns. Darin erzählt ein freundlicher Imker dem kleinen Tobi, dass er sich nicht um die kranken Bienen sorgen solle, denn es sei nur eine kleine Milbe schuld, gegen die es ein Mittel gäbe. (Zufällig stellt auch Bayer das Mittel her)

Die Autorin, Michele Simon, fasst zusammen: „Bayer, Syngenta und Monsanto verdienen Milliarden mit Pestiziden, die für das Bienensterben verantwortlich sind und präsentieren sich zugleich als Helfer in der Not.“ Schwere Vorwürfe also, die sich die drei Chemiekonzerne anhöhren müssen.

Bayer-Konzern in der DefensiveUnd was sagen die Unternehmen zur Kritik? Auf Nachfrage von WiWo Green äußert sich Bayer wie folgt: „Die Veröffentlichung von Friends of the Earth leistet keinerlei sinnvollen Beitrag zu dem Dialog über die Gesundheit von Bienen und rückt unsere Anstrengungen um Sensibilisierung für dieses wichtige Thema und wirkliche Lösungen zur Verbesserung der Bienengesundheit in ein falsches Licht.“

Außerdem verweist Bayer auf „eine aktuelle und neutrale Studie, die die Situation der Imkerei in Europa sehr gut beschreibt und wissenschaftlich untermauert“, wie das Unternehmen versichert. „Daraus geht hervor, dass die Varroa-Milbe von den Imkern in 20 Ländern als einer der Hauptgründe für das Bienensterben angesehen wird. Vergiftungen durch Pflanzenschutzmittel waren der seltenste Grund und nur ein einziges Labor hat chronische Einwirkungen von Pflanzenschutzmittel genannt“.

Falsch ist das nicht. Allerdings weist die angesprochene Studie auch auf folgende Problematik hin: „Interaktionen zwischen Pestiziden und pathogenen Mikroorganismen resultieren in einer erhöhten Bienensterblichkeit, wie in Laborversuchen gezeigt werden konnte. Feldversuche zeigen, dass auch subletale Effekte auf Honigbienenvölker bestehen. Methodische Schwierigkeiten könnten dazu führen, dass der tatsächlich schädliche Einfluss von Pestiziden auf Honigbienen unterschätzt wird.“ Sprich: Die Insektengifte auf den Feldern könnten doch Schuld am Bienensterben sein.

Konstruktiver Dialog steht aus

Bei der Aktionärsversammlung selbst nutzte auch Greenpeace die Gelegenheit, seinem Anliegen Gehör zu verschaffen. Die NGO verteilte Informationsmaterial und forderte auf einem großen Banner den Stopp des Bienentötens.

Bayers Reaktion hierauf: „Die wissenschaftliche Datenlage zeigt, dass die Produkte von Bayer CropScience keine negativen Auswirkungen auf die Entwicklung von Bienenvölkern haben, wenn sie verantwortungsvoll und vorschriftsmäßig eingesetzt werden.“ Und weiter: „Bayer begrüßt grundsätzlich jede Forschung auf dem Gebiet der Bienengesundheit, nur muss diese unter realistischen Bedingungen und nach wissenschaftlichen Kriterien erfolgen.“

Beide Seiten reden also, nur leider nicht wirklich miteinander.

Lediglich beim Kurznachrichtendienst Twitter kam es zu einigen wenigen Ausnahmen. Unter dem Hashtag #SaveTheBees und #Bayer lieferten sich Kritiker und Konzern einen kleinen Schlagabtausch:Tell German based @Bayer: Stop selling #BeeKiller pesticides in US that are banned in EU! #Bayer bad news for #bees http://t.co/bh0CsfZyuH

— Dr. Mercola (@mercola) 29. April 2014 @coachoncall For more than 25 years, Bayer has been committed to the protection of beneficial insects, including honey #bees. #SaveTheBees

— Bayer AG (@Bayer) 29. April 2014In der Zwischenzeit geht das Bienensterben weiter - ein enormer, auch wirtschaftlicher Verlust für alle Beteiligten. Alleine die Bestäubungsdienstleistung, die die nützlichen Insekten kostenfrei zur Verfügung stellen, wird auf mehrere Milliarden Euro pro Jahr beziffert. Allein das wäre also Grund genug, dem Bienensterben in einer gemeinsamen Anstrengung den Kampf anzusagen.

Nachtrag: Die NGOs behaupten nicht, wie an einer Stelle des Textes geschrieben, dass die Pestizid-Hersteller das Bienensterben allgemein verschleiern. Gemeint war die Wirkung der Pestizide auf die Bienen.

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