Die Nordseeinsel Pellworm, auf der vor 30 Jahren das mit 300 Kilowatt damals größte deutsche Solarkraftwerk gebaut wurde, will sich künftig nur noch in Notfällen vom Festland aus mit Strom versorgen. Im Alltag soll das verbraucht werden, was auf dem überraschend sonnigen Eiland produziert wird.
Wer jetzt meint, das wäre ein Otto-Walkes-Scherz liegt falsch.
Denn die Insulaner produzieren schon heute weit mehr Strom, als sie verbrauchen. Genauer gesagt sind es jährlich rund 20 Millionen Kilowattstunden und damit drei Mal mehr als die Nachfrage der 1200 Einwohner.
Trotzdem fließen derzeit noch bis zu 90 Prozent des Stroms über zwei 20000-Volt-Seekabel ins europäische Netz. Der Grund: Große Strommengen werden genau dann produziert, wenn kein örtlicher Verbraucher da ist. Künftig sind es nur noch 60 Prozent.
Ausgerechnet Nachtspeicheröfen, die auf der Insel noch weit verbreitet sind, machen es möglich, dass die Pellwormer der Strom-Autarkie ganz nahe kommen und zur SmartRegion werden, wie die Beteiligten das Projekt nennen.
Batterien und Nachtspeicheröfen lagern EnergieDie antiquierten Speicheröfen werden normalerweise nachts aufgeladen, um ihre Wärme tagsüber abzugeben. Künftig werden sie flexibel eingesetzt. Wenn die Sonne vom Himmel brennt oder der Wind kräftig weht, fließt Strom in diese Speicher, die immerhin so viel puffern können, wie eine Durchschnittsfamilie im Jahr verbraucht. Und das im Idealfall täglich.
Damit die Bürger nicht plötzlich im Kalten sitzen, weil ihre Speicheröfen zu wenig Wärme gebunkert haben, entwickelten Forscher des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht) in Oberhausen ein Prognosemodell. Es ermittelt wetterabhängig den voraussichtlichen Wärmebedarf. Diese Daten steuern das Be- und Entladen.
Diese Speicherkapazität reicht allerdings noch nicht. Nach Berechnungen der Umsicht-Forscher, die ortsnahe Stromproduktion und den Verbrauch weitgehend angleichen wollten, sind zusätzlich zwei Großakkus nötig. Eine Lithium-Ionen-Batterie liefert der französische Hersteller Saft. Mit 560 Kilowattstunden kommt sie auf etwa 20 Prozent der Kapazität der Nachtspeichergeräte.
Einen weiteren Puffer liefert die Solarsparte des Bielefelder Werkzeugmaschinenherstellers Gildemeister. Sie ist für 1200 Kilowattstunden ausgelegt und damit eine der größten ihrer Art. Diese so genannte Redox-Flow-Batterie speichert Strom in Form von Flüssigkeiten, die außerhalb des eigentlichen Akkus in Tanks gelagert sind.
Diese Flüssigkeiten werden beim Aufladen chemisch verändert. Beim Entladen treffen sie sich in der Batterie an Membranen, durch die Elektronen strömen, also Strom fließen lassen. Derartige Puffer lassen sich beliebig oft füllen und entleeren und haben dazu noch eine extra hohe Lebensdauer.
Pellworm als Vorbild für Deutschland?Den Strom für die Energieversorgung liefern Sonne, Wind und Biomasse. Allerdings ist das Solarkraftwerk der ersten Stunde durch eine 771-Kilowatt-Solaranlage ersetzt worden. Hinzu kommt ein Windgenerator, der mit 300 Kilowatt eine relativ bescheidene Leistung hat – die größten, die heute gebaut werden, kommen auf 6000 Kilowatt.
Dritter grüner Stromlieferant ist eine Biogasanlage, die Mist und eigens angebaute Pflanzen vergärt. Das entstehende Gas wird in einem Motor verbrannt, der mit einem Generator gekoppelt ist. Die Abwärme fließt in ein Nahwärmenetz.
Die Pellwormer Haushalte bekommen außerdem intelligente Stromzähler, die es ihnen möglich machen, genau dann ihre Spül- und Waschmaschinen laufen zu lassen, wenn das Stromangebot von Sonne und Wind besonders groß ist. Zudem sorgen sie für eine intelligente Nutzung privat erzeugten Solarstroms, denn viele Bürger des Dorfes betreiben eigene Solarzellen auf dem Dach.
Bleibt die Frage, ob das friesische Modell für ganz Deutschland funktionieren könnte?
Im Grunde ist es genau diese Stromversorgung, von der die Verfechter der erneuerbaren Energien träumen: Wind, Sonne und Biomasse liefern genug Energie, um das ganze Land zu beliefern. Fallen Sonne und Wind aus, springen Speicher ein. Sind auch die leer kommen Gaskraftwerke zum Zug, die möglichst mit den Produkten der Biogasanlagen laufen.
So macht Pellworm im Kleinen vor, was Deutschland bald im Großen kopieren soll. Nur: Ob das so einfach ist, bleibt abzuwarten.